Koenigsbrunner Zeitung

Kleine Siege im Team und alleine

- VON ADRIAN BAUER

Robin Suckert ist Autist und besucht seit dem zweiten Halbjahr die Mittelschu­le Süd. Im Unterricht hat der 13-Jährige Schulbegle­iterin Sieglinde Menhofer an seiner Seite. Sie ist ein Fixpunkt gegen die vielen Veränderun­gen

Königsbrun­n Es gibt Tage, da braucht Robin Suckert eigentlich kaum Hilfe. Es gibt aber auch Tage, da muss Sieglinde Menhofer ihren Schützling mehrmals zurückhole­n ins Hier und Jetzt. Denn Robin ist Autist und driftet manchmal mit seinen Gedanken ab. Deshalb finanziert das Jugendamt mit Sieglinde Menhofer eine Schulbegle­iterin, die ihm hilft, den Unterricht­salltag zu bewältigen. Denn wenn Robin seine volle Aufmerksam­keit dem Unterricht widmet, ist er ein sehr guter Schüler – zumindest in den allermeist­en Fächern.

Am liebsten mag der 13-Jährige Mathematik – eine Vorliebe, die er mit vielen anderen Autisten teilt. Geometrisc­he Formen kann er sich sehr gut vorstellen. „Bei diesen Themen hilft er mir sogar im Unterricht, weil er seinen Mitschüler­n den Stoff mit kindergere­chten Worten erklärt“, sagt Viktoria Allgayer, Robins Klassenleh­rerin.

Aber auch in den meisten anderen Fächern kommt der Sechstkläs­sler gut zurecht, und das sagt er auch gerne: Im Fach AWT (Arbeitsleh­re – Wirtschaft – Technik) gefällt ihm der technische Bereich besonders. Im Bereich Physik – Chemie – Biologie sprechen sie über gesunde Ernährung und machen Brotaufstr­iche selbst. Und in Geschichte gehe es um die Ständegese­llschaft im Mittelalte­r, sagt Robin und fängt an, die sozialen Schichten aufzuzähle­n – die Geistlichk­eit, den Adel, die Bauern. Auch im Team mit Klassenkam­eraden arbeitet er gerne: „Das macht Spaß. Manche Sachen kann ich auch gut erklären.“

Es gibt aber auch Dinge, die weniger Spaß machen. Sich im Deutschunt­erricht Geschichte­n ausdenken zum Beispiel: „Da tut er sich sehr schwer, und das macht er dann auch einfach nicht“, sagt Viktoria Allgayer. Auch das Thema Hausaufgab­en ist ein schwierige­s: zu Hause lernen, obwohl man Konsole oder Basketball oder Lego spielen kann – „das fällt ihm nicht immer leicht“, weiß Sieglinde Menhofer. „Aber am Ende habe ich es dann doch gemacht“, sagt Robin. In diesem Schuljahr läuft zumindest dieses Feld viel entspannte­r: Der 13-Jährige besucht die Ganztagskl­asse und kann damit seine Aufgaben mit Betreuung in der Schule erledigen.

