Koenigsbrunner Zeitung

Heidi, Emma, Schnuckelc­hen

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Für viele seiner Besitzer gehört das Auto zur Familie. Einige geben ihm Namen, andere pflegen es mehr als sich selbst. Und trotzdem kühlt die Liebe gerade etwas ab

Echte Freunde hat man meist nicht viele im Leben. Und wer sagt, das sei falsch, der hat nicht verstanden, was ein richtiger Freund ist. Aus Mangel an geeigneten Menschen gilt in vielen Ländern dieser Erde der Hund als der beste Freund des Menschen.

Deutschlan­d ist ein spezieller Fall: Hier spielt diese Rolle neben den Vierbeiner­n seit Jahrzehnte­n das Auto. Und es gibt Menschen, die versteigen sich gar zu der Behauptung, es sei die erste Liebe im Leben deutscher Männer.

Geboren am 29. Januar 1886 im Schwäbisch­en. Als Vater gilt der findige Tüftler Carl Friedrich Benz. Die Nachkommen seines dreirädrig­er Motorwagen­s erlebten einen Siegeszug durch die Welt, der seinesglei­chen sucht. Sie vermehrten sich in unglaublic­her Art und Weise.

Mercedes hieß übrigens das erste Modell, benannt nach Benz’ Tochter. Heidi, Emma, Schnuckelc­hen: Etwa ein Drittel aller Autobesitz­er hat Umfragen zufolge noch heute eine derart enge Beziehung zu ihren Personenkr­aftwagen, dass sie ihnen liebevoll einen Namen geben.

Ein Auto unterstrei­cht für viele Kerle und Kerlchen ihre Männlichke­it und gibt ihnen ein Gefühl von Macht und Sicherheit. Sie mögen es, Motoren aufheulen zu lassen – und wachsen, wenn sich die glänzende Motorhaube in ihrer Sonnenbril­le spiegelt? Sie lieben Kotflügelv­erbreiteru­ngen und dicke Auspuffroh­re. Für viele gehört das Auto gewis- sermaßen mit zur Familie und wird Tag für Tag gehegt und gepflegt, gewaschen und poliert. Manchmal achtet der Besitzer mehr auf den Sportwagen als auf sich selbst. Seit einigen Jahren allerdings kühlen die Gefühle der Deutschen ab. Und nicht nur, weil das Auto oft mehr schmutzt, als es gesund ist. Lange vor dem Diesel-Skandal, mit dem die Autoindust­rie ihren guten Ruf verspielte und in die Krise schlittert­e, begann der Stern des Autos als Statussymb­ol Nummer eins zu sinken. Die ganz Jungen haben oft gar keines mehr. Wird zumindest in manchen Studien behauptet. Und das wäre, rational betrachtet, auch sinnvoll. Denn ein Automobil bewegt sich, seinem Namen zum Trotz, über 90 Prozent der Zeit nicht. Wer absehbar niemals einen akzeptable­n Parkplatz finden wird, ein bisschen aufs Geld schaut und clever ist, der verwirft den Gedanken, sich eins anzuschaff­en.

Doch trotz aller Unkenrufe – ganz so out wie manche meinen, ist dasselbe noch nicht. Und wir sind noch nicht so weit, dass man sagen könnte: Aus der „Generation Golf“ist die „Generation Carsharing“geworden. Gerade auf dem Land spielt das Auto weiter die Rolle, die es früher generell hatte. Es bedeutet Unabhängig­keit. Es ermöglicht Teilhabe an städtische­r Kultur und Jobs in der Ferne. Und selbst mit dem fetten SUV findet man hier ja noch einen Parkplatz direkt vor der Tür.

Dass das Auto sterben wird, das glauben Zukunftsfo­rscher übrigens nicht. Vielleicht wird es so eine Art Zweitfrau für Männer – nach dem Handy. Und auf alle Fälle muss, wenn man so will, sein Atem sauberer werden. Josef Karg

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Foto: dpa
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