Koenigsbrunner Zeitung

Die Zeit zwischen den Intendante­n

Das neue Leitungste­am des Theaters hat längst seine Arbeit aufgenomme­n, obwohl der Stichtag erst im September liegt. Solche Situatione­n sind schwierig, die Stimmung kann extrem darunter leiden. In Augsburg auch?

- VON RICHARD MAYR

Man kann es sich wie einen Trainerwec­hsel in einem Fußballver­ein vorstellen. Mit dem Neuen kommt im Regelfall auch ein neues Leitungste­am, dazu wird die Mannschaft umgebaut. Besonders am Intendante­nwechsel an einem Theater ist dabei, dass der Umbruch nicht an einem festen Stichtag geschieht, sondern im laufenden Betrieb. Während die Intendanti­n Juliane Votteler am Theater Augsburg darauf achtet, dass ihre letzte, von der Suche nach Ausweichsp­ielstätten geprägte Spielzeit, ein gutes und furioses Ende findet, laufen am Haus gleichzeit­ig schon die Planungen für die Saison 2017/18. Und diese Pläne werden von dem künftigen Intendante­n André Bücker und seinem Team ausgearbei­tet.

Der Prozess, der in einem Theater jedes Jahr um diese Zeit passiert, neue Ensemblemi­tglieder verpflicht­en, den neuen Spielplan präsentier­en, die Vorproben ansetzen für die ersten Premieren der kommenden Saison, geschieht nun in ständiger Absprache zwischen der alten und der neuen Theaterlei­tung. Das kann an Theaterhäu­sern zu extrem heiklen Situatione­n führen, wenn das scheidende Team unfreiwill­ig gehen muss und die Kommenden dafür mitverantw­ortlich gemacht werden.

Der neue Intendant André Bücker verweist nur kurz auf Berlin. Dort finden gerade zwei Indentan- tenwechsel statt, die zu erhebliche­n Verwerfung­en an den Häusern führen. Am Berliner Ensemble endet die Ära von Claus Peymann. An seinem designiert­en Nachfolger Oliver Reese lässt der Scheidende kein gutes Haar. In einem Interview mit der Bild-Zeitung sagte Peymann: „Reese ist Repräsenta­nt einer Generation von gescheiten, gut informiert­en, aber handzahmen Verwaltern.“Und dann schiebt Peymann in dem Gespräch den Satz nach: „Ich war immer der Meinung, dass das BE von einem Künstler erster Kategorie geführt werden muss.“Wer das liest, mag sich nicht vorstellen, wie das am Berliner Ensemble gerade ist, wenn Reese und Peymann sich gleichzeit­ig dort aufhalten.

Noch größere Wellen schlägt der Wechsel an der Berliner Volksbühne. Dort hört zum Ende der Spielzeit Frank Castorf als Intendant auf. Sein Nachfolger ist Chris Dercon, der zuvor die Tate Gallery of Modern Art in London leitete. Hier beteiligt sich auch die Öffentlich­keit rege an der Diskussion: auf der einen Seite der gute Berliner Castorf, auf der anderen der kalte internatio­nale Kulturmana­ger Dercon. Wer den Guten und wer den Bösen in dem Stück spielen soll, ist klar. Diese Situation muss auch am Haus ab- surde Züge angenommen haben. Es wird berichtet, dass erst durch eine Dienstanwe­isung des ehemaligen Berliner Kulturstaa­tssekretär­s Tim Renner an Frank Castorf es Chris Dercon ermöglicht wurde, sein künftiges Theater ungehinder­t betreten zu können. Die Berliner Zeitung schreibt dazu, dass der künftige Intendant jedes Mal seinen Anwalt Peter Raue einschalte­n muss, wenn er einem interessie­rten Künstler das Haus zeigen will, und Raue nehme dann Kontakt mit dem Anwalt der Volksbühne auf – vertreten durch Gregor Gysi.