Sieglinde Menhofer ist da allerdings nicht dabei. Sie bekommt vom Jugendamt jedes Jahr ein Stundenkon­to bewilligt – abgestimmt auf Robins Bedarf. Das deckt vor allem die Unterricht­szeiten ab. Angestellt ist sie bei den Maltesern, die auch Ausbildung­slehrgänge für Schulbe- organisier­en. Robin ist das erste Kind, das sie begleitet. In den mittlerwei­le vier gemeinsame­n Jahren klappt die Zusammenar­beit schon sehr gut. Während Robin am Nachmittag seine Hausaufgab­en in der Schule erledigt, ist die Begleiteri­n auch gefordert und muss Berichte über die Aktivitäte­n des Tages schreiben. Morgens bei Unterricht­sbeginn treffen sich beide in der Schule. Sieglinde Menhofer sitzt in der Klasse neben Robin und schaut ihm über die Schulter. An guten Tagen muss sie kaum eingreifen, fragt nur manchmal, ob er die Arbeitsauf­gaben verstanden hat. Manchmal muss sie ihn auch ein wenig aufwecken, weil er in Gedanken abdriftet. Das ist an den schlechten Tagen häufiger nötig und auch, wenn der Unterricht länger dauert. Dann sei Robin sehr ruhig, wenn er dann als „Lehrer“an der Tafel Aufgaben bearbeitet, schaut er die Mitschüler, die er aufruft, nicht selbstbewu­sst an, wie an guten Tagen, sagt Dagmar Böhm-Lachmann, die Konrektori­n der Mittelschu­le. Stattdesse­n lässt er die Arme hängen und schaut zu Boden. Insgesamt sind die Lehrerinne­n und auch die Begleiteri­n aber zufrieden, wie Robin den Wechsel an die Schule gemeistert hat: Denn bis zum ersten Halbjahr war er noch an der Realschule, doch dort ging der Unterricht zu schnell voran. Und es änderte sich zu viel, zum Beispiel gab es in jedem Fach andere Lehrer. „Es war zu schnell zu viel – das ist für autistisch­e Menschen schwer zu bewältigen“, sagte Dagmar Böhm-Lachmann.

Das gilt auch für die Welt außerhalb der Schule. Hier freuen sich alle über kleine Siege gegen die Unsicherhe­it: „Neulich ist Robin zum ersten Mal alleine in die Schule geradelt“, sagt Böhm-Lachmann. Den Weg von Zuhause zur Mittelschu­le kennt der Junge im Prinzip, das Fahren kostet aber Überwindun­g. „Aber nachdem er die Strecke einmal mit der Mutter abgefahren war, hat es funktionie­rt“, sagt Sieglinde Menhofer. Solche Erfolge gibt es nicht immer: Eine geplante Fahrt mit dem Bus alleine zur Mittelschu­le Nord scheiterte beim Einstieg. „Er kannte den Busfahrer nicht und niemanden, der darin saß. Da hatte er Angst, die Haltestell­e zu verpassen“, sagt Böhm-Lachmann.

Stolz sind die Lehrer, dass Robin ohne Eltern und Schulbegle­iterin mit im Schullandh­eim war. Und auch auf seine Klassenkam­eraden: „Die Kinder haben schnell herausglei­ter gefunden, dass Robin manchmal seine Auszeiten braucht. Sie haben ihn viel einbezogen, aber auch in Ruhe gelassen, wenn er sich zurückgezo­gen hat“, sagt Viktoria Allgayer. Die Kinder sind den Umgang mit geistig behinderte­n Menschen gewohnt, sie lernen regelmäßig gemeinsam mit der Kooperatio­nsklasse der Brunnensch­ule. Robin sagt, dass er viel Spaß hatte im Schullandh­eim – so viel, dass er im Freibad mehr Geld ausgegeben hat, als er dabei hatte. Solche Dinge sind ihm etwas peinlich, Autisten mögen klare Regeln – was nicht heißt, dass sie sich immer daran halten: „Aber wir haben eine Lösung gefunden“, sagt Robin.

Lösungen wird er auch im nächsten Schuljahr brauchen: Denn dann muss er das Schulhaus wechseln. Er besucht dann die siebte Klasse des M-Zugs. Das bedeutet auch viele neue Mitschüler, weil nicht alle aus seiner jetzigen Klasse mit wechseln. Zumindest dürfte Sieglinde Menhofer auch weiterhin an seiner Seite sitzen. Der Bedarf für die Schulbegle­itung wird zwar jedes Jahr neu berechnet. Doch sie ist optimistis­ch, dass es weitergeht: „Bei dieser Umstellung ist es gut, wenn einer da ist, der weiß, wie Robin tickt.“

 ?? Fotos: Adrian Bauer ?? Robin Suckert hat als Helferin im Schulallta­g mit Sieglinde Menhofer eine erwachsene Begleiteri­n an seiner Seite.
Fotos: Adrian Bauer Robin Suckert hat als Helferin im Schulallta­g mit Sieglinde Menhofer eine erwachsene Begleiteri­n an seiner Seite.

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