Die zwei Seiten von Cybermobbing
Hänseleien gab es schon immer auf Schulhöfen. Inzwischen haben sie aber andere Dimensionen angenommen. Von Opfern, die sich hilflos fühlen, von Tätern, die nicht aufhören – ein Thema, zwei Blickwinkel
Fast zwei Drittel der Opfer fühlen sich von Cybermobbing verletzt, knapp die Hälfte reagiert „wütend“, rund ein Drittel verspürt Angst. Jedes fünfte Opfer gab an, schon einmal Suizidgedanken wegen Cybermobbing gehabt zu haben (aus der aktuellen Studie des „Bündnis gegen Cybermobbing“).
Es kann jeden treffen. Und es kann ganz schnell gehen. Eine private Nachricht, die per Bildschirmfoto an eine WhatsApp-Gruppe weitergeleitet wird; das nur für den Freund bestimmte Foto, das dieser aus Angeberei an seine Kumpels schickt, die es verbreiten; das Outfit, das in den Augen einer „Freundin“daneben war; Erfolge, die zum Aufhänger für Lästereien oder manipulierte Bilder werden; Gewaltvideos, die ein Junge einfach von Freunden zugeschickt bekommt – Klaus Kratzer von der Kriminalpolizei Augsburg kennt viele solcher Cybermobbingfälle aus der Region und er weiß auch, wie sich die Opfer fühlen, wie verzweifelt sie zum Teil sind. Zumindest jene, die sich an die
„Alleine kommt man da nicht raus“
Polizei gewandt haben. Aber da ist noch eine große Zahl jener Jugendlichen, die sich diesen Schritt nicht trauen, weil sie befürchten, dass dann alles noch schlimmer wird.
Ein paar von ihnen vertrauen sich auch den jugendlichen, ausgebildeten Scouts der Beratungsplattform www.juuuport.de an. „Wir haben die gleichen Lebenswelten, wir hören ihnen zu und können sie vielleicht besser verstehen als mancher Erwachsene“, sagt der 23-jährige Adrian Jagusch, der seit acht Jahren einer dieser Online-Scouts ist und schwere Fälle an Psychologen vermittelt. Wie viele Opfer er schon beraten hat, das hat er nicht gezählt. Er vermutet eine hohe dreistellige Zahl. Auf jeden Fall kämen heute mehr Anfragen als noch 2009. Ob es generell mehr Mobbing gibt, wisse er nicht. Was ihm aber aufgefallen sei: Die Hänseleien haben andere Dimensionen angenommen.
„Früher gab es auch Mobbing“, sagt Jagusch, „da hatte man aber daheim seine Ruhe. Heute kann man nicht mehr abschalten. Selbst, wenn man das Handy ausmacht, geht es weiter.“Diese Ohnmacht und Unsicherheit vor dem „Was kommt als Nächstes“macht vielen Opfern zu schaffen. Je mehr sich an den Lästereien beteiligen, desto größer kommt das Ganze beim Opfer an. Es hat das Gefühl, alle gegen sich zu haben. Manche Betroffene bekommen dadurch auch Bauchschmerzen. Andere wollen nicht mehr zur Schule gehen und schreiben schlechtere Noten. Und wieder andere lassen sich äußerlich nichts anmerken. Viele wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Immer wieder bekommen die Scouts zu hören: „Meinen Eltern kann ich davon nicht erzählen, weil die mir dann das Handy wegnehmen.“Dabei ist „Handy weg“hier keine Lösung.
Jagusch rät häufig als Erstes dazu, sich ein Hilfsnetzwerk an Unterstützern aufzubauen, die dagegenhalten und das Mobbingverhalten öffentlich machen können. „Alleine kommt man da nicht raus“, sagt er. Wenn sich Opfer nicht den Eltern anvertrauen wollen, rät er oftmals, Vertrauenslehrer hinzuzuziehen, die sich inzwischen häufig schon gut mit dem Thema auskennen und Klassenregeln aufstellen können, so Jagusch. Kratzer empfiehlt zudem, nicht auf die Lästereien etwa bei WhatsApp oder Snapchat zu antworten, weil das die Täter nur weiter befeuere.
Und was können Eltern tun? Jagusch und Kratzer empfehlen, aufmerksam zu sein, immer ein offenes Ohr für das Kind zu haben, es mit seinen Problemen ernst zu nehmen, keine Vorwürfe zu machen, gemeinsam eine Lösung zu suchen. Häufig sei es sinnvoll, die Schule einzuschalten. Eine Patentlösung gegen Cybermobbing gebe es aber nicht.