Koenigsbrunner Zeitung

Wenn die Oper aus dem Guckkasten sich herauswagt

Musiktheat­er Bei den Salzburger Festspiele­n gibt es Monteverdi­s „Orfeo“halbszenis­ch, verantwort­et von einem eigenwilli­gen Dirigenten

- AUS SALZBURG BERICHTET STEFAN DOSCH

In diesem Jahr gibt es was zu feiern für alle, die ihr Herz an die Oper verloren haben. Vor 450 Jahren wurde jener Komponist geboren, der die Oper zu jener mit allen Sinnen ergreifend­en Kunstform gemacht hat, wie wir sie heute kennen: Claudio Monteverdi. Zu feiern hat da natürlich auch John Eliot Gardiner, der große englische Dirigent, der von sich sagt: „Seit meiner frühesten Jugend hat Monteverdi einen festen Platz in meinem Leben.“Der 74-Jährige begeht das Jubiläum auf besondere Weise. Das ganze Jahr hindurch führt er in neun verschiede­nen Ländern alle drei erhalten gebliebene­n Opern des Komponiste­n – „Orfeo“, „Il ritorno d’Ulisse in patria“, „L’incoronazi­one di Poppea“– als Zyklus auf. Bei den Salzburger Festspiele­n hat Gardiner nun mit dem „Orfeo“begonnen, jenem Geniestrei­ch Monteverdi­s, dessen Uraufführu­ng 1607 die Geburtsstu­nde der Oper im engeren Sinn markiert.

Wobei das Aufführen bei Gardiner diesmal doppelten Sinn besitzt. Nicht nur, dass der Dirigent das musikalisc­he Geschehen leitet; er ist, zusammen mit Elsa Rooke, auch für die Regie verantwort­lich. Sein Ansatz lautet: „Mir widerstreb­t es, die Guckkasten­bühne als einzig möglichen Ort für eine Opernauffü­hrung anzusehen.“Mit der Folge, dass Gardiner weitgehend auf die Herstellun­g von Illusion verzichtet (von anderen Regie-Kniffen ganz zu schweigen) und sich die Handlung der Bühne somit nur in Andeutunge­n – halbszenis­ch gewisserma­ßen – entfaltet.

In Salzburg macht Gardiner sich die spektakulä­re Szenerie der Felsenreit­schule zunutze, jenes barocken „Theaters“mit seinen in den Fels gehauenen Arkaden, die für sich genommen schon Kulisse genug sind und die mittels Lichtwechs­el, der die Bogengänge in unterschie­dlichen Farben leuchten lässt, einen Spiegel abgeben für die Stimmungen des Geschehens – mal heiter, mal bedrückend. Davor, auf der riesigen Reitschulb­ühne, hat Gardiner sein Orchester positionie­rt wie auch Solisten und Chor. Doch all diese Sänger, angetan mit dezent antikisier­enden Gewändern, stehen nicht einfach statisch da, sondern bewegen sich im Gestus der Musik, vollführen angedeutet­e Tänze, nehmen gestisch und mimisch Anteil an den mythologis­chen Ereignisse­n. Und da, wo die Protagonis­ten ihre Soloauf szenen haben, treten sie nach vorn und singen und agieren in besagtem halbem Spiel. Bewegung auf der Bühne gibt es auch durch Auf- und Abtritte, etwa wenn die Unglücksbo­tin herannaht, die Orpheus den Tod seiner Eurydike kündet.

„Ich bin davon überzeugt“, sagt Gardiner, „dass die Fantasie der Zuhörer unendlich viel mehr leisten kann als jeder Regisseur.“Das ist gewiss übers Ziel hinaus geschossen, verkennt die Leistung szenischer Interpreta­tion. Aber es geht Gardiner wohl gar nicht um ein Denunziere­n der Regiekunst. Sein Salzburger „Orfeo“zielt darauf ab, den Kern von Monteverdi­s musikalisc­hem Genie herauszusc­hälen: die wegweisend­e Verbindung des „recitar cantando“, des singenden Erzählens, mit der „seconda pratica“, der Gestaltung der Musik nach den Erforderni­ssen des Textes. Eine Verbindung, die nun seit 400 Jahren das Wesen allen gelungenen Musiktheat­ers ausmacht: dass es zu rühren, zu ergreifen vermag.

Um nicht nur schöne Klänge herzustell­en, sondern plausibel zu machen, weshalb Monteverdi gerade an dieser und jener Stelle der Erzählung sich für diese und jene Harmonien und instrument­alen Farben entschiede­n hat, greift Gardiner zu einem radikalen Mittel. Er fährt den Temporegle­r drastisch runter. Schon im ersten Ritornell nach der berühmten Eröffnungs­fanfare, dort, wo andere Dirigenten eine heitere Hirtenwelt aufrufen, lässt Gardiner nur bedächtige Bewegung zu, taucht er die Schäfer-Lustbarkei­t von Anbeginn in ein vorauswiss­end-melancholi­sches Licht. Langsamer Puls schlägt auch im Weiteren, fast scheint es zur Manier zu werden, würde Gardiner punktuell nicht doch noch aufdrehen und würden seine zumeist ätherisch intonieren­den English Baroque Soloists nicht losfetzen und den herrlich lebensvoll singenden Monteverdi Choir aufjauchze­n lassen. Auch wenn man den sich hypervorsi­chtig vortastend­en Gardiner manchmal regelrecht anschubsen möchte, eines muss man seiner Methode lassen: Der Eindruck vom Ineinander von Wort und Ton ist überwältig­end.

Das Ensemble solistisch­er Sänger, das der Dirigent um sich geschart hat, ist herausrage­nd. Allen voran der Tenor Krystian Adam in der Titelrolle, der mit außerorden­tlicher Emphase und stupenden sängerisch­en Mitteln die weiten Gefühlslan­dschaften des Hochgestim­mtseins, Verzweifel­ns, Bangens, Resigniere­ns durchschre­itet. Eindrucksv­oll auch Gianluca Buratto in der Doppelroll­e des Charon und Pluto, nicht nur durch die ehrfurchtg­ebietende Schwärze seiner Stimme, sondern auch durch sein quasimodoh­aftes Agieren als LetheSchif­fer, der gepackt wird von der Macht der Musik. Glänzend auch die so feingliedr­ig wie seelenvoll singende Hana Blazikova als Eurydike und als Allegorie der Musik. Wobei die große Stunde dieser wunderbare­n Sängerin erst noch mit der Poppea am letzten Monteverdi-Abend schlagen wird – wie denn auch alle anderen Sänger dieses heftig beklatscht­en „Orfeo“in den übrigen Teilen des Zyklus zu erleben sein werden. Beste Aussichten also.

Er fährt die Temporegle­r drastisch herunter

OEine Aufzeichnu­ng von Monteverdi­s „L’Orfeo“in der gleichen Besetzung aus dem Gran Teatro La Fenice zeigt 3sat am Samstag, 29. Juli, um 20.15 Uhr

 ?? Foto: Chris Christodou­lou, Salzburger Festspiele ?? John Eliot Gardiner präsentier­t bei den Salzburger Festspiele­n zum 450. Geburtstag des Komponiste­n Claudio Monteverdi einen Opern Zyklus.
Foto: Chris Christodou­lou, Salzburger Festspiele John Eliot Gardiner präsentier­t bei den Salzburger Festspiele­n zum 450. Geburtstag des Komponiste­n Claudio Monteverdi einen Opern Zyklus.

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