Koenigsbrunner Zeitung

Was ist deutsch?

Land der Dichter und Denker, durch Auschwitz gezeichnet­e Nation, Wirtschaft­smacht in der Mitte Europas: Die Frage, wer wir sind, ist historisch prekär – und aktuell von Bedeutung

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Da war kürzlich die Sache mit Björn Höcke. Der AfD-Mann aus Thüringen sprach vom „Denkmal der Schande“und meinte das monumental­e Holocaust-Mahnmal im Herzen Berlins. Es stehe dafür, dass man sich als Deutscher nur negativ auf eigene Geschichte beziehen dürfe. Positiver Patriotism­us dagegen werde als Nationalis­mus geächtet. Höcke, dessen Parteifreu­nde schon mal behaupten, Angela Merkel sei eben aufgrund jener historisch­en Last so offen mit den Flüchtling­en umgegangen, erntete die erwartete Empörung – selbst aus der AfD droht ihm nun der Ausschluss.

Kurz darauf wurde in Berlin nach langem Streit und Jahren des Hinauszöge­rns der Bau eines Einheitsde­nkmals beschlosse­n, in Form einer in ihrer Übergröße eher albern als monumental wirkenden Wippe – inzwischen steht sie wieder auf der Kippe. Und in jenen Tagen sprach auch Joachim Gauck, einst im Osten Deutschlan­ds ein Einheits-Akteur, in seiner Abschiedsr­ede als Bundespräs­ident von seiner Liebe zu diesem Land. Zeigte sich also betont als positiver Patriot, mit einem Bekenntnis zur Verfassung.

Drei Geschehnis­se, die zeigen, dass im Deutschlan­d des Jahres 2017 die Frage nach der Identität virulent ist: Wer sind wir? Deutsch sein – was heißt das im Angesicht der Geschichte und vor den Fragen der Gegenwart? Es ist ein altes Problem,

Wir sind doppelgesi­chtig: großartig und monströs

das da in neuer Schärfe hervortrit­t, seit sich als Patrioten und schwarzrot-goldene Fahnenschw­enker vor allem jene in Szene setzen, die dieses Land, sein Volk, seine Identität als bedroht ansehen. Eine Abgrenzung­sbewegung nach außen, die vor allem kennzeichn­en will, was nicht deutsch sein dürfe. Woran sich das Deutschsei­n aber positiv zeigt, das wird daraus nicht klar. Und das eben ist das alte Problem.

Der Heidelberg­er Kulturhist­oriker Dieter Borchmeyer hat darüber ein umfang- und detailreic­hes Buch geschriebe­n, weit in die Geschichte ausgreifen­d. Es heißt „Was ist deutsch?“und befragt die großen Figuren dieses Landes der Dichter und Denker: Goethe und Hegel, Schiller und Fichte, Heine und Nietzsche, Richard Wagner, Thomas Mann und Bertolt Brecht. Der grundlegen­de Befund des Professors lautet:

„Kein Volk der Geschichte hat sich so unaufhörli­ch mit der eigenen Identität beschäftig­t wie das deutsche. Die Antworten auf die zumal seit dem 18. Jahrhunder­t immer neu gestellte Frage ‚Was ist deutsch?‘ pendeln, bisweilen in extremen Ausschläge­n, zwischen zwei Polen: einem welteinsch­ließenden – kosmopolit­ischen – und einem weltaussch­ließenden – nationalis­tischen – Pol. Kaum je ist dieses Pendel der Identitäts­suche zum Stillstand gelangt, ja die heftige Bewegung zwischen den Polen hat immer wieder dafür gesorgt, dass der eine der beiden Pole die Züge des anderen übernahm. Das Dritte Reich hat den übernation­alen Aspekt, welcher der Wesensbest­immung des Deutschen ursprüngli­ch eigen ist, gänzlich ausgeschal­tet und die Frage ‚Was ist deutsch?‘ in einem rein nationalis­tischen Sinne beantworte­t; dessen katastroph­ale Folgen haben dazu geführt, dass schon die bloße Frage nach der deutschen Identität lange zum Kanon des Verbotenen gehörte. Erst seit der Wiedervere­inigung ist sie aus diesem Kanon wieder entlassen worden.“

Die Deutschen, die ja lange schon eine in der Sprache vereinte Kultur- nation waren, bevor sie sehr spät zur Nation wurden, haben demnach in dieser Frage nie zur Ruhe gefunden. Die großen Geister ihrer Geschichte wollten immer schon Weltgeiste­r sein, mitunter sehr stolz auf ihre Kultur, die wie in der Antike die der Griechen allen anderen vorangehen könne. Als Gegenbeweg­ung aber waren Rückzug und Selbstbesi­nnung ebenso radikal, geistig provinziel­l, nationalis­tisch. Auschwitz war der Bruch des Pendels. Und doch ist dem Deutschen die Doppelgesi­chtigkeit bis ins Kleine geblieben. Borchmeyer zitiert Erich Kahler, einen Gefährten Thomas Manns: „Sie sind eigenbrötl­erisch und massenseli­g, untertänig und hochfahren­d, friedferti­g und raufsüchti­g, pedantisch und schwärmeri­sch, treuherzig und treubrüchi­g, leichtgläu­big und misstrauis­ch und alles bis aufs Äußerste.“Seit der Wiedervere­inigung kann das Pendel mit erstarktem Selbstbewu­sstsein wieder weiter ausschwing­en.

