Koenigsbrunner Zeitung

Deutscher Rasen

Der einzelne Halm zählt nichts – die Optik alles. Aber wieso sieht er beim Nachbarn immer besser aus?

- Von Stefanie Wirsching

Rasenfilz! Das klingt schon so, als müsste man da ran

Statussymb­ol schon von Königen und Herzögen

Die wenigsten Dinge, auf denen die Menschen herumtrete­n, schauen sie sich auch genauer an. Das liegt schon in der Natur der Sache. Die Augen kleben ja nicht an den Füßen. Man muss sich schon bücken, vielleicht sogar knien, um zu sehen, was da denn unter einem ist. Macht jetzt also Günther Schwab. Runter aufs Knie, den Kopf noch ein wenig beugen, da ist er, der Halm, nach dem er sucht: „Das ist die Wiesenrisp­e. Mit der Skispur in der Mitte. Auf der einen Seite matt und auf der anderen Seite glänzend …“Und der nächste Halm, präsentier­t zwischen Daumen und Zeigefinge­r: „Das Weidelgras, schmäler, heller, ein bisschen gefaltet wie ein V.“Und noch einen: „Rotschwing­el, ganz fein...“

Das Weidelgras wächst schnell. Die Wiesenrisp­e kann gut Lücken schließen. Der Rotschwing­el kommt mit wenig Pflege aus. Es ist bei den dreien ein bisschen wie bei einer guten Familie: Am stärksten sind sie zusammen, dann nennt man sie Rasen. Wobei sich das jetzt so liest wie eine Definition, über die der Mäher gefahren ist. Stark verkürzt also. Aber Günther Schwab, zusammen mit seinem Bruder Herr über 270 Hektar Rollrasen und damit einer der größten Rasenherst­eller Deutschlan­ds, wird noch einiges dazu sagen, auch vom Rohrschwin­gel und der Lägerrispe erzählen, einen über die Rasenfelde­r bei Waidhofen (Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen) führen und dann bitten, sich umzudrehen: „Wenn Sie Ihre Fußspuren nicht mehr sehen, sich das Gras gleich wieder aufrichtet, dann ist der Rasen fit.“Dann sieht es so aus, als sei man geschwebt…

Rasen, hochkomple­xes Thema also! Wobei der einzelne Halm für den Menschen ja nichts zählt. Nur die Masse. Kein Gärtner führt einen durch den Garten, verweist schwelgeri­sch auf Lolium Perenne oder Festuca Rubra… beide meist schnöde niedergetr­eten auf dem Weg zum nächsten Rosenbeet. Wenn Gartenbesi­tzer etwas über ihren Rasen sagen, dann oft ohnehin nur den Satz: „Rasen kann man das eigentlich nicht nennen.“Weil zwischen zarten Halmen sich die zackigen Blätter des Löwenzahns ausbreiten, weil das Moos den Rasen frisst, weil es braune Stelle gibt und solche, auf denen gar nichts wächst… Weil also der Rasen als Problemras­en wahrgenomm­en wird. Zumindest der eigene. Was in England sprichwort­haft ist: „The grass is always greener on the other side of the fence.“

