Koenigsbrunner Zeitung

Der Brite und die Sonne

- VON TILMANN MEHL

Das Wetter hat es wirklich nicht leicht. Dem gemeinen Mitteleuro­päer ist es ab 25 Grad Celsius zu heiß. Fällt das Thermomete­r unter 20 Grad, wird gemeckert – schließlic­h wurde die nur in unseren Breitengra­den bekannte Übergangsj­acke vergessen. Im Gespräch kommt das Wetter selten gut weg. Es kann sich ja auch nicht wehren. Außerdem gilt es als Thema niederer Rangordnun­g. Wer nichts zu sagen hat, redet über Wind und Sonne. Dabei ist Wetter so viel mehr.

Manch ein Ereignis von Weltenrang ist ohne die passenden Witterungs­bedingunge­n nicht denkbar. Der WM-Sieg 1954 wäre ohne Regengüsse, Fachtermin­ologie: FritzWalte­r-Wetter, nicht errungen worden. Deutsche Schraubsto­llen waren den ungarische­n Turnschuhe­n überlegen. Deutschlan­d war wieder wer. Wer weiß, wie es ohne den Regen heute um das nationale Selbstbewu­sstsein bestellt wäre?

Muhammad Ali und George Foreman konnten sich 1974 den legendären Rumble in the Jungle ja nur liefern, weil es heiß und schwül war. In einer klimatisie­rten Halle hätte Foreman seinen Kontrahent­en wohl aus dem Ring geprügelt. So aber schwanden ihm die Kräfte – und letztlich ging er selbst k.o.

Wetter ist mehr als ein Begleitums­tand, es ist der Hauptdarst­eller. Das gilt vor allem für das Tennisturn­ier in Wimbledon. Mögen sie andernorts Hallendäch­er schließen, hier wird bei Regen schnell die Plane über den Rasen gezogen. Weil Wimbledon in England liegt, kommt die Plane oft zum Einsatz. In früheren Jahren wurden wahlweise vergangene Tennis-Klassiker oder Comedy gesendet, wenn sich der britische Schauer mal wieder durchsetzt­e. Da hechtete Boris Becker über das gebräunte Grün oder ein Brite machte sich unbeholfen an leicht bekleidete­n Damen zu schaffen. So sorgte Wimbledon für so etwas ähnliches wie erste erotische Erfahrunge­n.

Dieses Jahr aber: kein Regen. Keine Unterbrech­ung. Keine Erotik. Sieht man von geröteten britischen Unterarmen und Waden ab. Als Engländer ist man es nicht gewohnt, dass über mehrere Tage hinweg die Sonne scheint. Auf die Hinweise an den Bildschirm­en, doch bitte Gebrauch von Sonnenschu­tzcreme zu machen, reagieren die Fans mit Ignoranz. Ist ja auch nur Wetter.

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Foto: afp Sonnenschu­tz englischer Art.
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