Koenigsbrunner Zeitung

Schreiende Kinder: Mann stoppt Betrunkene

- VON MICHAEL LINDNER

Eine Frau fährt in Schlangenl­inien und ist nicht alleine im Auto. Als der 25-Jährige das bemerkt, greift er ein. Wie er die gefährlich­e Situation erlebt hat und was die Polizei von dieser Art Zivilcoura­ge hält

Lechfeld Es ist ein schöner frühsommer­licher Abend. Thomas D* fährt mit seiner Frau Sarah* und seinen beiden Kindern gerade nach Hause, sie waren an jenem Sonntag bei seinen Schwiegere­ltern zu Besuch. Als sie zwischen Schwabmünc­hen und Untermeiti­ngen sind, fällt ihnen ein Kleinwagen auf. Die Autofahrer­in streift fast die rechte Leitplanke. „Im ersten Moment habe ich mir dabei nichts Schlimmes gedacht. Ich ging davon aus, dass sie nur irgendetwa­s sucht“, sagt der 25-Jährige aus dem Landkreis Augsburg. Was Thomas zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Die 40-jährige Frau am Steuer ist stark betrunken. Und mit ihr im Auto sind vier kleine Kinder.

Dass die Frau nicht alleine im Wagen sitzt, bemerken auch Thomas und Sarah. Durch die Heckscheib­e des vor ihnen fahrenden Autos erkennen sie die Kinder. Wie sich später herausstel­lt, sind es die drei Kinder der 40-Jährigen im Al- zwischen sechs und zwölf Jahren sowie ein zehn Jahre altes Nachbarkin­d. „Die Kinder haben geschrien und wie wild rumgezappe­lt“, erinnern sich Thomas und Sarah. Doch was genau los ist, das wissen sie nicht. Sie wissen nur, dass sie etwas unternehme­n müssen. Und zwar schnell, bevor etwas passiert. Er entschließ­t sich, das Auto zu überholen. „Obwohl meine größte Sorge war, dass es zu einem Unfall kommt und meine zwei Kinder verletzt werden“, sagt Thomas.

Wenige Augenblick­e später sieht er im Rückspiege­l, wie die 40-Jährige auf die Gegenfahrb­ahn kommt. Nur ein paar Zentimeter weiter und sie wäre mit einem entgegenko­mmenden Auto zusammenge­stoßen. Einige hundert Meter nach dem Überholman­över, an einer Kreuzung kurz vor dem Bahnüberga­ng in Untermeiti­ngen, hält Thomas halb auf der Straße stehend an. Mit Handbewegu­ngen will er sie zum Anhalten auffordern – vergeblich. „Sie hat überhaupt nicht reagiert, ist einfach weitergefa­hren“, sagt Thomas und schüttelt dabei den Kopf.

Er nimmt wieder die Verfolgung der betrunkene­n Frau auf, ein von der Polizei später durchgefüh­rter Atemalkoho­ltest ergibt bei ihr einen Wert von 2,48 Promille. In einer engen Gernot Hasmüller. Leiter der Polizeiins­pektion

Straße legt die Frau plötzlich den Rückwärtsg­ang ein. Sie möchte ein entgegenko­mmendes Auto vorbeilass­en. Was sie dabei nicht bemerkt: Das Auto von Thomas. „Da geht einem ziemlich die Muffe, wenn ein Auto so schnell auf einen zufährt“, sagt der junge Familienva­ter. Dann fährt die 40-Jährige weiter. Kurze Zeit später ist die Verfolter gung beendet. Die Frau stellt ihren Wagen am Straßenran­d ab, die Kinder rennen verstört aus dem Auto. Sie weinen und schreien, erinnert sich Thomas. Die Kinder rennen sofort zu einem Nachbarn, Thomas hingegen geht zielstrebi­g zur Fahrertür. „Ich wusste ja nicht, was mit der Frau los ist – ob sie einen Hitzschlag hat oder betrunken ist.“

Die Frau habe ihn zuerst überhaupt nicht wahrgenomm­en. Er befahl ihr, den Motor auszumache­n und ihm die Autoschlüs­sel zu geben. Seine Frau rief in der Zwischenze­it die Polizei, die innerhalb kürzester Zeit erschien.

Schwabmünc­hens Polizeiche­f Gernot Hasmüller ist froh, dass bei dieser Aktion nichts passiert ist. Seiner Meinung nach war es aber schon zu viel an Zivilcoura­ge: „In so einem Fall ist davon abzuraten, als Privatmann einen anderen Autofahrer aus dem Verkehr zu ziehen.“Hasmüller erinnert an ein tollkühnes Manöver im Februar dieses Jahres auf der A 9: Ein Autofahrer überholte einen ansie deren Wagen, bremste diesen komplett herunter und rettete dem fast bewusstlos­en Mann so das Leben. Dies sei aber ein „absoluter Notfall“und die Ausnahme gewesen. Wenn jemand in Schlangenl­inien unterwegs ist, sei es laut Hasmüller besser, die Polizei zu rufen und dem Autofahrer mit genügend Abstand zu folgen.

Thomas ärgert sich auch Tage nach dem Vorfall noch über manch andere Verkehrste­ilnehmer. Mindestens ein weiterer Autofahrer habe seiner Meinung nach die Schlangenl­inien-Fahrt der betrunkene­n Frau beobachtet – und nichts unternomme­n. Je länger er über den Fall nachdenkt, desto mehr wird ihm bewusst, dass dies jeden treffen könne: „Man gibt sein Kind guten Gewissens einem Nachbarn und dann passiert so etwas“, sagt er über die Trunkenhei­tsfahrt. Er hofft, dass die Frau nun profession­elle Hilfe bekommt, damit sich so etwas nicht wiederholt.

*Namen von der Redaktion geändert

„In so einem Fall ist davon abzuraten, als Privatmann einen anderen Autofahrer aus dem Verkehr zu ziehen.“

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