Händler rücken in der Not eng zusammen
Seit über einer Woche ist der Judenberg wegen einer Baustelle gesperrt. Der Umsatz in den Geschäften dort ist deutlich gesunken, weil vor allem die Laufkundschaft fehlt. Was sich die Ladeninhaber für ihre Kunden einfallen lassen
Wie sie denn jetzt hoch in die Stadt kommen sollen, fragt ein Ehepaar, das ratlos unten am Judenberg vor der Baustelle steht. Die Vollsperrung des Bergs, die am Montag vergangener Woche begann und sieben Wochen dauert, zwingt Passanten, andere Wege zu gehen. Das merken vor allem die Inhaber der am Berg ansässigen Geschäfte, die weiterhin geöffnet haben. Einige haben sich etwas einfallen lassen.
Fakt ist, dass derzeit die für Fußgänger wichtigste Verbindung von der unteren in die obere Stadt gekappt ist. Unter anderem wegen der Verlegung der Fernwärmeleitung wird das Pflaster am Judenberg aufgerissen. Große Schilder weisen die Passanten auf die beiden Umleitungsmöglichkeiten Hunoldsberg oder die Treppen am Rathaus (Eisenberg) hin. Obwohl der Hunoldsberg explizit für Radfahrer und Eltern mit Kinderwagen ausgeschildert ist, sieht man in diesen Tagen oft Menschen Räder und Buggys die Stufen am Rathaus hinauf- und hinunterschleppen.
Auch Stephanie Lermen, Pressesprecherin der Stadtwerke, bestätigt, dass Passanten eher auf den Eisenberg ausweichen. Wazer Ahmad Yaqobi hat die Erfahrung gemacht, „dass die Leute nicht so auf die Umleitungsschilder achten“. Der Mann mit der gelben Warnweste steht immer wieder unten am Judenberg und weist die Passanten darauf hin, dass wegen der Baustelle oben Schluss ist. Dort nämlich, wo sich die Kichererbse befindet.
Der kleine Laden, der bei Augsburgern für Falafel geschätzt wird, ist das oberste Geschäft. Inhaber Majed Al Naser sitzt mit seinem Stuhl auf dem kleinen verbliebenen Pflasterfleck vor der Kichererbse und genießt die Sonne. Daneben klafft schon ein Loch im Boden. „Scheiße ist es gerade“, sagt er unumwunden. „Viele Kunden denken, ich habe während der Bauzeit geschlossen. Für mich ist das auch problematisch wegen den Bestellungen.“Im Altstadtcafé schräg gegenüber klingelt wieder das Telefon an der Bar. Nino Özkaya hebt ab: „Ja, ich habe offen.“Es ist eine von derzeit vielen telefonischen Anfragen.
Özkaya schildert, wie die erste Woche lief: „Es kommen eigentlich nur noch Stammgäste vorbei. Die Laufkundschaft fällt weg.“Wenigstens seien ihm Hausbesitzer und Brauerei mit der Miete entgegengekommen. Der Wirt freut sich darüber. Auch Simone Nerdinger erhielt unverhofft Unterstützung. Die Betreiberin des Tee- und Süßwarengeschäfts Joh’s Becker hatte schon in der Weihnachtszeit für Mutter- und Vatertag Süßwaren geordert und bezahlt. Zu dem Zeitpunkt waren die Geschäftsleute noch nicht über die Sperrung informiert. Wie berichtet, hatte unter anderem Nerdinger die Sorge, dass sie auf einem großen Teil der verderblichen Ware sitzen bleiben könnte. Die Stadtwerke, die maßgeblich an den Bauarbeiten am Judenberg beteiligt sind, seien unlängst auf sie zugekommen. „Sie haben mir Ware für den Muttertag abgenommen und verkaufen sie bei sich in drei Kantinen.“Ebenso bekomme sie Unterstützung vom Café EspressUno im Modehaus Wöhrl und von der Boutique Marc Cain, die auch eine Auswahl ihres Sortiments anbieten. Die Ladeninhaberin hält das für tolle Gesten.
Die Einzelhändler scheinen sich über jegliche Hilfe in der Bauzeit zu freuen. Denn seit der Sperrung sind deutlich weniger Menschen in der Altstadt unterwegs als sonst. Das hat auch Johannes Althammer vom Altstadtverein festgestellt. Selbst am sonst so frequentierten Samstag sei der Rückgang spürbar gewesen. Er spricht von einem „extremen Einbruch“für die Geschäfte am Judenberg. Aber auch umliegende Einzelhändler würden die Baustelle spüren. „Ortskundige wählen andere Wege.“Manche mieden grundsätzlich die Altstadt wegen der Sperrung des Judenbergs.
„Schön, dass Sie trotz Baustelle da sind“, sagt deshalb Milana Reitmayer jedem Kunden in ihrem Geschenkeladen Ideenreich am Fuß des Judenbergs. Ihre Einstellung trotz der widrigen Umstände ist: Nicht jammern und aktiv auf Kunden zugehen. Andere Kollegen sehen das genauso. So haben sich acht Ladeninhaber zusammengetan.
Sie schalten im Radio Werbung dafür, dass sie trotz Baustelle geöffnet haben. Zudem verteilen sie an Kunden Gutscheine für die jeweils anderen Geschäfte. Bei Gabriele Hübner vom Bekleidungsgeschäft Mode im Lustgarten in der Weißen Gasse etwa erhält man beim Einkauf entweder einen Gutschein für ein Glas Prosecco in der Trattoria Italiana da Enzo, eine Kugel Eis bei Tutti frutti, einen Espresso im Altstadtcafé oder „eine süße Verführung“in der Chocolaterie Bittersüß am Holbeinplatz. Beteiligt an der Aktion sind außerdem Ideenreich, die Augsburger Schuhkiste, Grünwald Schuhe, der Weltladen, die Boutique Salz des Lebens und das Café Boheme. Hübner kann so gesehen der Baustelle etwas Positives abgewinnen: „Durch die Herausforderung sind wir Geschäftsinhaber in der Altstadt näher zusammengerückt.“»Kommentar