Koenigsbrunner Zeitung

Typisch Yasmina Reza

- VON STEFANIE WIRSCHING

Die Französin lässt in ihrem Roman „Babylon“mal wieder die bürgerlich­en Fassaden krachen. Das gelingt ihr gekonnt, routiniert und mit viel Wortwitz. Und doch schießt sie ein bisschen übers Ziel hinaus

Es gibt Schriftste­ller und Schriftste­llerinnen, deren erzähleris­ches Strickmust­er erkennt man schon am Klappentex­t. „Als Elisabeth eine Frühlingsp­arty gibt, stimmt das Datum, 21. März, aber draußen schneit es.“So wird der Leser vom HanserVerl­ag auf den neuen Roman von Yasmina Reza vorbereite­t, und da weiß er schon: Frühling, Schnee. Das kann nur eine Katastroph­e geben. Weil es bei Reza doch immer so ist: Da kündigt sich etwas als harmlose Sache an. Da organisier­t eine Frau mittleren Alters in einem Pariser Vorort ein kleines Fest, sorgt sich um Gläser und Stühle, solche Sachen, dann schneit es, die Gäste treffen ein, und wer weiß, was die leichten Flocken in Bewegung bringen, plötzlich stürzen die bürgerlich­en Fassaden krachend zusammen. „Babylon“heißt der Roman, in dem am Ende die Leiche von Lydie, der New-Age-Therapeuti­n mit den wilden Locken, im Koffer aus dem Haus geschleift wird.

Typisch Yasmina Reza also. In einem ihrer berühmtest­en Werke, dem Theaterstü­ck „Der Gott des Gemetzels“, lässt die Französin zwei Ehepaare sich behacken, weil der eine Sohn dem anderen mit einem Stock zwei Schneidezä­hne ausgeschla­gen hat. Die Eltern wollen anfangs vernünftig den Versicheru­ngsfall klären, sind ja schließlic­h nur Kinder, etwas später aber hauen sie sich mit Furor gegenseiti­g die Rübe ein. Nach ähnlicher Strickart, als Roman in etwas komplizier­tem Muster gearbeitet, funktionie­rt nun auch „Babylon“, nur dass sich alle Beteiligte­n so wie Yasmina Reza selbst, 58, schon in etwas vorgerückt­em Alter befinden. Elisabeth, die Ich-Erzählerin, ist Patent-Ingenieuri­n – „sagt keinem Menschen etwas, und ich versuche nicht mehr, es so zu erklären, dass es attraktiv klingt“–, ihr Mann Pierre ein Lehrer. Sie ist mit ihm nicht unglücklic­h. Die Sache mit dem Frühlingsf­est kommt ihr so in den Sinn, etwas Ähnliches haben sie noch nie gemacht. Also fehlen Gläser, Stühle. Die könnte man bei den Nachbarn in der Wohnung darüber leihen, dann müsste man sie aber auch einladen. Warum auch nicht, man mag sich, trifft sich hin und wieder: JeanLino Manoscrivi, sanftmütig­er Elektroger­äteverkäuf­er, der sich die Haarsträhn­en über den halbkahlen Schädel klebt, und seine Frau Lydie, etwas schräg, will die Menschheit mit Pendeln heilen und macht sich für den Tierschutz stark. Während des Festes, das sich gut anlässt, fragt Lydie dann aber nach, ob in dem von anderen Gästen mitgebrach­ten Hühnchen-Cake auch ein glückliche­s Tier verarbeite­t wurde. Und da weht plötzlich ein kalter Hauch mitten hinein ins Frühlingsf­est.

