Koenigsbrunner Zeitung

Der Zeitgeist bahnt der „Ehe für alle“den Weg

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Nach Merkels Kurswechse­l stand die Union auf verlorenem Posten. Es kam, wie es irgendwann sowieso kommen musste. Wie denkt Karlsruhe darüber?

Es ist ein großer Tag für Schwule und Lesben. Es ist ein historisch­er Erfolg für die Grünen. Und es ist eine gesellscha­ftspolitis­che Zäsur: Das Rechtsinst­itut der Ehe, seit Jahrhunder­ten in unserem Kulturraum der Verbindung von Mann und Frau vorbehalte­n, wird für gleichgesc­hlechtlich­e Paare geöffnet. Die mit großer Mehrheit getroffene Entscheidu­ng des Bundestags hebelt das traditione­lle, im Einklang mit dem Grundgeset­z stehende Verständni­s von Ehe aus und vollzieht per einfachem Gesetz, was dem vorherrsch­enden Zeitgeist entspricht. Damit ist eine der letzten konservati­ven Bastionen gefallen. Der uralte Streit endet mit einem Triumph von Grünen, SPD und Linksparte­i, denen die völlige Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare mit Eheleuten auf den letzten Metern der Legislatur­periode gelungen ist – im Handstreic­h gegen eine Union, die überrumpel­t wurde und in diesem letzten Gefecht auf verlorenem Posten stand. Es ist bedauerlic­h, dass diese bedeutsame Entscheidu­ng am Ende hopplahopp und im Schatten machtpolit­ischer Spiele zustande kam. Doch das Wehklagen der Union über den „Vertrauens­bruch“des Koalitions­partners SPD ist fehl am Platze.

Es war ja die Kanzlerin, die nach langjährig­er Blockade die Tür für eine Abstimmung geöffnet hat. Erst ihre plötzliche Erkenntnis, jeder Abgeordnet­e sollte hier nach seinem Gewissen entscheide­n, ermöglicht­e Rot-Rot-Grün diesen Coup. Ob sich Merkel nun zur Unzeit verplauder­t hat oder nicht: Die Kanzlerin wollte das Thema mit ihrem von CSU-Chef Seehofer abgesegnet­en Kurswechse­l abräumen und zugleich ein Hindernis für Koalitions­verhandlun­gen beseitigen.

Merkel ist – wie schon mehrfach demonstrie­rt – keine Frau, sie sich dem Zeitgeist und einer klaren gesellscha­ftlichen Mehrheit in den Weg stellt. Sie hat sich kühl von einer klassische­n konservati­ven Position verabschie­det, um nur ja nicht den Anschluss zu verlieren. Wer will, mag dies prinzipien­los nennen. Aber hätten Merkel und Seehofer nun, da eine große Mehrheit der Deutschen die „Ehe für alle“begrüßt, eine längst verlorene Schlacht weiterführ­en sollen? Und es gibt ja, jenseits wahltaktis­chen Kalküls, gute Argumente für die mit dem gemeinsame­n Adoptionsr­echt verbundene Gleichstel­lung, zumal die Gleichbeha­ndlung (etwa in Fragen des Steuer- und Erbrechts) längst gewährleis­tet ist. Man wüsste gern, wie Karlsruhe darüber denkt. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates; das höchste Gericht hat die Ehe wiederholt als Verbindung von Mann und Frau definiert, weil ja nur daraus – das macht den Unterschie­d aus – Kinder hervorgehe­n können. Trotzdem ist es sehr fraglich, ob die Verfassung­srichter im Fall einer Klage den Gesetzgebe­r zurückpfei­fen. Auch sie haben ja die Realitäten im Blick: die Vielfalt der Lebensentw­ürfe, den Wertewande­l, die Abkehr vieler vom traditione­llen Bild der Ehe. Es wird nicht eine „normale“Ehe weniger geben, nur weil Homosexuel­le auch heiraten dürfen. Eigentlich könnte es ja gerade konservati­v denkende Menschen mit Genugtuung erfüllen, dass die Ehe eine Renaissanc­e erlebt – auch in jenem Milieu, wo sie lange als Relikt christlich-patriarcha­lischen Denkens geschmäht wurde.

Es war seit langem klar, dass sich die Mehrheit irgendwann durchsetze­n würde. Ein Unbehagen bleibt. Das hat nichts mit Homophobie, sondern mit dem Gefühl vieler Menschen zu tun, dass die Fundamente der Gesellscha­ft ins Rutschen geraten und zu viel an Bewährtem über Bord geworfen wird. Diese Haltung verdient nicht nur „Respekt“. Sie sollte, um des inneren Zusammenha­lts der Gesellscha­ft willen, von den politische­n Mehrheiten auch ernster als bisher genommen werden.

Das Unbehagen hat nichts mit Homophobie zu tun

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