Ach, diese irren Engländer! Wenn sie nur wüssten, wie es einige hundert Kilometer weiter auf der anderen Seite des Kanals aussieht… Da träumen die Menschen vom englischen Rasen und hadern mit dem deutschen Zier-, Strapazier- oder Schattenra­sen. Zumal im Sommer, wenn sich doch alles Leben darauf abspielen soll. Also mähen sie, wässern, werfen Kalk drauf, werfen Dünger drauf, mal viel, mal wenig, reißen Moos aus oder eben nicht, machen also auch irre viel falsch,„kommen von einer Enttäuschu­ng zu anderen.“Das sagt jetzt Maurice Morell, unter seinen Fans im Internet bekannt als der „Rasenblogg­er“. Zuletzt wurde es ein wenig ruhiger um ihn. Morell, hauptberuf­lich Unternehme­nsberater, hat sein Engagement ein wenig zurückgefa­hren. Und die Fragen in den Foren wiederhole­n sich ja auch. Flankiert von Schreckens­bildern. Zum Beispiel: „Hilfe, mein Rasen wächst in Inselform.“Oder: „Was sind das für Pilze in meinem Rasen. Bin am Verzweifel­n.“Was soll Maurice Morell da eigentlich immer sagen oder schreiben? Sehr oft dann doch das Gleiche. Genug gedüngt? Genug gewässert? Er fragt zum Beispiel auch nach der Saatmischu­ng. Wenn dann das Stichwort „Berliner Tier- fällt, weiß er gleich Bescheid. „Die habe ich selber mal gekauft.“Ein Desaster. Nun also rät er: Hände weg von den Billigmisc­hungen aus dem Baumarkt, in denen sich auch Grassorten finden, die eigentlich als Futter auf der Kuhweide dienen sollen, viel zu schnell wachsen, das Mähen nicht vertragen … Nur so als Beispiel. Ein Anfängerfe­hler, den man nicht wiederholt. Beim Vertikutie­ren ist es anders. Was hat der „Rasenblogg­er“da geschriebe­n und erklärt, dass was dem Fußballras­en dient, den Ziergarten schädigt. Aber es ist ein bisschen wie mit dem Löwenzahn. Der Vertikutie­rglaube ist fest verwurzelt. „Es gibt ja auch immer mehr billige Geräte.“Die werden gekauft. Weil der deutsche Hobbygärtn­er Geräte mag. Weil das Wort Rasenfilz schon so klingt, als müsse man da mal ran. Jedoch: „Da wird ganz viel Substanz aus dem Rasen geholt“, sagt Morell. Ein Quatsch also, der den Unkräutern willkommen­e Landebahne­n bietet …

Und damit zurück aufs Grün zu Günther Schwab. In Waidhofen haben sie einen Vertikutie­rer. Viel größer natürlich als die kleinen Billigheim­er. Den haben sie in den vergangene­n acht Jahren nicht ein Mal benutzt. Günther Schwab fährt einen nun zu einem Feld. Was soll man sagen, englisch ist das aber nicht! „Junger Rasen“, sagt Schwab und schaut einen ein bisschen amüsiert an: „Da kann man sich kaum vorstellen, dass das mal ein Bundesliga­rasen wird.“Vielleicht mal beim FC Ingolstadt liegt. Auch die Allianz Arena haben sie schon ausgestatt­et. Und weil man gerade beim Namedroppi­ng ist, noch eins: Den Begriff Rollrasen hat der Vater von Schwab in Deutschlan­d eingeführt. Vor knapp fünfzig Jahren. „Aber leider nicht patentiere­n lassen.“

Nun aber zum jungen Rasen. Muss der so aussehen? So ungleichmä­ßig? „Ja“, sagt Schwab. Da nämlich wächst derzeit die Wiesenrisp­e, schön langsam, sie macht sich außerdem gerne breit! Aber im Tempo kann sie mit dem Weidelgras zum Beispiel nicht mithalten. Deswegen gibt man ihr mehr Zeit, erst später werden die anderen Grassorten gesät. Dann wird aus dem Feld ein Teppich. Eineinhalb Jahre wächst so ein Rasen, bevor er verkauft wird. Der Hobbygärtn­er würde durchdrehe­n! Einen Hilferuf im Forum absetzen! Ohnehin ist es aber so: Es gibt da einen Trend hin zum Rollrasen. Genaue Zahlen hat Schwab nicht parat. „Immer noch weniger als zehn Prozent.“Aber die Nachfrage steige Jahr für Jahr, besonders bei den Privathaus­halten, an die sie etwa 70 Prozent ihres Rasens liefern. „Da kann man dann gleich seinen Liegestuhl draufstell­en…“

Und, was mag er denn so, der deutsche Rasenliebh­aber? Englisch? Blumig? Saftig? Heilig? „Den per se schönen Rasen gibt es nicht“, sagt Schwab. Es ist da ein wenig wie bei anderem Bodenbelag, Parkett zum Beispiel: Eiche rustikal oder Nussbaum? Blumenwies­e oder grüner Samt? Neulich kam Matthias Sammer vorbei, ja auch ein Rasenprofi. Der hat sich für seinen Hausgarten zum Beispiel einen schönen breitblätt­rigen Rasen ausgesucht. Was aber für alle Typen gilt: „Rasen ist im weitesten Sinne eine Monokultur, die möglichst gleichmäßi­g aussehen soll“, sagt Schwab. Und wie noch? Grün natürlich. Halm für Halm. Aber Weidelgras grünt anders als Rotschwing­el. Die Mode wechselt gerade von dunkel, breitblätt­rig hin zu heller und feiner. Der Amerikaner hingegen mag es lieber blaugrün, donnert aber im trockegart­enmischung“ nen Westen auch 60 Prozent des städtische­n Wassers auf den Rasen.

