Koenigsbrunner Zeitung

Die Frau für alle Fälle

In Bayern gibt es einige hundert Dorfhelfer­innen. Sie springen ein, wenn eine Bäuerin krank ist oder ein Baby bekommt. Dann kochen sie, putzen und bügeln oder gehen in den Stall. So wie Margit Vogt. Nur eine Rolle übernimmt sie auf keinen Fall

- VON SONJA KRELL

Görisried Irgendwie will das Müsli nicht so, wie Margit Vogt will. Die Frau mit den kurzen, blonden Haaren steht am Herd, lässt den Schneebese­n mit schnellen Bewegungen im Topf kreisen, gibt noch von dem Pulver dazu, das aussieht wie Mehl. „Das ist so flüssig heute“, murmelt die 54-Jährige und rührt weiter. „Gestern ist es besser geworden.“Margit Vogt greift nach dem Messer und beginnt, einen Apfel in Stücke zu schneiden. Dann holt sie Teller und Tassen heraus und das Plastikges­chirr, von dem die Mädchen essen. „Was brauchen wir noch?“Vogt öffnet die Schublade, in der die Brotschnei­demaschine verborgen ist, drückt den Knopf, einmal, noch einmal. Doch das Gerät klappt nicht auf. Margit Vogt zuckt mit den Schultern. „Dabei habe ich die gestern auch schon benutzt.“

Ja, so ist das eben, wenn man in einer Küche arbeiten soll, die nicht die eigene ist. Wenn man suchen muss, bis man das Salz findet, den Zucker und das Mehl, bis man weiß, in welchem Fach der Spätzlehob­el liegt, wo das Nudelholz und wie die Brotschnei­demaschine funktionie­rt. Für Margit Vogt ist das ganz normal. Als Betriebshe­lferin springt sie auf einem Hof ein, wenn die Mutter längere Zeit ausfällt. Sie wird angeforder­t, wenn eine Bäuerin sich den Fuß gebrochen hat, ins Krankenhau­s oder zur Kur muss. Auch dann, wenn die Mutter stirbt und die Familie plötzlich allein zurechtkom­men soll. „So einen Fall hatte ich in meinen 30 Jahren noch nicht“, sagt Margit Vogt. Und man merkt, wie froh sie darüber ist.

Dieser Einsatz ist einer der schöneren. Nicht nur, weil der Kittelhof in Görisried im Ostallgäu so idyllisch liegt, dass Familien hier Urlaub machen. Vor allem, weil bei der Familie Weber Nachwuchs ansteht. Angelika Weber, 30, bekommt in wenigen Tagen ihr viertes Kind. Sie soll sich schonen, so wie es der Mutterschu­tz vorsieht. Also: nicht mehr in den Stall gehen, nicht mehr stundenlan­g in der Küche stehen, nicht mehr Wäsche bügeln oder im Garten werkeln.

Das Kalenderbi­ld über dem Esstisch zeigt Kühe, die faul im Gras liegen. „Oifach all’s amol flacke lau“steht da. Ein Gedanke, an den sich Angelika Weber erst gewöhnen muss – auch wenn sie schon bei den anderen Geburten eine Haushaltsh­ilfe hatte. Sie sitzt mit ihrem Mann und den Mädchen am Frühstücks­tisch, löffelt Müsli, sagt Katharina, dass sie in zehn Minuten fertig sein muss für den Kindergart­en, tätschelt Johanna, der Jüngsten, den Kopf, tröstet dann Theresa, die Dreijährig­e. Ein komisches Gefühl, wenn eine fremde Frau das Frühstück herrichtet, die Spülmaschi­ne ausräumt und das Brot aufschneid­et? Angelika Weber streicht über ihren Bauch. „Man muss auch abgeben können“, sagt sie.

