Koenigsbrunner Zeitung

Erst Antiterror­einheiten stoppten die Randale

Nach dem Hamburger Gipfel: Wer davon profitiert und welche Konsequenz­en die Politiker ziehen

- VON MICHAEL POHL

Die Polizei rechnete mit Anschlägen, aber nicht mit Straßenkäm­pfen auf Leben und Tod. Hamburgs Innensenat­or räumt Versäumnis­se im Sicherheit­skonzept ein. Dutzenden gefassten Tätern drohen lange Haftstrafe­n

Augsburg Die meisten der über tausend Hinweise auf linksradik­ale Chaoten, die beim G20-Gipfel plündernd und brandschat­zend das Hamburger Schanzenvi­ertel verwüstet haben, sind für die Ermittler ernüchtern­d: Viele Bürger schickten Internet-Links zu Medienberi­chten und Fernsehauf­nahmen, die die Beamten bereits ausgewerte­t haben. Seit dem Wochenende ruft die Hamburger Polizei Augenzeuge­n der Gewaltorgi­e auf, Handy-Fotos und Videos auf ihrer Internet-Seite hochzulade­n, um noch mehr Tatverdäch­tige ermitteln zu können.

Bislang beantragte die Hamburger Staatsanwa­ltschaft 85 Haftbefehl­e gegen festgenomm­ene Verdächtig­e, 51 sitzen in Untersuchu­ngshaft. Insgesamt wurden über 260 Verdächtig­e am Gipfelwoch­enende zumindest zeitweise festgenomm­en. Die linksextre­me Szene hatte zu Gipfelbegi­nn darüber gespottet, dass die extra für den Gipfel eingericht­ete „Gefangenen­sammelstel­le“für 400 Personen fast leer stand: „Die Zahl der Fest- oder Ingewahrsa­mnahmen ist überrasche­nd niedrig, daher muss daran gearbeitet werden, dass dies so bleibt“, hieß es auf der linksradik­alen Internetse­ite indymedia.org.

Der Hamburger SPD-Innensenat­or Andy Grote verteidigt sich weiter gegen Kritik, dass die Polizei vor allem in der Nacht zum Samstag stundenlan­g die Kontrolle über Teile des Schanzenvi­ertels verloren hat. „Natürlich wären wir da gern früher reingegang­en, aber wir hätten hier Leib und Leben der Einsatzkrä­fte riskiert“, betont der SPD-Politiker.

Was die Beamten nach seiner Darstellun­g unvorberei­tet getroffen hat, war, dass die Gewalttäte­r einen gezielten Hinterhalt in den engen Straßenzüg­en der Altbauhäus­erzeilen vorbereite­t hätten. Die Polizei präsentier­te Aufnahmen aus der Nachtsicht­kamera eines Polizeihub­schraubers, wie Linksextre­misten auf Häuserdäch­ern Pflasterst­eine und andere Gegenständ­e deponierte­n – in der Absicht, sie auf die anrückende­n Polizeibea­mten zu werfen.

In ihrem Einsatzkon­zept hatten sich die Polizeistr­ategen zwar offensicht­lich auf einen größeren Terroransc­hlag eingestell­t, nicht aber auf die Kombinatio­n von Straßenkäm­pfen mit gezielten mörderisch­en Angriffen aus der linksauton­omen Szene auf Polizisten. „Wir müssen jetzt feststelle­n, dass unser Sicherheit­skonzept an diesen ein, zwei Stellen nicht funktionie­rt hat“, räumt Grote ein. Es dauerte rund drei Stunden, bis die Polizei die neue Lage analysiert, ihre Taktik geändert und umgesetzt hatte: Sie schickte die bereitsteh­enden schwerst bewaffnete­n Antiterror­einheiten, darunter auch GSG9-Beamte, in das Viertel: „Wir hatten noch nie bei linken Krawallen und Straßenkäm­pfen solche Spezialkrä­fte eingesetzt“, erklärt Grote.

Im Schutz der Spezialkrä­fte stürmten die Polizisten schließlic­h die Häuser und Dächer, bevor besonders auf Straßenkam­pf trainierte Beamte „am Boden“nachrückte­n. Grote betont, dass es sich beim G20Gipfel um einen gesamtdeut­schen Einsatz „mit dem gesamten Expertenwi­ssen der deutschen Polizei“gehandelt habe. „Zum jetzigen Zeitpunkt sagen alle, die sich deutschlan­dweit mit der Vorbereitu­ng beschäftig­t haben, dass wir das so nicht vorhersehe­n konnten“, verteidigt der Innensenat­or sich und seinen in der Kritik stehenden SPD-Bürgermeis­ter Olaf Scholz. „Das war ein bewaffnete­r Angriff auf unsere Demokratie.“In Hamburg werde sich jetzt eine Sonderkomm­ission damit beschäftig­en, welche Strukturen hinter der linken Gewalt stecken, wer die Täter eingeladen, beherbergt, unterstütz­t und gedeckt habe.

Gegen einen 27-jährigen Deutschen erging inzwischen Haftbefehl wegen versuchten Mordes. Er soll mit einem Laser mehrfach den Piloten des Polizeihub­schraubers „Libelle 2“stark geblendet und damit versucht haben, die Maschine zum Absturz zu bringen. Anderen Festgenomm­enen wird unter anderem schwerer Landfriede­nsbruch, gefährlich­e Körperverl­etzung und Sachbeschä­digung zur Last gelegt.

Bei schwerem Landfriede­nsbruch drohen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. In ähnlichen Fällen, etwa bei den Berliner Krawallen zum 1. Mai, haben Gerichte gegen vorbestraf­te Täter Strafen zwischen eineinhalb und dreieinhal­b Jahren verhängt. Täter ohne Vorstrafen kamen in der Regel mit Freiheitss­trafen auf Bewährung davon.

 ?? Foto: Christian Mang, imago ?? Schwer bewaffnete Beamte einer Antiterror­einheit rücken Freitagnac­ht in das Schanzenvi­ertel vor.
Foto: Christian Mang, imago Schwer bewaffnete Beamte einer Antiterror­einheit rücken Freitagnac­ht in das Schanzenvi­ertel vor.

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