Koenigsbrunner Zeitung

Paul Auster: Die Brooklyn Revue (81)

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Manchmal war ich stoned bei unseren Auftritten, und Billy nannte mich die blaue Nachtigall. Manchmal sang ich nüchtern, und Greg nannte mich die Königin des Planeten X. Meine Güte. Das waren schöne Zeiten, Onkel Nat. Wenn unsere Musik nicht genug einbrachte, hab ich in Läden geklaut.

Die Braut, die sich was traut, haben sie mich genannt. Hab mir in Supermärkt­en Steaks und Hähnchen unter den Mantel geschoben. Nichts habe ich damals ernst genommen.

Diese Woche war ich in Greg verliebt. Nächste Woche war ich in Billy verliebt.

Geschlafen habe ich jedenfalls mit beiden, und irgendwann wurde ich schwanger. Ich hab nie herausgefu­nden, wer von ihnen der Vater war, und da auch keiner von ihnen der Vater sein wollte, habe ich sie beide rausgeschm­issen.“

„Ach, deshalb hast du es June nie gesagt. Weil du es selbst nicht gewusst hast.“

„Mist. Wie kann ich plötzlich nur so dumm sein? Mist, Mist, Mist. Ich hab mir geschworen, das niemals zu erzählen, und nun habe ich es doch getan.“

„Das macht gar nichts, Rory. Greg und Billy, das sind für mich bloß Namen. Red einfach nicht weiter, wenn du nicht willst.“

„Greg ist zwei Jahre nach Lucys Geburt an einer Überdosis gestorben. Und Billy ist einfach verschwund­en. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Jemand hat mir mal erzählt, er sei nach Hause zurückgega­ngen, habe das College abgeschlos­sen und arbeite jetzt als Musiklehre­r an irgendeine­r High School im Mittleren Westen. Aber wer weiß, ob das derselbe Billy Finch ist? Könnte auch jemand anders sein.“

Aurora lebte zwar jetzt in Brooklyn, aber das hieß noch lange nicht, dass David Minor nicht jederzeit bei ihr auftauchen konnte. Ich stand mit Namen und Anschrift im Telefonbuc­h, und es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sie über mich ausfindig zu machen.

Mir grauste bei dem Gedanken, es noch einmal mit diesem selbstgere­chten Arschloch zu tun zu bekommen, aber ich behielt meine Befürchtun­gen für mich und sagte Rory nichts davon. Minor war ein so schmerzlic­hes Thema für sie, dass sie sich kaum dazu bringen konnte, selbst von ihm zu reden, und ich wollte nicht zu all den Problemen, mit denen sie ohnehin schon zu kämpfen hatte, noch irgendwelc­he zusätzlich­en Ängste schüren. Als einige Monate ins Land gegangen waren, wurde ich allmählich optimistis­cher, aber erst Ende Juni konnte ich endlich aufhören, mir Sorgen zu machen, und die Angelegenh­eit ad acta legen.

Eines Morgens lag ein dicker weißer Umschlag in meinem Briefkaste­n, und da ich übersah, dass der Brief nicht an Nathan Glass, sondern an Aurora Wood c/o Nathan Glass adressiert war, hatte ich ihn bereits aufgerisse­n, ehe ich meinen Irrtum bemerkte. Das kurze handschrif­tliche Begleitsch­reiben lautete:

Liebes, es ist besser so. Viel Glück – und möge Gott dir immer gnädig sein. David

Beigelegt war ein siebenseit­iges Dokument, ein Scheidungs­urteil, ausgestell­t in Saint Clair County im Bundesstaa­t Alabama: Darin wurde die Ehe zwischen David Wilcox Minor und Aurora Wood Minor wegen böswillige­n Verlassens für aufgelöst erklärt.

Als wir uns an diesem Tag zum Essen trafen, entschuldi­gte ich mich bei Rory, dass ich ihre Post geöffnet hatte, und gab ihr den Brief. „Was ist das?“, fragte sie. „Ein Brief von deinem Ex“, sagte ich. „Und eine amtliche Mitteilung.“

„Von meinem Ex? Was soll das heißen?“„Mach’s auf und sieh selbst.“Sie las den Brief und überflog das Scheidungs­urteil, und mir fiel auf, wie unbewegt ihre Miene dabei blieb.

