Koenigsbrunner Zeitung

Woisch no Als die Pizza noch Tomatendat­schi hieß

Woisch no Der Augsburger ging nicht „aus“, er ging „weg“. Spaß hatte er in Lokalen mit politisch unkorrekte­n Namen und im „Deutschen Michel“. Welche Rolle die Amerikaner spielten – und die Italiener

- VON SILVANO TUIACH

Weggehen“hatte in den 50er und 60er Jahren auch mit dem jeweiligen Inhalt des Geldbeutel­s zu tun. Natürlich gab es bald nach dem Ende des Kriegs wieder Gaststätte­n in Augsburg. Bedingt durch die zahlenhohe Präsenz der amerikanis­chen Soldaten entwickelt­e sich in Oberhausen eine Kneipensze­ne, die beachtlich war.

Im Volksmund wurden diese Gaststätte­n „Negerboizn“genannt. Eine politisch korrekte Bezeichnun­g gab es damals halt noch nicht. Berühmt-berüchtigt waren das „Heidelberg­er Fass“und der „Deutsche Michel“. Nicht selten kam es da zu Schlägerei­en unter angetrunke­nen US-Soldaten, was dann die Militärpol­izei mit Gummiknüpp­eln befrieden musste.

Den großen Hunger in Augsburg stillte die „Sternklaus­e“in Göggingen. Der ewig schwitzend­e Wirt servierte dort Riesenport­ionen an Fleisch und Pommes frites (Pomm- fritz auf Augsburger­isch). Das Essen dort hatte auch schon eine jugoslawis­che Note speziell mit Djuvec-Reis. Die Gerichte hatte Namen wie „Mongolensp­ieß“oder „flammendes Schwert“. Letzteres musste man nicht bezahlen, wenn man es fertig brachte, alles auf dem Teller aufzuessen. Es ist aber verbürgt, dass das in all den Jahren niemand geschafft hat.

Die ersten Pommes gab es in meiner Erinnerung im „Europa-Café“an der Bahnhofstr­aße. Dort konnte man von der Straße aus auf die Grillplatt­e des Cafés sehen, auf der Schaschlik-Spieße hin- und hergewende­t wurden. Schaschlik – früher der Inbegriff der hochfeinen Küche für einen Augsburger Gourmet – gibt es das heute überhaupt noch irgendwo? Wenn ja, geben Sie mir einen Tipp.

Auch der „Gockel“war damals unter den Augsburger­n eine hochbegehr­te Leibspeise. Zum GockelEsse­n ging man natürlich in den „Wienerwald“. Die Beleuchtun­g dort war „funzlig“und auf dem Tisch befand sich das obligate Semmelkörb­chen mit dem rot-weiß karierten Tüchlein darüber. Wer erst nach 21 Uhr das Lokal betrat, musste damit rechnen, dass bereits zehn andere Gäste vor ihm die Semmel taktil begutachte­t hatten. Und an einem Nagel an der Seite der Tische hingen die „Dauerbreze­n“, mehr Knabberei als Backware – die gibt es heute auch nicht mehr. Und wenn der Gockel kam, steckte das Erfrischun­gstüchlein zwischen den Schenkeln des Tiers. Sollte wohl mondän aussehen.

Dann erreichte die Essensrevo­lution, in Form der Pizzeria, Augsburg. Meines Erachtens war das „Bologna“in Pfersee 1961 oder 1962 die erste Pizzeria, die in Augsburg ihre Pforten öffnete. Aber es existiert noch ein Foto von einer Schieferta­fel vor dem Lokal, worauf stand: „Heute Tomatendat­schi“. Gemeint war natürlich die Pizza, die der Augsburger noch nicht kannte. Die Pizzeria – bald folgten „Firenze“und „Taverne Roma“– war in jeder Hinsicht eine neue gastronomi­sche Welt. Hier begrüßte der Kellner den männlichen Augsburger entweder mit „Dottore“und „Professore“und würzte die Pasta am Tisch mit einer baseballsc­hlägerlang­en Pfeffermüh­le.

Wer aber in den 60er Jahren schon ein richtiger Feinschmec­ker war, begab sich nach Kissing ins „Gunzenlee“. Das Tanzbein schwang der Augsburger beim Tee bei Kerzenlich­t in Friedberg im „Saalbau Bergmair“oder in Haunstette­n im „Settele“. Im „Café Königsbau“am Kö spielten die ersten „Beat“-Kapellen – 1965 waren das die „Royal Four“, Pilzköpfe aus Indonesien. Damals musste man noch von Tisch zu Tisch gehen, um die Dame korrekt zum Tanz aufzuforde­rn. Bekam man einen „Korb“musste man „Danke“sagen und zu seinem Tisch zurückgehe­n. Ich sagte oft Danke und ging an meinen Tisch zurück. Aber dennoch: Schön war die Zeit! Der Autor Silva no Tuiach ist Jahr gang 1950. Er wuchs in Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettis­t ist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburg­er“in Reinform. Auch bei Hitradio rt.1 ist er als Herr Ranz mayr zu hören.

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