Die Zeit zwischen den Intendanten
Das neue Leitungsteam des Theaters hat längst seine Arbeit aufgenommen, obwohl der Stichtag erst im September liegt. Solche Situationen sind schwierig, die Stimmung kann extrem darunter leiden. In Augsburg auch?
Man kann es sich wie einen Trainerwechsel in einem Fußballverein vorstellen. Mit dem Neuen kommt im Regelfall auch ein neues Leitungsteam, dazu wird die Mannschaft umgebaut. Besonders am Intendantenwechsel an einem Theater ist dabei, dass der Umbruch nicht an einem festen Stichtag geschieht, sondern im laufenden Betrieb. Während die Intendantin Juliane Votteler am Theater Augsburg darauf achtet, dass ihre letzte, von der Suche nach Ausweichspielstätten geprägte Spielzeit, ein gutes und furioses Ende findet, laufen am Haus gleichzeitig schon die Planungen für die Saison 2017/18. Und diese Pläne werden von dem künftigen Intendanten André Bücker und seinem Team ausgearbeitet.
Der Prozess, der in einem Theater jedes Jahr um diese Zeit passiert, neue Ensemblemitglieder verpflichten, den neuen Spielplan präsentieren, die Vorproben ansetzen für die ersten Premieren der kommenden Saison, geschieht nun in ständiger Absprache zwischen der alten und der neuen Theaterleitung. Das kann an Theaterhäusern zu extrem heiklen Situationen führen, wenn das scheidende Team unfreiwillig gehen muss und die Kommenden dafür mitverantwortlich gemacht werden.
Der neue Intendant André Bücker verweist nur kurz auf Berlin. Dort finden gerade zwei Indentan- tenwechsel statt, die zu erheblichen Verwerfungen an den Häusern führen. Am Berliner Ensemble endet die Ära von Claus Peymann. An seinem designierten Nachfolger Oliver Reese lässt der Scheidende kein gutes Haar. In einem Interview mit der Bild-Zeitung sagte Peymann: „Reese ist Repräsentant einer Generation von gescheiten, gut informierten, aber handzahmen Verwaltern.“Und dann schiebt Peymann in dem Gespräch den Satz nach: „Ich war immer der Meinung, dass das BE von einem Künstler erster Kategorie geführt werden muss.“Wer das liest, mag sich nicht vorstellen, wie das am Berliner Ensemble gerade ist, wenn Reese und Peymann sich gleichzeitig dort aufhalten.
Noch größere Wellen schlägt der Wechsel an der Berliner Volksbühne. Dort hört zum Ende der Spielzeit Frank Castorf als Intendant auf. Sein Nachfolger ist Chris Dercon, der zuvor die Tate Gallery of Modern Art in London leitete. Hier beteiligt sich auch die Öffentlichkeit rege an der Diskussion: auf der einen Seite der gute Berliner Castorf, auf der anderen der kalte internationale Kulturmanager Dercon. Wer den Guten und wer den Bösen in dem Stück spielen soll, ist klar. Diese Situation muss auch am Haus ab- surde Züge angenommen haben. Es wird berichtet, dass erst durch eine Dienstanweisung des ehemaligen Berliner Kulturstaatssekretärs Tim Renner an Frank Castorf es Chris Dercon ermöglicht wurde, sein künftiges Theater ungehindert betreten zu können. Die Berliner Zeitung schreibt dazu, dass der künftige Intendant jedes Mal seinen Anwalt Peter Raue einschalten muss, wenn er einem interessierten Künstler das Haus zeigen will, und Raue nehme dann Kontakt mit dem Anwalt der Volksbühne auf – vertreten durch Gregor Gysi.
Wie läuft das in Augsburg, wo die Intendantin Juliane Votteler gerne noch um zwei Jahre ihren Vertrag verlängert hätte, um den Übergang in die Ausweichspielstätten meistern zu können? Mit Rache- und Revanchegefühlen kann sie nichts anfangen. Votteler erzählt, dass sie schon sechs Mal in ihrer Theaterkarriere eine solche Situation erlebt hat. „Die Stimmung an einem Theater kann extrem darunter leiden“, sagt sie. Sie hat sich selbst vorgenommen, es in Augsburg nie so weit kommen zu lassen. „Wir gehen freundschaftlich miteinander um“, sagt Votteler.
Besonders an der Situation in Augsburg ist gerade, dass der neue kaufmännische Direktor Friedrich Meyer, der sich gemeinsam mit André Bücker als Leitungsteam für das Augsburger Theater beworben hatte, schon seit dem Beginn der neuen Spielzeit im Amt ist. „Ich hätte mir gewünscht, mich aus dieser Spielzeit so weit wie möglich heraushalten zu können, sie nach den Plänen meines Vorgängers Steffen Rohr laufen zu lassen“, sagt Meyer. Durch die Schließung des Großen Hauses und das Ausweichen in den Kongress am Park, die Schwabenhalle, den Martini-Park und das Textil- und Industriemuseum war das aber nicht möglich, weil der alte Wirtschaftsplan nicht mehr gepasst hat.
Aber: Die Zusammenarbeit funktioniert, sagen Juliane Votteler, Friedrich Meyer und auch André Bücker. „Juliane Votteler verhält sich unglaublich kollegial mir gegenüber“, erklärt Bücker. Ihm wurde schon mit dem Beginn der Spielzeit ein eigenes Büro im Haus eingerichtet. Immer wieder kamen Schauspieler, Sänger und Tänzer ans Theater, weil sie zum Vorsprechen, Vorsingen, Vortanzen eingeladen worden waren. Die Brechtbühne konnte Bücker kürzlich mehrmals nutzen, um Abonnenten den neuen Spielplan zu präsentieren. „Mir ist hier von Anfang an 100 Prozent Unterstützung zugesagt worden“, sagt Bücker. Eine Konfrontation zwischen altem und neuem Team schade immer dem Theater und allen Mitarbeitern. „Es gibt Wichtigeres, als sich solche Scharmützel zu liefern.“
Gerade entsteht das neue Programmheft für die kommende Saison – mit eigener Optik und Bildsprache. Die Präsentation des Theaters – auf Plakaten, über die monatlichen Leporellos bis zum Internetauftritt wird sich komplett verändern. Die Mitarbeiter des Hauses, die von Bücker übernommen werden, lässt Votteler jetzt schon an den Aufgaben für die kommende Spielzeit arbeiten.
Gerade finden auf den Probebühnen erste Stellproben für die künftigen Bühnenbilder statt, im Juli wird dort mit dem neuen Ensemble an den ersten Produktionen für den Spielzeitauftakt von Bücker geprobt, während das alte Ensemble noch auf der Bühne steht und sich langsam verabschiedet.
Auch denjenigen, die das Theater Augsburg nun verlassen, möchte man keine Steine in den Weg legen. „Verträge werden auch vorzeitig aufgehoben“, sagt Meyer. Etwa in dem Fall, dass ein Künstler anderswo schon im Juni oder Juli zu Vorproben für die neue Saison eingeteilt ist. „Wir ermöglichen unseren Darstellern, sich auch anderswo präsentieren zu können“, sagt Votteler, etwa wenn Termine zum Vorsprechen, Vorsingen und Vortanzen an anderen Häusern anstehen. Von Berliner Verhältnissen kann in der Übergangsphase am Augsburger Theater keine Rede sein.
Große Wellen schlägt der Wechsel an der Volksbühne Schon seit der Spielzeit ein eigenes Büro im Theater