Mays Besuch beim Strahlemann
Ihre erste Auslandsreise seit der Wahlpleite führt die Regierungschefin nach Paris zu Macron. Wird in London hinter ihrem Rücken über den Brexit verhandelt?
Paris Der Kontrast war nicht zu verleugnen: Mit Theresa May und Emmanuel Macron trafen sich gestern in Paris eine Regierungschefin und ein Staatschef zu einem ArbeitsAbendessen, deren Situation unterschiedlicher nicht sein könnte. Die britische Premierministerin, massiv geschwächt durch eine bittere Wahlschlappe, wurde von einem Präsidenten empfangen, der nach der ersten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag strahlender dasteht denn je. Beim zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag dürfte Macrons Partei „La République en Marche“(REM) mit der Zentrumspartei Modem als Bündnispartner eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen – mindestens 400 der insgesamt 577 Sitze scheinen absehbar. Das gibt ihm und seiner Regierung weitgehend freie Hand für die Umsetzung seiner Reformprojekte, während die Opposition auf ein Minimalmaß geschrumpft ist.
Während Macron bei seinen ersten internationalen Auftritten eine gute Figur machte und ein neues französisches Selbstbewusstsein ausstrahlte, scheint May in Europa isoliert. Auf EU-Ebene schlugen der britischen Regierungschefin zunehmend Ungeduld und Unverständnis entgegen. Der Chefunterhändler für den Brexit, der französische Konservative Michel Barnier, forderte gerade in einem Zeitungsinterview „Klarstellungen“seitens der Regierung in London und drängte auf einen Beginn der Verhandlungen.
Gestern Abend gab May offenbar diesem Drängen nach. „Der Zeitplan für die Brexit-Verhandlungen bleibt in Kraft, sie beginnen kommende Woche“, sagte sie. Bisher war vereinbart, dass die Gespräche am kommenden Montag aufgenommen werden sollen. Wegen der noch ausstehenden Regierungsbildung in London war das aber zuletzt fraglich gewesen. Macron nannte einen schnellen Start der Verhandlungen wichtig. Er fügte hinzu, dass „die Tür offenstehe“, sollten sich die Briten doch noch für einen Verbleib in der EU entscheiden.
Neben den anstehenden Verhandlungen über den EU-Austritt und noch vor dem gemeinsamen Besuch eines Fußball-Freundschaftsspieles zwischen den Nationalmannschaften beider Länder standen auf dem Menü des gestrigen bilateralen
Harter Brexit Das klingt nach einer klaren Sache, tatsächlich aber wird der Begriff unterschiedlich benutzt, ebenso wie „weicher Brexit“: Nicht alle meinen damit dasselbe. Die Briten verstehen unter „hartem Brexit“in der Regel den Plan von Premierminis terin Theresa May, ihr Land nicht nur aus der Europäischen Union he rauszuführen, sondern auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion. May will stattdessen die Beziehun gen über ein Freihandelsabkommen neu regeln.
Weicher Brexit Die softe Alternati ve bedeutet nach diesem Verständ nis: Austritt aus der EU, aber mit wei terem Zugang zum Binnenmarkt und Mitgliedschaft in der Zollunion. May will das nicht, weil sie die Be dingungen der EU ablehnt: Wer zum Binnenmarkt gehören will, muss auch den Zuzug von EU Bürgern ak zeptieren. Und als Mitglied der Zoll union darf man keine eigenen Handels verträge schließen.
EU Sicht In Brüssel werden die Bre xit Begriffe bisweilen anders be nutzt als in Großbritannien. Seit Mays Ansage, den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen, ist die ur sprüngliche Idee vom „weichem Brexit“quasi zu den Akten gelegt. Als günstigstes Szenario gilt jetzt, dass man sich fristgerecht bis Ende März 2019 auf einen Vertrag zum EU Austritt und zu Eckpunkten für künftige Beziehungen sowie auf eine Über gangslösung einigt. Mit „hartem Bre xit“wird der Extremfall beschrieben – ein Scheitern der Verhandlungen und ein Ausscheiden Großbritanniens ohne Vertrag und ohne Übergangs und Anschlusslösung. Genannt wird dies auch „No Deal“Szenario oder „Brexfast“. (dpa) Treffens Gespräche über Maßnahmen für die gemeinsame Terrorbekämpfung. Unter den acht Menschen, die beim Terroranschlag in London Anfang Juni getötet wurden, befinden sich drei Franzosen; acht der 48 Verletzten waren ebenfalls französische Staatsbürger.
Macron war unter den Kandidaten, die May während des französischen Wahlkampfs empfangen hatte, der Einzige, der sich speziell an die vielen in London lebenden Franzosen gerichtet hatte. Bei dieser Gelegenheit bezeichnete er den Brexit als „schweren Fehler“und als Entscheidung, bei der das Vereinigte Königreich mehr zu verlieren habe als die Europäische Union. Selbstbewusst lud er in einer Videoaufzeichnung auf Englisch Bankiers, Geschäftsleute, Akademiker und Wissenschaftler ein, von London nach Frankreich zu wechseln.
Nach seinem Amtsantritt zeigte Macron wiederum klar, welcher Partner für ihn Priorität habe: Kurz nach seiner Wahl reiste er nach Berlin
Macrons erster Besuch galt Kanzlerin Merkel
zum Antrittsbesuch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Kühl hatte ein Teil der britischen Presse im Mai die Nachricht von der Wahl des überzeugten Pro-Europäers aufgenommen, der für eine ambitionierte Vertiefung der EU steht.
Während Theresa May nach Frankreich aufbrach, sorgte auf der Insel am gestrigen Dienstag ein Bericht des Telegraph für Aufregung. Das Blatt meldete, dass Mitglieder der konservativen Regierung geheime Gespräche über einen „weichen“Brexit mit Abgeordneten der oppositionellen Labour-Partei führen würden. Die Kabinettsmitglieder wollten Premierministerin Theresa May zu Konzessionen bei der Einwanderung, der Zollunion und dem europäischen Binnenmarkt drängen, berichtete das Blatt am Dienstag. Nach dem Bericht steht auch die Einrichtung einer parteiübergreifenden Brexit-Kommission. Die Kabinettsmitglieder glauben danach, dass May die Unterstützung von Labour braucht, um ihre Pläne für den EU-Austritt durch das Parlament zu bekommen. Nach Informationen der Zeitung weiß May von den Geheimgesprächen, hat aber bisher nicht eingegriffen.