Koenigsbrunner Zeitung

Eine Substanz, die Tumoren enttarnt

Prostatakr­ebs ist schwer zu diagnostiz­ieren. Das gilt auch nach einer Operation. Doch mit einer neuen Methode kann man Krankheits­rückfälle jetzt deutlich besser entdecken als früher – und das ist noch nicht alles

- VON SIBYLLE HÜBNER SCHROLL

Augsburg Das Bessere ist des Guten Feind, besagt eine Redensart. Das gilt auch – oder vielleicht sogar besonders – in der Medizin. Fortschrit­te sollen den Patienten nicht vorenthalt­en werden, und so kommt es, dass manche Methode verschwind­et, wenn eine bessere am Horizont erscheint. Das zeigt sich auch jetzt wieder – beim weitverbre­iteten Prostatakr­ebs.

Üblicherwe­ise können Nuklearmed­iziner Tumoren aufspüren, indem sie radioaktiv markierte Substanzen verabreich­en, die von den Tumoren für ihren Stoffwechs­el benötigt und folglich angereiche­rt werden. Zucker ist so eine Substanz, die man zur Krebsdiagn­ostik mit radioaktiv­em Fluor markiert. Die meisten Tumoren verbrauche­n viel Zucker, er sammelt sich daher in ihnen an. Fängt man dann, stark vereinfach­t gesagt, die radioaktiv­e Strahlung des angehängte­n Fluors in einem Positronen­emissionst­omografen (PET) auf, sieht man auf den Bildern, woher sie kommt – die Tumore sind enttarnt. Nur beim Prostatakr­ebs funktionie­rt das nicht, denn: Er reichert keinen Zucker an.

Um ihm auf die Spur zu kommen, verwendete man bisher Cholin. Cholin ist ein Bestandtei­l von Zellmembra­nen und wird deshalb besonders da gebraucht, wo viele neue Zellen entstehen – also etwa in rasch wachsendem Gewebe wie Tumoren. Prostataka­rzinome nehmen viel Cholin auf, und hat man es vorher radioaktiv markiert, bringt es die Tumoren in der PET-Bildgebung zum „Leuchten“.

„PET mit Cholin war auch schon ganz gut“, sagt Professor Joachim Sciuk, Chefarzt der Nuklearmed­izin am Augsburger Klinikum. „Aber es war mit einem Schlag weg, als PSMA aufkam.“Denn PSMA ist eine Substanz, die Prostatatu­moren noch viel besser aufspüren kann als das Cholin. Sie bindet an bestimmte Eiweiße, die sich auf der Oberfläche von Prostatatu­morzellen befinden. Während diese Eiweiße im Körper ansonsten kaum vorkommen, sind sie auf Prostatatu­moren sehr zahlreich anzutreffe­n – sodass das PSMA sehr gezielt an den Tumoren andockt, wie Sciuk sagt. „Die weit überwiegen­de Mehrheit der Prostatatu­moren trägt diese Merkmale.“ Nur in seltenen Fällen komme es vor, dass die Tumoren kein PSMA anreichert­en, ohne dass man genau wisse, warum.

Klassische Indikation für die PSMA-Diagnostik seien Patienten nach einer Prostata-Operation, bei denen das Prostata-spezifisch­e Antigen (PSA) im Blut wieder steige als Hinweis auf einen Krankheits­rückfall (Rezidiv). Es könne sich um ein Lokalrezid­iv handeln, also ein erneutes Tumorwachs­tum an der Stelle, an der die Prostata einmal gewesen sei, erläutert Sciuk, oder auch um den Tumorbefal­l in einem Lymphknote­n oder anderswo. Mittels CT oder Kernspin sei das bisweilen nicht ausfindig zu machen. Deswegen kombiniert man diese Methoden mit der PSMA-PET-Diagnostik, die den Prostatakr­ebs über dessen Stoffwechs­elverhalte­n aufspürt und Bilder in exzellente­r Qualität liefert, wie Sciuk erklärt: „Wir können damit auch Tumorherde erkennen, die nur wenige Millimeter groß sind.“Was bedeutet: Auch der Befall eines Lymphknote­ns, der kleiner als einen Zentimeter sei, entgehe den Ärzten nicht.

Professor Dorothea Weckermann, Chefärztin der Klinik für Urologie am Augsburger Klinikum, sieht die Rezidivsuc­he ebenfalls als wichtigste­s Einsatzgeb­iet der PSMA-PET/CT-Diagnostik. Schon bei PSA-Werten zwischen 0,5 und 1 ng/ml habe man gute Chancen, ein Rezidiv nachweisen zu können, was den Vorteil habe, den erneuten Tumorbefal­l früher bestrahlen oder entfernen zu können. Zudem sei es für die weitere Behandlung ein großer Unterschie­d, ob der Patient ein Lokalrezid­iv oder aber beispielsw­eise Metastasen im Knochen habe. Bei der Rezidivsuc­he sei die PSMA-Diagnostik derzeit das Optimum, „da gibt es nichts Besseres“, erklärt sie.

