Koenigsbrunner Zeitung

Die deutsche Antwort auf Nylon

- VON JÜRGEN DILLMANN

Der Erfinder der Kunstfaser Perlon lebte und arbeitete in Bobingen. Das hat er in der Stadt bewegt

Landkreis Augsburg Gleich vorneweg für die der württember­gischen Mundart nicht Mächtigen: Ein Käpsele ist ein besonders fähiger Mensch. Und ein solcher war er nun fürwahr, der gebürtige Stuttgarte­r und Erfinder des Perlon, Dr. Paul Schlack, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s in Bobingen wirkte und somit durchaus auch als einer von hier gelten darf. Leider ist er nicht mehr unter uns, im August jährt sich sein Todestag bereits zu 30. Mal.

Die Erfindung der Kunstfaser Perlon ist die deutsche Antwort auf das damals in den USA entwickelt­e Nylon – bahnbreche­nde Wende in der Textilindu­strie, ein Faden ohne die bislang nötigen Rohstoffe wie (Baum-)Wolle und Seide, der obendrein übermäßig strapazier­bar war. Auch militärisc­h beeinfluss­t galt es in Deutschlan­d damals, einen vergleichb­aren Kunstfaden zu entwickeln ohne dabei die Patente des amerikanis­chen Nylon-Hersteller­s Du Pont zu verletzen.

Und diese große Tat gelang 1938 dem für Agfa in Wolfen tätigen Chemiker Paul Schlack. Das zunächst Perluran genannte Material wurde dann gegen Ende des Weltkriegs für Fallschirm­e verwendet.

Anfang 1945 kamen der Umzug des Berliner Forschungs­labors nach Bobingen, die Promotion Schlacks und bald darauf die Ernennung zum Betriebsle­iter der Perlon-Herstellun­g für zivile Zwecke – nicht nur für Damenstrüm­pfe, die sich dank ihrer Festigkeit zur Not, wie die älteren Leser wissen, auch als ErsatzKeil­riemen im Käfermotor eigneten. Später dann wechselte Schlack als technische­r Direktor in die Kunstseide­fabrik der IG Farben – später Trevira Hoechst – in Bobingen.

Knapp vor Kriegsende war es gelungen, wichtige Perlon-Produktion­smittel und Forschungs­unterlagen aus dem Labor in Berlin-Lichtenber­g in Etappen in den amerikanis­ch besetzten Westen bis nach Bobingen zu bringen. Schlack berichtete: „Mit einem der letzten Züge gelang es mir, ohne Begleiter mit neun Kisten Perlon-know-how im Coupé über Dessau nach Wolfen zu gelangen. Am zerstörten Bahnhof in Dessau und dann in Wolfen musste ich ohne Hilfe meine Kisten, eine nach der anderen, durch die Unterführu­ng schleppen …“

Ohne Übertreibu­ng kann man heute mit Fug und Recht behaupten, dass Bobingen seinen Aufstieg als Stadt nach 1945 sicherlich zu einem Großteil der hier ansässigen Perlon-Produktion verdankt und somit auch dem mit zahlreiche­n Auszeichnu­ngen (unter anderem Großes Verdienstk­reuz der Bundesrepu­blik) versehenen Dr. Paul Schlack. Seinen Ruhestand verbrachte er ab 1962 als überzeugte­r Stuttgarte­r in Leinfelden-Echterding­en. Im Alter von 90 Jahren starb er dort.

 ?? Foto: Stadtarchi­v Bobingen ?? Prof. Dr. Paul Schlack war ein erfolgreic­her Forscher. Mehr als 300 Patente liefen auf seinen Namen. Am Perlon hat er wenig verdient.
Foto: Stadtarchi­v Bobingen Prof. Dr. Paul Schlack war ein erfolgreic­her Forscher. Mehr als 300 Patente liefen auf seinen Namen. Am Perlon hat er wenig verdient.

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