„Kannst du mal eben …?“
Spontan sein ist schön. Aber nicht, wenn die eigenen Kinder das von ihren Eltern ständig wie auf Knopfdruck fordern. Unser Autor gibt Tipps, wie sich Eltern aus der „Jetzt-auf-gleich“-Falle befreien können
„Sie sind verantwortlich für den reibungslosen Ablauf aller Arbeitsprozesse, die Terminsachbearbeitung in unserem Hause, das zentrale Beschaffungswesen und sämtliche Instandhaltungsmaßnahme. Ferner fungieren sie als Just-in-time-carrier bei jeglicher Art von Last-Minute-Aufträgen. Sie sind überdurchschnittlich belastbar, verfügen über ein Höchstmaß an Organisationstalent, hohes Engagement und die ausgeprägte Fähigkeit zu vernetztem Denken und Multitasking. Sie können Prioritäten setzen, gehen mit alltäglichen Überraschungen freudig-kreativ um, behalten in stressigen Situationen den Überblick, haben eine positive Grundaffinität zu Überstunden, beherrschen MS-Office ebenso perfekt wie die binomischen Formeln und den Zitronensäurezyklus.“Mal ehrlich, würden Sie sich auf diese Stelle bewerben? Müssen Sie auch nicht, denn diesen Job haben Sie vielleicht schon längst. Als Mutter oder Vater Ihrer Kinder sind Sie sozusagen „Family Facility Manager“, ein „Familienbetriebsleiter“. Beweise? Kein Problem: „Papa, ich muss morgen ein Referat über den Aralsee halten – als Präsentation. Kannst du mir helfen?“Während Kerstin, 14 Jahre, kurz vor der „Tagesschau“meine PowerpointKenntnisse auszureizen versucht, beichtet ihr Bruder Timm, 12 Jahre, mit betretenem Blick, dass er sein Sportzeug im Tennisverein vergessen hat, es morgen in der Schule braucht und – ähem – der Tennisverein in zehn Minuten dicht macht. Powerpoint muss warten, der „Justin-time-carrier“starten. Unterwegs gelingt es Timm, in einem „Achübrigens-Nebensatz“gleich zwei für den „Family Facility Manager“überaus relevante Information unterzubringen. Erstens: dass er für Bennys Geburtstag („der ist morgen, Papa!“) noch kein Geschenk hat. Zweitens: Sein Rücklicht am Fahrrad kaputt ist. Kaum sind auch diese Aufgaben aus den Businessbereichen „Beschaffungswesen“und „Instandhaltung“erfolgreich abgearbeitet, überrascht Kerstin mit der Frage, wer eigentlich heute Abend („in zehn Minuten, Mama!“) zum Mittelstufentreffen in die Schule geht – schließlich solle da über den Schüleraustausch informiert werden. Der „Family Facility Manager“schaut ratlos seine Co-Managerin an: Keiner weiß von dem Tref-
Kinder können mit 5 bis 6 Jahren Blumen gießen, Spiel zeug aufräumen, beim Staubsaugen helfen, Zeitung holen, Tisch decken und ab räumen. Solche kleinen Auf gaben sind gut, um Eigen ständigkeit und Selbstverantwortung zu fördern.
7 bis 9 Jahre lernen, Schul hefte und das Aufgabenheft or dentlich zu führen, ca. 30 Minuten konzen triert arbeiten. Außerdem: Zimmer aufräumen, morgens das Bett machen, Bad und Klo putzen, einfache Gerichte wie Rührei kochen. fen – schlimme Panne bei der Terminsachbearbeitung!
Sie kennen diesen Job, stimmt´s? Diese krisensichere Festanstellung mit etwa 25 Jahren Laufzeit im familiären Hamsterrad ohne Streikrecht oder Ausstiegsmöglichkeit – von Aufstieg ganz zu schweigen. Sie haben nur eine Chance auf Arbeitserleichterung: Planwirtschaft – im familiär-ergonomischen Sinne: Statt sich mit Mega-Multitasking zu überfordern, muss der „Family Facility Manager“schnellstens mit Jobsharing beginnen, Arbeit anders verteilen und delegieren. Geübte Mitarbeiter? Haben Sie leider nicht! Nur Azubis – Ihre Kinder. Und die brauchen klare Vorgaben, was sie zukünftig selbst zu erledigen haben und wie rechtzeitig sie mit Arbeitsaufträgen beim „Family Facility Management“auf der Matte stehen müssen. Denn sonst machen die Azubis ihr selbst geschriebenes Gewohnheitsrecht ruckzuck zur Hausordnung: „Zimmer aufräumen? Hab ich noch nie gemacht...“ Kinder können mit 10 bis 12 Jahren Einfache Reparatur arbeiten erledigen: Knopf annähen, Reifen aufpumpen, Rad wechseln, zerbro chene Teile zusammenkle ben; Verabredungen einhal ten, Hilfs und Unter stützungswünsche an die Eltern rechtzeitig äu ßern, In formatio nen be schaffen. ab 13 Jahre Einkaufsliste erstellen, an hand der Liste Ein käufe in mehreren Geschäften erledigen, mit Geldbeträgen bis 50 Euro umgehen, Familienmahlzeit kochen, Wasch und Spülmaschine bedienen, T Shirts bügeln