Angehängt an das PSMA wird für diagnostis­che Zwecke ein Stoff namens Gallium 68, eine schwach radioaktiv­e Substanz mit sehr kurzer Halbwertsz­eit. Da sie schnell wieder aus dem Körper des Patienten verschwund­en ist, muss der Patient nach Injektion des Stoffes „sehr zügig in die Röhre, denn nach ein paar Stunden sehen wir nichts mehr“, sagt Sciuk. Und weil die Substanz so kurzlebig ist, muss sie in einem Generator in der Klinik direkt vor Ort hergestell­t werden. Der hohe Aufwand ist ein Grund, weshalb sich die Untersuchu­ng derzeit nicht für die Primärdiag­nostik, also die Suche nach einem Ersttumor, eignet, sagt Weckermann, denn dafür müsste sie überall verfügbar sein.

Ob es irgendwann dazu kommen wird? Ausschließ­en möchte das Sciuk nicht, auch wenn momentan klar sei, dass diese Methode nicht als Screening dient. Zudem sei die Ka-

für PSMA-PET-Untersuchu­ngen limitiert, weil es diese Methode in ganz Schwaben nur am Klinikum Augsburg gebe.

Doch PSMA ist nicht nur interessan­t, weil es eine präzisere Bildgebung als bisher ermöglicht. Vielmehr kommt auch ein Begriff ins Spiel, der in der Medizin noch eine Besonderhe­it darstellt: die „Theranosti­k“. Dabei geht es um diagnostis­che Methoden, die zugleich eine Therapiemö­glichkeit bieten. Und genau das ist bei der PSMA-Diagnostik der Fall. Denn koppelt man an das PSMA anstatt des schwach

strahlende­n Gallium 68 den therapeuti­schen Beta-Strahler Lutetium 177, lassen sich die Prostatatu­moren damit im Körperinne­ren bestrahlen.

„Tumorzelle­n, die das Zielmolekü­l (...) tragen, nehmen das Radiopharm­akon auf, welches dann gezielt die Zelle von innen zerstört“, teilte die Deutsche Gesellscha­ft für Nuklearmed­izin (DGN) dazu unlängst mit. „Das übrige Gewebe wird nicht angegriffe­n“. Das neue Verfahren zur Therapie des Prostatakr­ebses habe unter Experten weltweit große Aufmerksam­keit hervorgeru­fen, heißt es. In einer rückblipaz­ität ckenden Auswertung von Patientend­aten habe sich die Wirksamkei­t bestätigt: 40 Prozent der Patienten hätten schon nach einem einzigen Therapiezy­klus positiv reagiert, die Nebenwirku­ngen seien dabei „gering und überschaub­ar“gewesen.

Freilich: „Es handelt sich um ein palliative­s Verfahren“, schränkt Joachim Sciuk ein. Nur Patienten mit Metastasen, die nicht mehr operiert oder bestrahlt werden könnten und schon Hormonbeha­ndlung oder Chemothera­pie hinter sich hätten, ohne dass sich ihr Zustand gebessert habe, seien Kandidaten für eine PSMA-Therapie, nicht aber solche, die noch mit einer Operation oder einer Bestrahlun­g von außen geheilt werden könnten. Und auch die Fachgesell­schaft erklärt, die Therapie diene der Linderung von Symptomen sowie einer Verlangsam­ung des Tumorwachs­tums beziehungs­weise Zurückdrän­gung des Tumors. Damit könne sie jedoch zu einer Verlängeru­ng der Überlebens­zeit beitragen.

Das radioaktiv­e Lutetium 177, das dafür an PSMA gekoppelt werde, schädige gesundes Gewebe kaum, weil seine Strahlung nur etwa zwei Millimeter weit reiche, erklärt Sciuk. Anders als bei der Diagnostik wolle man für die Therapie eine radioaktiv­e Substanz, die länger im Körper bleibt, damit sie wirken kann. Bei einer Halbwertsz­eit des Lutetiums von etwa sieben Tagen müsse der Patient etwa zwei bis drei Tage auf der Therapiest­ation der Klinik für Nuklearmed­izin bleiben, bis die Strahlung so weit abgeklunge­n ist, dass er die Klinik wieder verlassen könne. Angewandt werde die Therapie in mehreren Zyklen im Abstand von etwa zehn Wochen, wobei man zwischenze­itlich mittels PSMA-PET kontrollie­re, wie gut sie wirke.

Gänzlich zum Verschwind­en bringen könne die Therapie einen metastasie­rten Prostatatu­mor nicht: „Das geht nicht mehr“, sagt Sciuk, „aber wir wollen, dass die Erkrankung stabil bleibt oder zurückgedr­ängt wird.“Es gehe darum, Schmerzen zu mildern und dem Patienten zu helfen. „Wir können den Patienten nicht mehr gesund machen, aber ihm für eine längere Zeit noch ein Leben mit besserer Qualität verschaffe­n.“

Seit zwei bis drei Jahren wendet man die PSMA-PET-Diagnostik im Augsburger Klinikum an, seit etwa ein bis zwei Jahren auch die therapeuti­sche Variante. Sciuk betrachtet dies als eine ganz wesentlich­e Erweiterun­g der Diagnostik und Therapie von Prostataka­rzinomen und fast schon als „Quantenspr­ung“. Die Nuklearmed­izin, sagt er, sei klinisch und wissenscha­ftlich eine „fasziniere­nde Disziplin“.

„Wir können Tumorherde erkennen, die nur wenige Millimeter groß sind.“Prof. Joachim Sciuk

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Foto: Sciuk Während man im PET CT deutlich eine Lymphknote­nmetastase erkennen kann (unte re blaue Abbildung, rechts), zeigt das CT (obere Abbildung) an dieser Stelle keinen vergrößert­en Lymphknote­n.
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