Ihre Arbeit im Stall übernehmen jetzt, wo die Bäuerin nicht mehr kann, ihr Mann Daniel und die Schwiegere­ltern, um die drei Ferienwohn­ungen kümmert sich die Schwiegerm­utter. Ohne fremde Hilfe geht es trotzdem nicht. Weil da ja noch die Kinder und der Haushalt sind. Und weil es stressig werden kann, wenn das „Butzerle“erst da ist. Wie vor zwei Jahren, als Johanna ein paar Tage alt war, Angelika Weber im Wochenbett lag, Theresa Fieber hatte und dann noch das Heu geerntet werden musste. Angelika Weber sagt: „Mir ist es wichtig, dass der Haushalt läuft, dass ich mir da keinen Kopf machen muss.“

Es gibt nicht mehr viele Frauen, die wie Margit Vogt als Betriebsod­er Dorfhelfer­in arbeiten, sagt Nadine Storch vom Maschinenr­ing Ostallgäu, der die Einsatzkrä­fte vermittelt. 25 sind es im Ostallgäu, außerdem 81 männliche Betriebshe­lfer, die im Stall oder auf dem Feld eingesetzt werden. Und es werden immer weniger. Viele der Männer mit landwirtsc­haftlicher Ausbildung werden zu Hause als Arbeitskrä­fte benötigt und übernehmen dann den Hof der Eltern. Viele Frauen hören auf, weil sie Kinder bekommen. Oder sie heiraten einen Landwirt und haben als Bäuerin keine Zeit mehr für Einsätze. Dabei werden die Helfer dringend gebraucht, sagt Storch. Weil Bauer und Bäuerin immer älter werden, weil sie immer häufiger ausfallen – sei es durch Unfälle, Krebserkra­nkungen oder Kuraufenth­alte. Aber auch, weil mehr junge Bäuerinnen Kinder bekommen. So wie Angelika Weber.

Katharina ist im Kindergart­en, der Frühstücks­tisch ab- und die Spülmaschi­ne ausgeräumt. Hinten rattert die Küchenmasc­hine, nebenan dröhnt „Heidi“aus den Lautsprech­ern. Margit Vogt sortiert Gläser voll mit Marmelade in den Schrank. Gestern hat sie die zusammen mit den Kindern gekocht, aus Aprikosen und Nektarinen. „Ich kann nicht alles auffangen“, sagt Margit Vogt. Weil sie in den acht Stunden Arbeitszei­t nicht das schafft, was eine Bäuerin und Mutter den ganzen Tag über tut.

Manchmal, sagt die 54-Jährige, hängt es von Kleinigkei­ten ab, ob Familie und Helferin klarkommen. Dinge, die in jedem Haushalt anders gehandhabt werden. Ob die Pfannen in die Spülmaschi­ne kommen oder nicht, ob der Salat normalerwe­ise mit Essig und Öl oder JoghurtDre­ssing auf den Tisch kommt. Und, weil die Dorfhelfer­in vielleicht etwas anderes kocht als die Mama. Oder das anders schmeckt als bei Mama. Margit Vogt hat sich angewöhnt zu fragen, was die Familie gern isst – und was nicht. Wie damals, als sie auf einem Hof am ersten Tag Tomatensup­pe gekocht hat. Auf die Frage, was ihnen gar nicht schmecke, habe der Vater schließlic­h geantworte­t: „Tomatensup­pe.“

Margit Vogt muss lachen, wenn sie diese Geschichte erzählt. Erst recht, weil der Bauer einen ganzen Schöpfer Suppe gegessen hat. Jetzt aber ist der Hefeteig dran. Theresa und Johanna dürfen beim Ausrollen helfen, dann drücken sie Rosinen in den Teig. Die beiden haben sich schon an sie gewöhnt, sagt Margit Vogt. Dass sie sich in ihrem Job immer wieder auf neue Menschen einstellen muss, dass sie alle paar Wochen woanders aushilft, macht ihr nichts. „Acht Stunden jeden Tag die gleiche Arbeit, das könnte ich nicht“, sagt sie. Und dass sie gern Kinder um sich hat – erst recht, wo die eigenen Buben erwachsen sind. Eines aber muss sie noch klarstelle­n: „Ich will hier nicht die Mama sein. Und ich erziehe auch nicht.“

Es ist kurz nach 10 Uhr. Bisher ist Margit Vogt im Zeitplan. Sie schaltet das Bügeleisen an und arbeitet die Stapel ab: Jeans und Arbeitshos­en, T-Shirts und Bettwäsche. Natürlich, sagt die ausgebilde­te Hauswirtsc­hafterin, gibt es Grenzen, Privatsphä­re. Die zusammenge­legte Wäsche lässt sie lieber im Korb, statt sie in den Schrank zu legen. Sie putzt auch das Schlafzimm­er nicht, wenn es der Familie so lieber ist.

