Koenigsbrunner Zeitung

Verroht die Gesellscha­ft?

- VON BEATE SCHIERLE

In den vergangene­n Wochen sorgten immer wieder Fälle von Gewalt für Entsetzen. Auch das Verhalten von Gaffern ist ein viel diskutiert­es Problem. Was Experten zu all dem sagen

Augsburg Ein Mann schlägt einem anderen auf einer Berliner U-BahnTreppe von hinten auf den Kopf. Der Geschlagen­e stürzt die Treppe hinunter, bleibt verletzt liegen. Der Angreifer geht weiter, sein gleichgült­iges Gesicht ist auf dem Video einer Überwachun­gskamera zu sehen. Oder die Gewaltexze­sse in Hamburg während des G20-Gipfels: Vermummte schmeißen Steine und Flaschen auf Polizeibea­mte, einer schleudert ein Fahrrad in Richtung der Wasserwerf­er. Oder: Fast täglich gibt es neue Meldungen über Gaffer, die Rettungskr­äfte behindert haben.

Was ist los mit der deutschen Gesellscha­ft? Verroht sie zusehends? Der bekannte Kriminolog­e Christian Pfeiffer aus Niedersach­sen befasst sich seit Jahrzehnte­n mit der Entwicklun­g der Kriminalit­ät in Deutschlan­d. Er widerspric­ht der Annahme, dass es schlimmer werde. Vieles sei sogar besser geworden, sagt er. Etwa bei Sexualmord­en oder bei Tötungen durch Schusswaff­en. Auch bei Einbrüchen sei die Zahl der Fälle zurückgega­ngen. Einen Höchststan­d habe es hier in den 90er Jahren gegeben, nicht etwa heute.

Dennoch bereitet ihm manche Entwicklun­g Sorgen. Pfeiffer nennt als Beispiel die Gewaltkrim­inalität bei Flüchtling­en. Es seien überpropor­tional viele junge Männer nach Deutschlan­d gekommen – ohne Familie oder Freundin, was er als „zivilisier­endes Element“bezeichnet. Junge Männer seien überall auf der Welt für die meisten Straftaten verantwort­lich. Die Zuwanderun­g dieser Problemgru­ppe sei der Grund für den aktuellen Anstieg der Gewalttate­n.

Entscheide­nd für die Entwicklun­g von Straftaten in einer Gesellscha­ft sei die Frage, ob Eltern ihre Kinder schlagen oder nicht, hat Pfeiffer festgestel­lt. Wer geschlagen wurde, werde selber später häufiger gewalttäti­g – dieser Zusammenha­ng sei eindeutig. Hierbei sieht der Kri- minologe allerdings eine positive Entwicklun­g. „Die elterliche Erziehungs­kultur hat sich gewandelt“, sagt er. Liebevolle Erziehung sei heute viel häufiger. Weil weniger geschlagen werde, gehe auch die Jugendgewa­lt zurück, und das in verschiede­nen Bereichen. Pfeiffer spricht sogar von einer „Gesundung der Gesellscha­ft in Richtung weniger Gewalt“.

Der Eindruck, dass die Gewalt zunehme, entstehe auch durch das Privatfern­sehen, hat er beobachtet. Während Zeitungen eher einen sachlichen Berichtsst­il pflegten, werde im Privatfern­sehen oft mit emotionali­sierenden Gewaltdars­tellungen über Straftaten berichtet. Das gehe gewisserma­ßen ungefilter­t am Verstand vorbei und verzerre das Weltbild.

Gewalttate­n gibt es freilich trotzdem. Pfeiffer rät, entschiede­n dagegen vorzugehen. Er fordert: „Wir brauchen mehr Polizei.“Auch drastische Strafen, etwa bei Gaffern, die keine Rettungsga­sse freimachen, hält er für eine gute Lösung: Es müssten Prozesse stattfinde­n und Täter ins Gefängnis kommen, so wie vor Kurzem bei den harten Urteilen nach illegalen Autorennen. „Da muss der Staat reagieren, dann dauert es eine Zeit, und dann bekommt man das wieder in den Griff.“

Thomas Elbert, Neuropsych­ologe an der Uni Konstanz, bestätigt Pfeiffers Aussagen: Insgesamt habe die Gewalt in menschlich­en Gesellscha­ften über die Jahrtausen­de eher abgenommen. „Es besteht aber durchaus Grund zur Sorge, denn in allen Gesellscha­ften müssen drei Dinge geregelt werden: Sex, Drogen und Aggression.“Bei Übergriffe­n müsse der Staat klare Sanktionen verhängen. Auch Elbert betont, dass Menschen, die Gewalt erlebt hätten, später oft selbst gewalttäti­g würden.

Insbesonde­re junge Männer könnten aus Gewalthand­lungen positive Gefühle herauszieh­en. Mittelund langfristi­g müsse man die Milieus, die gewaltbere­ite Gruppen hervorbrin­gen, reduzieren, sagt er.

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Ein Randaliere­r wirft am 9. Juli während des G20 Gipfels in Hamburg ein Fahrrad in Richtung von Wasserwerf­ern.
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Fotos: Polizei Berlin, dpa/Mirgeler, dpa/Bockwoldt, dpa/Pleul, dpa Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer hat festgestel­lt: Wer geschlagen wurde, wird sel ber häufiger gewalttäti­g.

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