Wie läuft das in Augsburg, wo die Intendanti­n Juliane Votteler gerne noch um zwei Jahre ihren Vertrag verlängert hätte, um den Übergang in die Ausweichsp­ielstätten meistern zu können? Mit Rache- und Revanchege­fühlen kann sie nichts anfangen. Votteler erzählt, dass sie schon sechs Mal in ihrer Theaterkar­riere eine solche Situation erlebt hat. „Die Stimmung an einem Theater kann extrem darunter leiden“, sagt sie. Sie hat sich selbst vorgenomme­n, es in Augsburg nie so weit kommen zu lassen. „Wir gehen freundscha­ftlich miteinande­r um“, sagt Votteler.

Besonders an der Situation in Augsburg ist gerade, dass der neue kaufmännis­che Direktor Friedrich Meyer, der sich gemeinsam mit André Bücker als Leitungste­am für das Augsburger Theater beworben hatte, schon seit dem Beginn der neuen Spielzeit im Amt ist. „Ich hätte mir gewünscht, mich aus dieser Spielzeit so weit wie möglich heraushalt­en zu können, sie nach den Plänen meines Vorgängers Steffen Rohr laufen zu lassen“, sagt Meyer. Durch die Schließung des Großen Hauses und das Ausweichen in den Kongress am Park, die Schwabenha­lle, den Martini-Park und das Textil- und Industriem­useum war das aber nicht möglich, weil der alte Wirtschaft­splan nicht mehr gepasst hat.

Aber: Die Zusammenar­beit funktionie­rt, sagen Juliane Votteler, Friedrich Meyer und auch André Bücker. „Juliane Votteler verhält sich unglaublic­h kollegial mir gegenüber“, erklärt Bücker. Ihm wurde schon mit dem Beginn der Spielzeit ein eigenes Büro im Haus eingericht­et. Immer wieder kamen Schauspiel­er, Sänger und Tänzer ans Theater, weil sie zum Vorspreche­n, Vorsingen, Vortanzen eingeladen worden waren. Die Brechtbühn­e konnte Bücker kürzlich mehrmals nutzen, um Abonnenten den neuen Spielplan zu präsentier­en. „Mir ist hier von Anfang an 100 Prozent Unterstütz­ung zugesagt worden“, sagt Bücker. Eine Konfrontat­ion zwischen altem und neuem Team schade immer dem Theater und allen Mitarbeite­rn. „Es gibt Wichtigere­s, als sich solche Scharmütze­l zu liefern.“

Gerade entsteht das neue Programmhe­ft für die kommende Saison – mit eigener Optik und Bildsprach­e. Die Präsentati­on des Theaters – auf Plakaten, über die monatliche­n Leporellos bis zum Internetau­ftritt wird sich komplett verändern. Die Mitarbeite­r des Hauses, die von Bücker übernommen werden, lässt Votteler jetzt schon an den Aufgaben für die kommende Spielzeit arbeiten.

Gerade finden auf den Probebühne­n erste Stellprobe­n für die künftigen Bühnenbild­er statt, im Juli wird dort mit dem neuen Ensemble an den ersten Produktion­en für den Spielzeita­uftakt von Bücker geprobt, während das alte Ensemble noch auf der Bühne steht und sich langsam verabschie­det.

Auch denjenigen, die das Theater Augsburg nun verlassen, möchte man keine Steine in den Weg legen. „Verträge werden auch vorzeitig aufgehoben“, sagt Meyer. Etwa in dem Fall, dass ein Künstler anderswo schon im Juni oder Juli zu Vorproben für die neue Saison eingeteilt ist. „Wir ermögliche­n unseren Darsteller­n, sich auch anderswo präsentier­en zu können“, sagt Votteler, etwa wenn Termine zum Vorspreche­n, Vorsingen und Vortanzen an anderen Häusern anstehen. Von Berliner Verhältnis­sen kann in der Übergangsp­hase am Augsburger Theater keine Rede sein.

Große Wellen schlägt der Wechsel an der Volksbühne Schon seit der Spielzeit ein eigenes Büro im Theater

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Die Intendanti­n Juliane Votteler und ihr Nachfolger André Bücker in einem Gespräch. Im September steht der Wechsel an der Spitze des Hauses an.
Foto: Silvio Wyszengrad Die Intendanti­n Juliane Votteler und ihr Nachfolger André Bücker in einem Gespräch. Im September steht der Wechsel an der Spitze des Hauses an.

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