So haben wir es bei Freunden erlebt und deshalb unsere Kinder von klein auf daran gewöhnt, dass sie mithelfen müssen. Was in den ersten Jahren nicht schwer ist. „Und wo jetzt noch, Mama?“, rief Timm, während er den Staubsauger durch die Wohnung zog. Ein Fingerzeig hinters Sofa, schon düste der fünfjährige Meister Proper mit dem Saugrohr hin. Milch und Brötchen – stolz alleine vom Kaufmann besorgt, die Spülmaschine auspacken, das und mehr konnten unsere MiniAzubis nach dem ersten HaushaltsLehrjahr. Was davon heute noch klappt? Zuletzt leider nicht mehr viel. Die frühkindliche „Jugend forscht“-Phase ist längst abgelöst durch die forsche Jugend-Phase: Zunächst gab’s Bummelstreiks („mach ich später“), dann Warnstreiks („ich fahr nicht mehr einkaufen, seh’ ich nicht mehr ein“) und kürzlich den Generalstreik („das ist voll uncool, lasst mich mit dem ganzen Kram in Ruhe!“). Wir spielen beherzt Streikbrecher, indem wir den Arbeitsverweigerern klarmachen: Aufgaben müssen in einer funktionierenden Familie nun einmal gerecht verteilt werden. Nicht nach Gutsherrenart und per Gießkannenprinzip, sondern mit dem „Arbeitskuchen-Spiel“: Kerstin und Timm schreiben auf PapierKuchenstücke auf, welche Arbeiten sie regelmäßig übernehmen können und wie viel Zeit sie dafür brauchen. „Die Kuchen können eine interessante Gesprächsgrundlage für die Arbeitsverteilung in Ihrer Familie bilden“, schreibt Julia Rogge in ihrem Buch „Den Alltag in den Griff bekommen“. Stimmt, das hat was von Quartettspiel und orientalischem Basar: „Tausche täglichen Spülmaschinen-Auspackdienst gegen wöchentliches Schuheputzen“, schlägt Timm vor, doch Kerstin lehnt ab. Patentrezepte, die für jede Familie passen, gibt´s nicht. Nur Lösungen auf Zeit, die immer wieder überprüft und verändert werden müssen. Sind die „Azubi-Jobs“verteilt, dann sollten sie in einem Plan festgehalten werden, der für alle sichtbar aushängt. Und wenn die Jobs trotzdem nicht erledigt werden? Ein-, zweimal dürfen Azubis sich das erlauben, schließlich lernen sie ja noch. Doch als Timm zum vierten Mal die Mülltonne nicht rechtzeitig an die Straße rollt und sie beinahe ungeleert bleibt, da ist plötzlich wie von Geisterhand die Stromversorgung für seinen Laptop gekappt. Seitdem klappt es mit dem Mülltonnendienst.
Nicht nur zwecks besserer familiärer Arbeitsverteilung sind solche Azubi-Jobs wichtig, sondern auch, damit der Nachwuchs selbstständig wird und merkt, was es heißt, allerlei um die Ohren zu haben. Seitdem Timm und Kerstin dies spüren, haben sie nämlich wenigstens einen Funken Verständnis für unser nächstes Anliegen: die Ausrottung des „Last-Minute-Virus“. Denn wer selbst allerlei Aufgaben zu erledigen hat, reagiert allergisch auf „Kannst-du-mal-eben“-Überfälle jeglicher Art.
Und wer gerade dabei ist, als Hobby-Unternehmensberater seiner
Dann hilft nur noch die Planwirtschaft Lieber mit Kuchenstückchen als mit Gutsherrenart
Familien-GmbH den EffizienzTÜV zu verpassen, sollte dabei prüfen, ob nicht auch der eigene Elternalltag entrümpelt werden kann wie ein länger nicht aufgeräumter Kleiderschrank. Da ist dann plötzlich mehr Luft weniger Termingedränge, aber bessere Laune. Ideal auch, um mit den Kindern zu besprechen, wo sie dauerhaft mit Hilfe, Unterstützung und Chauffeurdiensten rechnen können. Bei den Hausaufgaben zum Beispiel. Wenn Timm in Mathe beherzt Zähler und Nenner vertauscht und seine Berechnungen so ins Heft gekritzelt hat, als habe sich dort ein schwerer Auffahrunfall mit Beteiligung eines Schulfüllers ereignet, bleiben wir jetzt meist cool. Wurden die Kinder früher regelmäßig zum Tennis kutschiert, so müssen sie heute radeln. Aber wenn es Bindfäden regnet, springt selbstverständlich der „Just-in-time-carrier“ein.
Und wie steht’s mit Rückfällen in die Zeiten des Last-Minute-Virus? Klar, gibt’s auch – gerade eben zum Beispiel. Die Kinder arbeiten etwas im Garten. Es klingelt an der Tür. „Papa, kannst du mir ein Glas Wasser bringen, ich hab Schluckauf. Und wo du gerade gehst – bring mir doch bitte auch mein iPhone raus, das liegt irgendwo an meinem Bett. Mach doch mal eben…“