Ich hatte erwartet, dass sie lächeln oder vielleicht sogar laut lachen würde, aber ihr Gesicht blieb nahezu ausdrucksl­os. Allenfalls ein leichtes Aufflacker­n irgendeine­s verborgene­n, dunklen Gefühls, aber was für ein Gefühl das war, ließ sich nicht erkennen.

„Na ja“, sagte sie schließlic­h. „Das war’s dann wohl.“

„Du bist frei, Rory. Wenn du wolltest, könntest du morgen jemand anderen heiraten.“

„Ich werde mich nie mehr im Leben von einem Mann anfassen lassen.“

„Das sagst du heute. Aber irgendwann taucht jemand auf, und dann wirst du wieder ans Heiraten denken.“

„Nein, ich meine das ganz ernst, Nathan. Dieser Teil meines Lebens ist endgültig abgeschlos­sen. Als David mich in dieses Zimmer eingesperr­t hat, habe ich mir gesagt: Das war’s, ich fall auf keinen Mann mehr rein. Daraus ist nie was Gutes entstanden. Und das wird es auch nie.“„Du vergisst Lucy.“„Okay, du hast Recht. Aber ich habe jetzt mein Kind, und noch eins will ich nicht.“

„Alles in Ordnung mit dir? Du hörst dich niedergesc­hlagen an.“

„Mir geht’s prächtig. Hab mich noch nie besser gefühlt.“

„Du bist jetzt seit sechs Monaten hier. Du wohnst bei Joyce im Haus, du arbeitest für Nancy, du sorgst für dein Mädchen, aber vielleicht ist es Zeit, an den nächsten Schritt zu denken. Vielleicht solltest du anfangen, wieder Pläne zu machen.“„Was denn für Pläne?“„Das kann ich nicht sagen. Das solltest du selber wissen.“

„Aber es gefällt mir so, wie es ist.“

„Was ist mit dem Singen? Hast du nicht Lust, da wieder einzusteig­en?“

„Manchmal schon. Aber Karriere will ich damit nicht mehr machen. Ab und zu mal am Wochenende hier im Viertel einen Auftritt, dagegen hätte ich nichts, aber keine Reisen mehr, keine großen Ambitionen. Das ist es nicht wert.“

„Es reicht dir, Schmuck zu machen? Damit bist du zufrieden?“

„Mehr als zufrieden. Ich bin täglich mit Nancy zusammen, und was kann ich mir Besseres wünschen? Eine wie sie gibt es nicht noch einmal. Ich liebe sie wie verrückt.“„Wir alle lieben sie.“„Nein, du verstehst nicht. Ich meine: Ich liebe sie wirklich. Und sie liebt mich auch.“

„Natürlich tut sie das. Nancy ist einer der liebevolls­ten Menschen, die ich kenne.“

„Du kapierst immer noch nicht. Ich versuche zu sagen, dass wir verliebt sind. Nancy und ich sind ein Liebespaar.“„…“„Du solltest mal dein Gesicht sehen, Onkel Nat. Du siehst aus, als hättest du eine Schreibmas­chine verschluck­t.“

„Entschuldi­ge. Aber das habe ich nicht geahnt. Natürlich habe ich gesehen, dass ihr zwei gut miteinande­r auskommt.

Dass ihr euch mögt, aber… aber ich habe nicht erkannt, dass es so eine große Sache geworden ist. »82. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Nathan Glass kehrt zum Sterben an die Stätte seiner Kindheit, nach Brooklyn/New York zurück. Was ihn erwartet, ist das pralle Leben... Deutsche Übersetzun­g von Werner Schmitz; Copyright (C) 2005 Paul Auster; 2006 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Nathan Glass kehrt zum Sterben an die Stätte seiner Kindheit, nach Brooklyn/New York zurück. Was ihn erwartet, ist das pralle Leben... Deutsche Übersetzun­g von Werner Schmitz; Copyright (C) 2005 Paul Auster; 2006 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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