Weltgeschichte aus der Weberstube
Augsburger Mittelalter-Germanisten erwecken in München ein Prachtstück aus der Fuggerstadt zum Leben
Was haben sich die Augsburger Weber bloß dabei gedacht? In ihrer Zunftstube zeigten sie vor knapp 600 Jahren Augsburg als den Nabel des Reiches; diese Stadt kann nur im welthistorischen Maßstab eingeordnet werden. Wie dieses gewaltige Bildprogramm im Jahre 1437 zwischen dem Maler Peter Kaltenhofer und Zunftvorsteher Meister Ulrich, sekundiert von seiner Ehefrau Afra, entwickelt wurde, wollen Studierende des Augsburger Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters am Sonntag, 16. Juli, mit ihrem szenischen Spiel zeigen. Sie gehen dazu in die originale Weberstube hinein, die sich seit 1864 im Bayerischen Nationalmuseum in München befindet.
Die gesamte, gewölbte Deckenvertäfelung und auch die Wände des repräsentativen Saales sind bedeckt mit Malerei. Einst befand sie sich im zweiten Obergeschoss des Weberhauses bei St. Moritz in seiner spätmittelalterlichen Form. Der szenenreiche Bilderzyklus ist begleitet von einem durchlaufenden Verstext, der die Szenen kommentiert und erläutert. Das Ganze entspricht dem Typus der Weltchronik, die man in Buchform kennt. Als Kunst am Bau ist sie aber ganz außergewöhnlich. Kunsthistorisch und stadtgeschichtlich wurde das Objekt bereits mehrfach behandelt, die Verstext aber wird jetzt erstmals philologisch erfasst und untersucht.
Studierende und Lehrende des Augsburger Lehrstuhls von Prof. Freimut Löser haben sich unter der Leitung des Akademischen Oberrats Klaus Vogelgsang und der Assistentin Janina Franzke zusammengetan, um das schier vergessene Juwel aus der goldenen Zeit Augsburgs zu neuem Leben zu erwecken. Sie verfassten eine szenische Präsentation, durch die das Publikum erlebt, wie der Meister Ulrich mit Meister Kaltenhofer die Konzeption der Bemalung entwickelt.
Die Szenen der Weltchronik aus dem Alten Testament und aus anderen antiken Quellen werden durch lebende Bilder entwickelt: Adam und Eva, die Frau des Potiphar, Nebukadnezar, Alexander der Große, sie alle treten leibhaftig auf – wobei Probleme zu lösen sind, wie das, dass man nicht zu viele aufreizende Nackige an der Decke haben wollte, weshalb es schon mal eine biblische Badende schaffen musste, mit unkonventionellen Mitteln erotische Verführungskraft zu entfalten…
Die Holzvertäfelung, die Peter Kaltenhofer 1437 bemalte und Jörg Bräu d. Ä. 1538 überarbeitete, wurde 1864 demontiert und ans Bayerische Nationalmuseum verkauft. Bei der Planung des Museumsgebäudes hatte man eigens einen Raum mit den exakten Maßen der Augsburger Weberstube geschaffen, um das Objekt adäquat präsentieren zu können. Die Zunftstube erfuhr in München eine Premiumbehandlung und geriet in Augsburg mehr und mehr in Vergessenheit.
OSzenische Präsentation am Sonn tag, 16. Juli, 11 Uhr im Bayerischen Nationalmuseum München, Prinzregen tenstr. 3; der Museumseintritt sonntags kostet nur einen Euro.