Von der Förderschule mitten ins Berufsleben
Förderschüler haben oft nur geringe Aussichten auf einen regulären Job. Seit zehn Jahren versucht eine Initiative dies zu ändern. Ein Erfolgsbeispiel aus der Region zeigt: Nicht nur die Absolventen können profitieren
Krumbach Es schaut lässig aus. Eine Hand am Lenkrad, ein bisschen kurbeln, ein bisschen vor und zurück, und schon sind drei Metallgitter aufeinandergestapelt. Routiniert lässt sich Manuela Groß vom Sitz ihres Gabelstaplers gleiten. Die blonden Haare hat sie mit einer Klammer aus dem Gesicht gebunden, aus den Taschen ihres grauen Kittels schauen Arbeitshandschuhe heraus. Die 20-Jährige pfeift mit den Lippen und formt sie dann zu einem breiten Grinsen. „Gabelstaplerfahren mache ich am liebsten“, sagt sie.
Dass sie Spaß an ihrer Arbeit hat, ist offensichtlich. Das alleine ist schon viel wert. Doch ihr Job bei einem Metallverarbeitungsbetrieb in Krumbach ist auch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Groß hat eine Lernbehinderung, Probleme mit dem Lesen und Schreiben, dem Gedächtnis und dem Verstehen von komplexen Zusammenhängen.
Deshalb ging Groß auf die Förderschule. Deren Absolventen finden meist nur schwer Zugang zu einer herkömmlichen Arbeitsstelle. Dieses Problem war vor über zehn Jahren noch gravierender. Eine Umfrage des bayerischen Kultusministeriums aus dem Schuljahr 04/05 hat ergeben, dass nur ein Prozent der Förderschulabsolventen eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fand. Als Alternative blieben Förderschülern oft nur Behindertenwerkstätten. Das ist heute im Grunde nicht anders. Dennoch: Die Arbeits-Chancen für Förderschüler sind besser geworden.
Das liegt am Projekt mit dem schlichten Namen „Übergang Förderschule-Beruf“, das das bayerische Arbeitsministerium, das Kultusministerium und die Agentur für Arbeit 2007 ins Leben gerufen haben. Diese Initiative sieht vor, dass Mitarbeiter des Integrationsfachdienstes, einem Angebot der Katholischen Jugendfürsorge, Förderschüler mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung bis zu drei Jahre bei der Suche nach geeigneten Jobs begleiten. Offenbar mit Erfolg. Bis 2015 sei der Anteil der Förderschulabsolventen mit einem Job im regulären Arbeitsmarkt auf fünf bis sechs Prozent gewachsen, heißt es in einer Zwischenbilanz. Davon sollen nicht nur die Schüler selbst, sondern auch die Arbeitgeber profitieren. „In der Diskussion um Fachkräftemangel vergisst man schnell, dass es in vielen Betrieben nach wie vor eine Vielzahl von simplen Arbeitsschritten gibt, die erledigt werden müssen“, sagt Winfried Karg von der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Augsburg. „Dafür gibt es auch geeignete Förderschüler.“
So jemand wie Manuela Groß. Eine „Erfolgsgeschichte“, nennt es ihre ehemalige Lehrerin am Förderzentrum Ursberg mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung, Heidi Dahmen-Muth. Schon in der Schule habe sich abgezeichnet, dass es Groß im harten Berufsalltag schaffen kann. Sie sei das einzige Mädchen in der Fußballmannschaft der Schule gewesen, eine soziale Stütze in der Klasse, handwerklich begabt. Deshalb nahm sich ihr vor drei Jahren Annika Krumm an, Sozialarbeiterin beim Integrationsfachdienst Schwaben. Sie machte sich auf die Suche nach passenden Arbeitgebern und landete bei der Firma HG Metalltechnik in Krumbach. Zusammen mit Groß besuchte sie einen Tag der offenen Tür und vereinbarte ein Praktikum.
Zunächst tat sich Groß im Betriebsalltag schwer. Verschiedene Kollegen gaben ihr verschiedene Aufträge. Das überforderte die junge Frau. Deshalb begleitete Sozialarbeiterin Krumm sie einen Tag lang an den Arbeitsplatz. Das Ergebnis: Groß bekam einen festen Ansprechpartner. Ausschließlich er gibt ihr Anweisungen – immer nur eine Aufgabe nach der anderen. „Das war auch für uns ein Lernef- fekt“, sagt der Geschäftsführer des Betriebes, Holger Goldenstein.
Die Fokussierung auf einen Kollegen klappte gut, die ehemalige Förderschülerin ist mittlerweile seit eineinhalb Jahren bei der Firma tätig. Groß übernimmt Hilfstätigkeiten wie schleifen, säubern oder Gabelstapler fahren. Ihr gefalle die Arbeit so gut, dass sie oft nach Schichtende noch eine Stunde länger bleibt, sagt sie. Ihr Chef Goldenstein ist höchst zufrieden mit ihr. „Sie ist nett, fleißig und gewissenhaft. Davon können sich viele andere Praktikanten eine Scheibe abschneiden.“Deshalb ist für Groß bald Schluss mit dem Praktikantendasein. Ab September erhält sie einen neuen, unbefristeten Arbeitsvertrag. Das, wovon viele andere Förderschüler träumen. Denn selbst mit spezieller Betreuung schaffen viele den Sprung ins Berufsleben nicht. Knapp die Hälfte derer, die im Rahmen von „Übergang Förderschule-Beruf“über die vollen drei Jahre gefördert werden, können nach Ablauf der Zeit nicht vermittelt werden. Von 2007 bis 2016 waren dies schwabenweit 62 Schüler, wohingegen 74 einen dauerhaften Arbeitgeber fanden. „Es ist wichtig, dies nicht als Scheitern anzusehen“, sagt Krumm. „Die Tür zurück, beispielsweise in Behindertenwerkstätten, bleibt immer offen.“
Manuela Groß dagegen hat bald den Vertrag in der Tasche. Und bekommt Verantwortung übertragen. Die Firma schafft sich eine neue Schleifmaschine an, für die sie zuständig sein wird. „So ein bisschen stolz bin ich schon“, sagt die junge Frau und grinst so breit wie nach dem Gabelstaplerfahren.
Immer nur eine Aufgabe nach der anderen