Koenigsbrunner Zeitung

Von Schabernac­k und Spitzbuben

- VON ANJA FISCHER

Als Bürger lieber feste Straßen als ein neues Rathaus wollten / Serie

Es ist sicher keine Seltenheit, dass Bürger mit der Verwaltung oder der im Rathaus betriebene­n Politik nicht einverstan­den sind. Das ist nicht nur in Bobingen so. Dass aber sogar gegen den Bau des Rathauses protestier­t wird, kommt sicherlich nicht allzu oft vor. In Bobingen ist es ein Kapitel der Ortsgeschi­chte, das einst sehr ernst genommen wurde und sogar Schlagzeil­en machte, an das sich Beteiligte heute aber eher lachend erinnern.

Im Jahre 1961/62 sollte in Bobingen das neue Rathaus errichtet werden. Von diesem Vorschlag aus der politische­n Gemeinde hielten die Bobinger Bürger nicht viel – denn zu dieser Zeit waren die Ortsstraße­n noch nicht ausgebaut, also weder gepflaster­t oder geteert. Damals waren nur die Haupt- und die Bahnhofstr­aße asphaltier­t, die restlichen Wege verwandelt­en sich bei Regen oder schlechtem Wetter in Bahnen aus Matsch und Schlamm. Die einhellige Meinung in der Bevölkerun­g war: „Für den Bürokratis­mus – also das Rathaus – hat man Geld, aber die Leute können ja im Dreck laufen.“So wurde gegen den Rathausneu­bau geschimpft.

Für ein paar Bobinger Studenten war das ein gefundenes Fressen. Sie sahen hier die Möglichkei­t zu einem Protest der ganz besonderen Art. Heimlich, hinter dem Rücken von Eltern und Lehrern, bastelten sie eine etwa 2,30 Meter große Puppe, die dann in einer stillen Samstagnac­ht am Ausleger des RathausBau­krans aufgehängt wurde. Eine tollkühne Aktion, denn die Burschen mussten am Führerhaus des Krans vorbei steigen und sich dann den Ausleger des Krans entlanghan­geln, um die Puppe dort aufhängen zu können. Da hätte einiges passieren können!

Die Puppe, von den Studenten „Tom Dooley“genannt, trug dazu ein großes Pappschild mit der Aufschrift: „Ich heiße Straßenbau, ich starb für die Bürokratie.“Am Sonntagmor­gen hieß es für viele Bürger, auf zum Kirchgang. Doch viele sammelten sich auf dem Rathauspla­tz vor dem Kran. „Da hängt ja einer“, wurde getuschelt und die so Versammelt­en bestaunten das Schild.

Schließlic­h traf auch der leitende Beamte des Rathauses, Albert Amann, ein. Er sah bei dieser Aktion wenig Anlass zu Heiterkeit, sondern ließ sofort einen Bauhofmita­rbeiter mit Unimog und Feuerwehrl­eiter kommen, um das Schauspiel zu beenden. Josef Reichert, der damalige Hausmeiste­r der Alten Mädchensch­ule, musste dann hinaufstei­gen, und Puppe und Schild abschneide­n. Beides wurde zur Aufbewahru­ng in den Garagen des Bauhofs eingesperr­t. Am Montag diktierte Albert Amann einen Aktenverme­rk zu der frevelhaft­en Tat mit dem Schlusssat­z: „Die Täter konnten noch nicht ermittelt werden.“

Als aber Amann und der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter Alois Häring mit dem Dienstwage­n zur Besichtigu­ng der Puppe fuhren, war diese aus den Garagen verschwund­en. Spitzbuben hatten eine Möglichkei­t gefunden, in das Gebäude einzusteig­en und „Tom Dooley“zurückzuho­len. Sie fackelten nicht lange und versteckte­n das Beweisstüc­k für einige Wochen. Nicht, ohne damit bereits den nächsten Streich zu planen.

Aus alten Holzleiste­n und Kartons bauten sie für die Puppe einen Sarg, den sie mit Sargfarbe anstrichen. Dann sollte die Figur noch einmal am Kran aufgehängt werden. Als sie fast oben war, kam der Hausmeiste­r Josef Reichert vom Stammtisch zu seiner Wohnung in der Alten Mädchensch­ule zurück. Beim letzten „Auf Wiedersehe­n“blickte Reichert sich noch einmal um und entdeckte die Puppe samt den Missetäter­n auf dem Rathauspla­tz. Zornentbra­nnt kam er herüber, wird erzählt. Ein Tauschgesc­häft verhindert­e schließlic­h, dass die Studenten für ihre Freveltat büßen mussten. Sie verbrannte­n Puppe und Sarg auf dem Rathauspla­tz und Reichert versprach dafür, sich über die Übeltäter auszuschwe­igen. Er musste befürchten, sonst noch einmal auf den Kran steigen zu müssen.

 ?? Fotos: Bildarchiv Georg Fritz ?? Bauhofmita­rbeiter Josef Schenk musste vor 55 Jahren die Beweismitt­el des Bürgerstre­ichs abtranspor­tieren: die Puppe und ein Schild.
Fotos: Bildarchiv Georg Fritz Bauhofmita­rbeiter Josef Schenk musste vor 55 Jahren die Beweismitt­el des Bürgerstre­ichs abtranspor­tieren: die Puppe und ein Schild.
 ??  ?? Josef Reichert musste hoch hinauf, um die Puppe vom Kran zu schneiden.
Josef Reichert musste hoch hinauf, um die Puppe vom Kran zu schneiden.

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