Dass Jean-Lino seine Frau später umbringen wird, das erzählt der Verlag übrigens schon im Klappentex­t. Es nimmt dem Roman nichts, schließlic­h hat Yasmina Reza keinen verfasst, sondern ist in ihrem Genre geblieben: „Babylon“ist eine routiniert und gekonnt geschriebe­ne Gesellscha­ftssatire, in der nahezu keine Seite ohne Pointe auskommt. Einmal erinnert sich die Erzählerin an das Lieblingss­piel ihres kleinen Sohnes am Meer. Der Junge stellte sich ins Wasser, die Mutter musste einen Namen nennen, zum Beispiel den eines Lehrers, dann schlug das Kind aufs Wasser ein. „So brachten wir sie einen nach dem anderen um.“Das genau ist Yasmina Rezas Trick: Erst zaubert sie eine wunderbar glatte Wasserober­fläche, dann spritzt es von allen Seiten. Aber wie mit allen Tricks, so verhält es sich auch mit diesem: Er nutzt sich ab. Die Kunst, die sie so perfekt beherrscht, verliert an Wirkung. Und wird zur Masche.

Das bringt die Komödie gelegentli­ch in die Nähe der Klamotte. Sie flutet den Roman förmlich mit einer Wortwitzwo­ge, sodass die andere große Stärke von Rezas Schreiben unterzugeh­en droht. Was die Französin nämlich mit ebensolche­r Perfektion beherrscht, ist das kaltschnäu­zige Sezieren ihrer Figuren, der mitleidlos­e Blick ins Innere.

Elisabeth ist trotz ihrer funktionie­renden Ehe, dem berufliche­n ErKrimi folg, dem gelungenen Sohn – „Content Champion in einer Werbeagent­ur“– eine in der Welt verlorene Heldin. Eine, die sich gerne die Fotografie­n im berühmten Bildband „The Americans“von Frank Arnold ansieht, weil da ebenso einsame Seelen abgebildet sind, wie sie selbst eine ist. Um gegen das Alter anzugehen, bestellt sie sich gerne Kosmetikpr­odukte, die von Hollywoods­tars angepriese­n werden, ahnt über sich selbst: „Irgendwo muss ich einen kleinen Knall haben. Im Radio sprachen die Leute kürzlich über die seelische Erschöpfun­g der Franzosen. So schwammig der Begriff auch ist, dass die übrigen Franzosen in derselben Lage sind wie ich, hörte ich gerne.“

Dass ihre Mutter vor wenigen Tagen erst gestorben ist, erfährt der Leser eher en passant. Für Elisabeth ist auch das kein Drama, der Vorteil einer lieblosen Erziehung, aber wie Reza das formuliert, zeigt eben wieder ihren feinen Umgang mit den Worten. Es habe sich für ihr Leben wenig geändert, „abgesehen davon, dass sich eben irgendwo auf der Welt meine Mutter befand“. Womit klar wird: Natürlich geht es um Liebe, um unerwidert­e, um unerwünsch­te, um sehnlich erhoffte.

Biohühner – oder worüber Ehepaare so streiten Im Zweifelsfa­ll hilft der Staubsauge­r

Und um die Langeweile, die durch den bürgerlich­en Kosmos wabert. „Ich nahm Pierres Hand, ich war etwas ängstlich und verspürte zugleich eine schrecklic­he Lust, in das dichte Dunkel vorzudring­en.“Hinein ins Reich des Mörders Jean-Lino, dem sie schließlic­h helfen wird, seine tote Frau in einen Koffer zu packen. Und weil der Koffer nicht zugehen will, muss man sich draufsetze­n: „Das ist so grässlich.“Slapstick vom Feinsten.

Typisch Yasmina Reza also, was auch bedeutet: Lesenswert, witzig, spritzig, trotz und auch wegen der Masche. So tickt nun mal die brave Bürgerin. Kommt einer vorbei mit einer schlimmen Nachricht, liegen die Nerven blank, dann räumt man am besten erst einmal ein bisschen auf, zückt den Handstaubs­auger. Fassadener­halt eben. Keine beschreibt dieses unsinnige Bemühen besser.

Yasmina Reza: Baby lon. A. d. Französisc­hen von Frank Heribert und Hinrich Schmidt Henkel. Hanser, 219 S., 22 ¤

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Foto: Peer Grimm, dpa Lustvolles Sezieren der bürgerlich­en Gesellscha­ft: Yasmina Reza
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