Kleine Siege im Team und alleine
Robin Suckert ist Autist und besucht seit dem zweiten Halbjahr die Mittelschule Süd. Im Unterricht hat der 13-Jährige Schulbegleiterin Sieglinde Menhofer an seiner Seite. Sie ist ein Fixpunkt gegen die vielen Veränderungen
Königsbrunn Es gibt Tage, da braucht Robin Suckert eigentlich kaum Hilfe. Es gibt aber auch Tage, da muss Sieglinde Menhofer ihren Schützling mehrmals zurückholen ins Hier und Jetzt. Denn Robin ist Autist und driftet manchmal mit seinen Gedanken ab. Deshalb finanziert das Jugendamt mit Sieglinde Menhofer eine Schulbegleiterin, die ihm hilft, den Unterrichtsalltag zu bewältigen. Denn wenn Robin seine volle Aufmerksamkeit dem Unterricht widmet, ist er ein sehr guter Schüler – zumindest in den allermeisten Fächern.
Am liebsten mag der 13-Jährige Mathematik – eine Vorliebe, die er mit vielen anderen Autisten teilt. Geometrische Formen kann er sich sehr gut vorstellen. „Bei diesen Themen hilft er mir sogar im Unterricht, weil er seinen Mitschülern den Stoff mit kindergerechten Worten erklärt“, sagt Viktoria Allgayer, Robins Klassenlehrerin.
Aber auch in den meisten anderen Fächern kommt der Sechstklässler gut zurecht, und das sagt er auch gerne: Im Fach AWT (Arbeitslehre – Wirtschaft – Technik) gefällt ihm der technische Bereich besonders. Im Bereich Physik – Chemie – Biologie sprechen sie über gesunde Ernährung und machen Brotaufstriche selbst. Und in Geschichte gehe es um die Ständegesellschaft im Mittelalter, sagt Robin und fängt an, die sozialen Schichten aufzuzählen – die Geistlichkeit, den Adel, die Bauern. Auch im Team mit Klassenkameraden arbeitet er gerne: „Das macht Spaß. Manche Sachen kann ich auch gut erklären.“
Es gibt aber auch Dinge, die weniger Spaß machen. Sich im Deutschunterricht Geschichten ausdenken zum Beispiel: „Da tut er sich sehr schwer, und das macht er dann auch einfach nicht“, sagt Viktoria Allgayer. Auch das Thema Hausaufgaben ist ein schwieriges: zu Hause lernen, obwohl man Konsole oder Basketball oder Lego spielen kann – „das fällt ihm nicht immer leicht“, weiß Sieglinde Menhofer. „Aber am Ende habe ich es dann doch gemacht“, sagt Robin. In diesem Schuljahr läuft zumindest dieses Feld viel entspannter: Der 13-Jährige besucht die Ganztagsklasse und kann damit seine Aufgaben mit Betreuung in der Schule erledigen.
Sieglinde Menhofer ist da allerdings nicht dabei. Sie bekommt vom Jugendamt jedes Jahr ein Stundenkonto bewilligt – abgestimmt auf Robins Bedarf. Das deckt vor allem die Unterrichtszeiten ab. Angestellt ist sie bei den Maltesern, die auch Ausbildungslehrgänge für Schulbe- organisieren. Robin ist das erste Kind, das sie begleitet. In den mittlerweile vier gemeinsamen Jahren klappt die Zusammenarbeit schon sehr gut. Während Robin am Nachmittag seine Hausaufgaben in der Schule erledigt, ist die Begleiterin auch gefordert und muss Berichte über die Aktivitäten des Tages schreiben. Morgens bei Unterrichtsbeginn treffen sich beide in der Schule. Sieglinde Menhofer sitzt in der Klasse neben Robin und schaut ihm über die Schulter. An guten Tagen muss sie kaum eingreifen, fragt nur manchmal, ob er die Arbeitsaufgaben verstanden hat. Manchmal muss sie ihn auch ein wenig aufwecken, weil er in Gedanken abdriftet. Das ist an den schlechten Tagen häufiger nötig und auch, wenn der Unterricht länger dauert. Dann sei Robin sehr ruhig, wenn er dann als „Lehrer“an der Tafel Aufgaben bearbeitet, schaut er die Mitschüler, die er aufruft, nicht selbstbewusst an, wie an guten Tagen, sagt Dagmar Böhm-Lachmann, die Konrektorin der Mittelschule. Stattdessen lässt er die Arme hängen und schaut zu Boden. Insgesamt sind die Lehrerinnen und auch die Begleiterin aber zufrieden, wie Robin den Wechsel an die Schule gemeistert hat: Denn bis zum ersten Halbjahr war er noch an der Realschule, doch dort ging der Unterricht zu schnell voran. Und es änderte sich zu viel, zum Beispiel gab es in jedem Fach andere Lehrer. „Es war zu schnell zu viel – das ist für autistische Menschen schwer zu bewältigen“, sagte Dagmar Böhm-Lachmann.
Das gilt auch für die Welt außerhalb der Schule. Hier freuen sich alle über kleine Siege gegen die Unsicherheit: „Neulich ist Robin zum ersten Mal alleine in die Schule geradelt“, sagt Böhm-Lachmann. Den Weg von Zuhause zur Mittelschule kennt der Junge im Prinzip, das Fahren kostet aber Überwindung. „Aber nachdem er die Strecke einmal mit der Mutter abgefahren war, hat es funktioniert“, sagt Sieglinde Menhofer. Solche Erfolge gibt es nicht immer: Eine geplante Fahrt mit dem Bus alleine zur Mittelschule Nord scheiterte beim Einstieg. „Er kannte den Busfahrer nicht und niemanden, der darin saß. Da hatte er Angst, die Haltestelle zu verpassen“, sagt Böhm-Lachmann.
Stolz sind die Lehrer, dass Robin ohne Eltern und Schulbegleiterin mit im Schullandheim war. Und auch auf seine Klassenkameraden: „Die Kinder haben schnell herausgleiter gefunden, dass Robin manchmal seine Auszeiten braucht. Sie haben ihn viel einbezogen, aber auch in Ruhe gelassen, wenn er sich zurückgezogen hat“, sagt Viktoria Allgayer. Die Kinder sind den Umgang mit geistig behinderten Menschen gewohnt, sie lernen regelmäßig gemeinsam mit der Kooperationsklasse der Brunnenschule. Robin sagt, dass er viel Spaß hatte im Schullandheim – so viel, dass er im Freibad mehr Geld ausgegeben hat, als er dabei hatte. Solche Dinge sind ihm etwas peinlich, Autisten mögen klare Regeln – was nicht heißt, dass sie sich immer daran halten: „Aber wir haben eine Lösung gefunden“, sagt Robin.
Lösungen wird er auch im nächsten Schuljahr brauchen: Denn dann muss er das Schulhaus wechseln. Er besucht dann die siebte Klasse des M-Zugs. Das bedeutet auch viele neue Mitschüler, weil nicht alle aus seiner jetzigen Klasse mit wechseln. Zumindest dürfte Sieglinde Menhofer auch weiterhin an seiner Seite sitzen. Der Bedarf für die Schulbegleitung wird zwar jedes Jahr neu berechnet. Doch sie ist optimistisch, dass es weitergeht: „Bei dieser Umstellung ist es gut, wenn einer da ist, der weiß, wie Robin tickt.“