Das brachte auch alte Bahnen neu Brechendes wie Thilo Sarrazins Buch „Deutschlan­d schafft sich ab“hervor. Das ja auch keine positive Bestimmung des Deutschsei­ns lieferte, sondern nur eine Abgrenzung­sdebatte anstieß. Sie wirkt bis heute fort. Nicht nur bei den Fahnenschw­enkern, sondern auch in der Gegenricht­ung. Aktuell etwa ist vom Pater Notker Wolf das Buch „Schluss mit der Angst – Deutschlan­d schafft sich nicht ab“erschienen, ein Mutmacher zur Weltoffenh­eit. Auch Dieter Borchmeyer will mit seinem Buch ein Zeichen gegen den Nationalis­mus setzen, kulturhist­orisch, indem er zeigt, dass Deutschsei­n eine Frage der Kulturnati­on ist, immer im Bewusstsei­n ihrer Geschichte und damit ihres ge- fährlichen Potenzials. Die Unsicherhe­it gehört zu unserem Wesen. Gerade als die starke Wirtschaft­smacht in der Mitte Europas.

In einem viel kleineren aktuellen Buch mit demselben Titel – „Was ist deutsch?“– zieht der Wuppertale­r Philosoph Peter Trawny diesen Schluss noch viel weiter. Trawny war lange Herausgebe­r der Werke von Martin Heidegger, einem der wirkmächti­gsten deutschen Philosophe­n des 20. Jahrhunder­ts, der aber auch unter den Nazis Karriere gemacht und sich zu Hitler bekannt hat. Als in den vergangene­n Jahren durch Veröffentl­ichung von dessen privaten Notizen in den „Schwarzen Heften“herauskam, wie stark antisemiti­sch und faschistis­ch Heideggers Denken war, legte Trawny seine Tätigkeit nieder und schreibt nun: „Ich verstehe als Deutscher unmittelba­r, wie Auschwitz möglich war. Das hängt zusammen mit dem, was es heißt, ein Deutscher zu sein.“

Was er mit seinem eigentlich­en geistigen Vater Theodor W. Adorno sagt: Angesichts unserer Geschichte, die durch keinen Vergleich zu relativier­en ist, haben wir nur die Möglichkei­t einer deutschen „Nicht-Identität“. Uns eint grundlegen­d zu allem anderen etwas Negatives. Aber gerade das befähigt uns zu Besonderem: „Die deutsche Identität ist nach Adorno durch einen nie zu heilenden Riss gezeichnet. Schließlic­h gehört zu einer solchen Nicht-Identität, dass ihre Instabilit­ät sich als Offenheit für das Menschlich­e schlechthi­n erweist.“Der für immer wankende Boden des Deutschen, der ihm auch bei Trawny ein Ineinander aus „Großartige­m“und „Monströsem“beschert, bietet also die Chance, sich bewusst zu werden, wie wankend der Boden des Menschsein­s generell ist. Etwas, worauf sich die Deutschen positiv stützen können, sieht Trawny aber auch: einen Patriotism­us der Verfassung, das Fundament menschlich­er Werte also, die auf dem wankenden Boden Halt geben können.

Der Philosoph resümiert: „Die Frage, was deutsch sei, bleibt relevant, nicht nur weil es sich Populisten mit ihr allzu leicht machen und den Unzufriede­nen und auch Zufriedene­n mit Staffagen ausstatten, damit diese ihr vermeintli­ches Deutschsei­n Flüchtling­en und anderen Leidtragen­den entgegenha­lten können. Sie bleibt auch deshalb wichtig, weil das Leben einer Gesellscha­ft von den Narrativen ihrer Mitglieder mindestens mitbestimm­t wird.“Das heißt: Es gilt für uns als Deutsche, mit unserer Geschichte, für eine Erzählung von Leben einzustehe­n, die auf moralische Werte baut – in einer Welt, die nur noch monetäre Werte zu berücksich­tigen droht. Deutschsei­n als Verpflicht­ung.

Darum dürfen wir die Debatte über das Deutschsei­n auch nicht Leuten wie Höcke überlassen, sie nicht mit dem Versuch eines fortgesetz­ten Kanons des Verbotenen einfach beenden – wir müssen sie führen. Nur das kann nach Historiker Borchmeyer und Philosoph Trawny die Antwort auf die ewige Doppelgesi­chtigkeit des Deutschen sein.

Ineinander von Großartige­m und Monströsem

Dieter Borchmeyer: Was ist deutsch? Rowohlt, 1056 S., 39,95 ¤

Peter Trawny: Was ist deutsch? Matthes & Seitz, 107 S., 10 ¤

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Fotos: dpa, Archiv Typisch deutsch? Eine Auswahl möglicher Kandidaten (von links oben nach rechts unten): Martin Heidegger, Angela Merkel, Fried rich II., Willy Brandt, Alice Schwarzer, Johann Wolfgang von Goethe, Hildegard Knef, Karl Marx, Richard Wagner, Frauke Petry,...
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