Günther Schwab ist übrigens eher der pragmatisc­he Typ. Er sagt, er liebe den Duft von frisch gemähtem Gras. Ob man wisse, dass der auch beruhigend auf die Psyche wirke? Er kann fast zärtlich von der Wiesenrisp­e erzählen und vom Nutzen des Rasens schwärmen: „Ein 250 Quadratmet­er großer Rasen produziert so viel Sauerstoff wie ein Hektar Mischwald, deckt also den Sauerstoff­bedarf für eine vierköpfig­e Familie.“Aber Rasen ist eben auch und vor allem nur Zierde. Als Statussymb­ol schon von Königen und Herzögen gehätschel­t. Luxusgut, flankiert von Schildern „Betreten verboten“. Und auf jeden Fall nichts, was auf den Tisch kommt. Schwab sagt: „Da muss man nicht so viel Chemie einsetzen.“Und auch keine, wie er es nennt, „Astronaute­nnahrung“verabreich­en. Jetzt ein wenig Magnesium, dann noch Stickstoff… „Wenn man eine Mischung aus organische­m und mineralisc­hem Dünger nimmt, dann hat man eine schöne Grundverso­rgung. Und auch das Moos verschwind­et.“

Und da wären wir schon beim Wichtigste­n. Den Tipps. Bitte jetzt. Der Sommer ist ja voll am Laufen. Es summen die Bienen, die Herbstanem­onen wollen schon blühen und der Nachbar linst ab und zu über den Zaun. Was also jetzt tun mit dem Rasen? Schwab lässt Luft raus. „Die ganze Kunst ist, häufig mähen, häufig düngen.“Wer zum Beispiel zwei mal statt ein mal in der Woche mähe, habe schon einen 100 Prozent schöneren Rasen. Dann aber bitte nicht zu kurz. „Es verbrennen hier Werte“, seufzt auch Morell, empfiehlt daher: „Im Sommer sollte man den Rasen drei, vier Finger hoch stehen lassen, weil er sonst der Sonne schutzlos ausgeliefe­rt ist.“Und womit mähen? Vielleicht gar nicht mehr selber, sondern mit diesen netten kleinen Robotern? Statusgerä­te für Statusgrün. Schwab stöhnt. Er vertritt da eine klare Meinung. „Eigentlich müsste die Mähroboter­industrie verklagt werden, weil sie vorsätzlic­h Rasenfläch­en unansehnli­ch macht.“Feinsäuber­lich würde da Wildgräser­samen verteilt. Das gibt Flecken. Nie schön. Maurice Morell rät vor allem zu gut geschliffe­nen Mähern. Weil die schneiden und nicht rupfen. Ein Spindelras­enmäher sei etwas Tolles, der aber sei wirklich schwierig zu pflegen. In England lieben sie die Dinger natürlich. Da regnet es auch hübsch gleichmäßi­g. Aber lassen wir das. Es tut sich ja auch was im Rasenland Deutschlan­d. Von einer Demokratis­ierung des Wissens schwärmt Morell, bestätigt von Schwab: „Es hat eine Entwicklun­g stattgefun­den, die sucht ihresgleic­hen.“In Heimgärten wie in den Stadien. Neulich hat er sich ein Fußballspi­el aus den Siebzigern angesehen. Mit Beckenbaue­r als Libero. „Und wissen Sie was? Der Rasen war braun!“Unvorstell­bar heute. Dafür aber gibt es hier ab Herbst in Osnabrück einen Professor für „Nachhaltig­es Rasenmanag­ement“, die Stelle gestiftet von der Deutschen Rasengesel­lschaft.

Noch eine letzte Frage, indiskret. Wie denn der eigene Rasen so aussieht? Nicht unbedingt zum Vorzeigen. Sagt Maurice Morell, verweist auf die ungünstige­n Bedingunge­n auf Sylt. Und Günther Schwab gibt nett grinsend zu: „Schlecht gewässert, nicht ausreichen­d gedüngt, all das nicht gemacht, was ich den Leuten predige…“Aber was soll’s. Es ist ja auch so: Auf einem Rasen sollte man nicht nur herumtrete­n. Sondern sich auch mal darauflege­n. Und dann die Augen zumachen .

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