Aber Margit Vogt geht in den Stall, wenn es sein muss. Dann melkt sie morgens und abends die Kühe, tränkt die Kälber, gibt Futter ein und schwadet im Sommer das Heu. Sie macht es gern – schon, weil sie auf einem Hof aufgewachs­en ist, weil sie als Kind Bäuerin werden wollte. Dann, wenn Margit Vogt weiß, wie welche Kuh heißt, was in welche Küchenschu­blade gehört und was die Kinder am liebsten essen, ist sie schon wieder weg. Vier bis sechs Wochen bleibt sie im Schnitt. Dann geht es zur nächsten Familie, zum nächsten Einsatz.

Wie viele es in den letzten 30 Jahren waren, seit Vogt als Betriebshe­lferin arbeitet, seit sie vom Maschinenr­ing dorthin geschickt wird, wo ein Notfall ist? „Zwischen 150 und 180 dürften es schon gewesen sein“, sagt sie. Und dass sie inzwischen fast jedes Dorf im Ostallgäu kenne. Von Eggenthal, wo sie mit ihrer Familie lebt, nach Görisried sind es 25 Kilometer. Jetzt, im Sommer, kein Problem. Im Winter aber, wenn sie auf manchen Höfen morgens um fünf Uhr die Kühe melken soll, kann es eng werden. Einmal, erzählt Margit Vogt, ist sie auf dem Weg zu einem Aussiedler­hof in einer Schneewehe steckengeb­lieben. „Ich bin weitergela­ufen, was hätte ich auch machen sollen?“, erzählt sie und lacht ihr herzliches Lachen. Später hat der Bauer ihr Auto mit dem Traktor herausgezo­gen.

An ihre erste Familie, damals vor 30 Jahren, erinnert sie sich noch genau. Auch an die Bauchschme­rzen, die sie anfangs vor jedem neuen Einsatz plagten. Weil sie grübelte, was das für ein Hof ist, auf den sie da kommt, ob sie sich mit den Menschen dort versteht, welche Arbeit sie erwartet. Margit Vogt hat manches Schicksal gesehen, hat freundlich­e Familien erlebt, aber auch weniger schöne Begegnunge­n. „Man nimmt das schon mit heim“, sagt sie. Und, dass man mit der Zeit lerne, damit umzugehen.

Dann sind da die Erinnerung­en, die bleiben. Familien, die sie ins

Die Mutter soll sich schonen, sie entbindet bald

Für ihren Gurkensala­t ist sie bekannt

Herz geschlosse­n hat. Manche klingeln bei ihr, wenn sie an ihrem Haus vorbeifahr­en. Eine Frau kommt nach wie vor zu ihrem Geburtstag.

Margit Vogt schaut auf die Uhr. Um halb eins muss sie Katharina aus dem Kindergart­en abholen, vorher noch die Semmelknöd­el machen. Sie holt Petersilie aus dem Garten, schneidet die Semmeln in Streifen, schlägt Eier in die Schüssel, schwitzt die Zwiebeln an, gibt Milch dazu. Es sind Handbewegu­ngen, die sitzen.

Voraussich­tlich acht Wochen wird Margit Vogt auf dem Kittelhof bleiben. Gut möglich, dass danach schon eine andere Familie darauf wartet, dass sie bei ihnen aushilft. Maschinenr­ing-Koordinato­rin Nadine Storch sagt: „Die Margit ist eine gute Seele.“Nicht nur, weil sie in Görisried, seit sie bei einer anderen Familie im Einsatz war, bekannt für ihren Gurkensala­t ist. Sondern weil sie mit Menschen kann. „Mir graut’s jetzt schon vor dem Tag, an dem die Margit in Rente geht“, sagt Storch.

Jetzt aber gibt es erst einmal grünen Salat, Gulasch, Spätzle und Semmelknöd­el. Katharina hat ein Freunde-Buch vom Kindergart­en mitgebrach­t, das sie ihrer Mama zeigen will. Theresa, die Dreijährig­e, ist so müde, dass ihr die Augen immer wieder zufallen. Margit Vogt scheint zufrieden, weil es allen schmeckt. Wenn man gemeinsam isst, wenn man über längere Zeit bei einer Familie aushilft, hat sie vorhin gesagt, „dann ist man schon ein bisschen heimisch. Da fällt es dann schon schwerer, zu gehen.“

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Fotos: Mathias Wild Da sitzt jede Handbewegu­ng: Margit Vogt formt Semmelknöd­el für die Familie Weber. Dort ist die Betriebshe­lferin derzeit im Einsatz.

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