Koenigsbrunner Zeitung

Loriot und die Inquisitio­n

Leseabende in Schwabmünc­hen finden diesmal im Doppelpack statt

- VON HIERONYMUS SCHNEIDER

Schwabmünc­hen Zwei Abende haben es sein müssen. Zwei, weil die literarisc­hen Leseabende in Schwabmünc­hens Museum inzwischen so beliebt sind, dass selbst der große Raum im ersten Stock nicht mehr alle Besucher fassen kann. Passend zu der Ausstellun­g von Luftaufnah­men Schwabmünc­hens aus verschiede­nen Jahrzehnte­n wählte Museumslei­terin Sabine Sünwoldt das Thema „Schöne Aussichten“für beide Abende aus. „Lieber zweimal 50, statt einmal 100 Personen – damit die Luft im Raum für alle ausreicht“, sagte Sünwoldt.

Bei sommerlich­en Temperatur­en war es im Saal trotzdem schwülwarm. In das leichte Sommerprog­ramm mischten Sünwoldt und ihr Sohn Markus Friesenegg­er aber auch satirische und düstere Texte mit weniger guten Aussichten. Beide boten große Vorlesekun­st in Betonung und Dialektfär­bung und interpreti­erten die Texte zur Freude des Publikums sehr lebhaft. Sünwoldt begann mit einem Text von Amelie Fried. „Endlich frei“beschreibt die Aussicht einer Hausfrau und Mutter auf ein freies Wochenende ohne Mann und Kinder. Doch die Verabredun­gen mit Freundinne­n platzen und so endet der Traum enttäuscht alleine vor dem Fernseher. Friesenegg­er befasste sich mit der Aussicht, dass intelligen­te Haushaltsg­eräte die Macht über den Menschen übernehmen und mit dem Blick über eine schöne Bucht, die aber im Nebel verhüllt ist. Mit dem Sehen auf Kommando bei einer Stadtrundf­ahrt durch München warf ein weiterer Text die Frage auf, ob wir nur sehen, was gesehen werden soll. Selma Lagerlöfs Romanfigur Nils Holgersson flog mit Gänsen davon und hatte die Aussicht auf eine viereckige Welt der Felder und Wiesen. Freiherr von Eichendorf­fs Gedicht „Stille am Morgen“entführte auf einen Berggipfel, worauf die übertriebe­nen Bergsteige­rgeschicht­en „Rundherum Abgrund“scheinbare Gefahren schilderte­n, die sich dann als überrasche­nd harmlos darstellte­n.

Im Dialog rezitierte­n Sünwoldt und Friesenegg­er den Loriot-Sketch „Die Jodelschul­e“mit der Aussicht auf ein Diplom, damit „man eine abgeschlos­sene Ausbildung hat“. Mit den dunkelsten Aussichten eines Inquisitio­nsgefangen­en in einem Verlies und der Frage, ob er sich aus der Bedrohung durch schwingend­e Stahlkling­en befreien kann, wurde das Publikum in die Pause entlassen. Die Auflösung kann in der Kurzgeschi­chte „Die Grube und das Pendel“von Edgar Allan Poe nachgelese­n werden. Im zweiten Textblock ging es um Aussichten aufgrund echter oder falscher Versprechu­ngen. So hielten die Frösche in Goethes Gedicht ihr Verspreche­n, zu singen, wenn sie aus dem Teich herauskäme­n nicht, sondern quakten wie zu alter Zeit. Amelie Fried verspricht sich von der Partnersuc­he im Internet endlich einen Mann, der zu ihr passt.

Friesenegg­ers Lesung aus dem Buch „Ach diese Lücke, diese entsetzlic­he Lücke“von Joachim Meyerhoff über eine Wanderung mit Großvaters veralteten Karten sorgte für Erheiterun­g. Diese wurde aber gleich von der schaurigen Geschichte eines Mädchens mit aufgeschni­ttenen Pulsadern aus dem Buch „Am Abgrund ist die Aussicht schöner“ von Heike Wulf zerstört. Im letzten Textblock wurden Aussichten von oben beschriebe­n. Von Monty Pythons schwarzem Humor über eine Schafherde, die auf Bäume klettert und wegfliegen will, bis zu Martin Suters Beobachtun­g von Fluggästen, die zehn Kilometer über dem Meer in einer absoluten Ausnahmesi­tuation eine scheinbare Normalität vortäusche­n. Im „Traum vom Fliegen“schildert die Museumslei­terin die erfolglose­n Erstversuc­he einer Ballonfahr­t des Freiherrn von Lütgendorf im Jahr 1786, die aber dennoch den Ruhm Augsburgs und Gersthofen­s als Ballonfahr­erstädte begründete­n. Mit Gedichten über die Schönheit des Fluges der Schmetterl­inge und Vögel endeten die literarisc­hen Höhenflüge.

Die beiden Vortragskü­nstler gewährten den Zuhörern noch eine köstliche Zugabe von Gerhard Polt mit dem Dialog eines Ehepaares, das sich über die Zukunftsau­ssichten ihres Kleinkinde­s streitet, ob es später einmal Kunstmaler werden solle oder nicht. Die beiden Leseabende wurden von unterschie­dlichen Musikstile­n begleitet. Am ersten Abend zogen die Augsburger Jazz-Legenden Reinhold Bauer am Saxofon und Peter Reschka am Piano alle Register ihres Könnens. Irische FolkMusik interpreti­erten dagegen Marianne Birkle und Gabi Fischer mit originalen von der Grünen Insel stammenden Instrument­en wie einer Irish-Whistle-Blockflöte, Hackbrett und Zither, bei der zweiten Auflage.

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Foto: Hieronymus Schneider Ausdruckss­tark interpreti­erten Markus Friesenegg­er (links) und Sabine Sünwoldt li terarische Texte über schöne, aber auch schaurige Aussichten. Musikalisc­h untermalt wurden die Texte am ersten Abend von den Jazzmusike­rn Peter Reschka und Reinhold Bauer...

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