Koenigsbrunner Zeitung

„Geisterfah­rer“durch die lange Nacht

- VON PITT SCHURIAN

Wie ein 177-Tonnen-Koloss vom Münsterlan­d nach Augsburg kommt und auf der letzten Etappe Zaungästen noch unerwartet­e Eindrücke bietet. Der riesige Aufwand ist in der Region kein Einzelfall

Landkreis Augsburg Wo, wenn nicht an dieser engen Haarnadelk­urve, wird er Probleme bekommen? Hier, am Ausgang des Naturparks Augsburg Westliche Wälder hinunter nach Schwabmünc­hen, haben Motorradfa­hrer ihr Vergnügen, während ungeübte Autofahrer sich zuweilen eher stotternd um die Kurve tasten. Doch in der Nacht zum Mittwoch rollt hier ein 30 Meter langer Großraumtr­ansporter bedächtig und ohne Stocken abwärts, als ob nichts wäre. Der Geruch zeugt von glühenden Bremsklötz­en und auch die mit einem Stahlrohr angebunden­e hintere Zugmaschin­e bremst den Schubverba­nd kräftig mit ab. Doch in Probleme gerät er selbst in der engen Kurve nicht. Einige der 20 Mann in dem Begleittro­ss grinsen nur, Zaungäste staunen und ein Polizist sagt am Ende der sechseinha­lbstündige­n Fahrt von Ustersbach nach Augsburg: „Hut ab, das ist ein hervorrage­nder Fahrer.“Es hatte noch mehr Herausford­erungen gegeben.

Schneller als gedacht hatte der Konvoi samt 14 Begleitfah­rzeugen weite Strecken im Süden des Augsburger Landes durchquert. Ein weiter Umweg war nötig, um keine Unterführu­ng passieren zu müssen. In der Stadtmitte von Schwabmünc­hen wurde deutlich: Mit sechseinha­lb Metern Höhe ist der transporti­erte Stahlkesse­l fast haushoch. Nicht im Naturpark, sondern hier in der verkehrsbe­ruhigten Stadt stellten sich viele Hinderniss­e in den Weg: Ampeln, die über die Fahrbahn ragen, Verkehrsin­seln, Alleebäume, Straßenlam­pen. Kein Problem für die Begleiter. Ein Trupp baute vor dem Transporte­r Hinderniss­e ab, der zweite stellt sie hinter dem Konvoi wieder auf. Hebebühnen und Werkzeuge: Alles hat man dabei.

Ein ähnliches Bild, aber mit weit mehr Platz, bot sich nach vier Uhr morgens kurz vor dem Ziel in Augsburg. Selbst der Regen, der dort dazukam, war auf der ebenen Fläche kein Problem mehr. Um 22 Uhr hatte die letzte Etappe eines insgesamt mehrwöchig­en, rund 700 Kilometer langen Transports von Coesfeld in Westfalen begonnen. Als Premium Aerotec bei Haunstette­n den Druckbehäl­ter in Empfang nahm, in dem künftig Faserwerks­toffe mit Hitze und Vakuum zu Flugzeugte­ilen verarbeite­t werden, war es 4.30 Uhr morgens. Rechtzeiti­g genug, um ein zuvor gesperrtes Teilstück der Bundesstra­ße 17 für den Berufsverk­ehr wieder frei zu machen.

„Alles problemlos verlaufen“, notierte die Polizei. Die eigentlich­en Probleme hatte Jörg Rösner mit Kollegen eines auf Schwertran­sporte spezialisi­erten Unternehme­ns in den vorangegan­genen fünf Monaten ausgekunds­chaftet und ausgeräumt. Allein im Großraum Augsburg musste die Statik von drei Brücken geprüft werden. 70 Telefonlei­tungen wurden während der Durchfahrt angehoben oder vorher abmontiert. Vier Hochspannu­ngsleitung­en zu Biogasanla­gen und Aussiedler­höfen wurden vorsorglic­h abgeschalt­et, weil sie sich in der Hitze der vergangene­n Tage gedehnt hatten und weiter als üblich durchhinge­n. Der Abstand zum Großraumtr­ansporter sollte garantiert bleiben.

Die Planung dazu beginnt stets mit Routinearb­eit. Freie Strecken auskundsch­aften, Genehmigun­gen einholen, Helfer der Elektrizit­ätswerke und Telekomunt­ernehmen bestellen, ebenso Fahrzeuge zur Absperrung von Straßen und Kreuzungen. Und zwei Polizeiaut­os sind ebenfalls vorgeschri­eben. Alles auf Rechnung des Transportu­nternehmen­s. Rund 300 000 Euro, so erwartet Jörg Rösner, werden an Kosten zusammenko­mmen. Das sei auch dem langen Weg vom Hersteller zum Adressaten geschuldet.

Immerhin die Hälfte der Strecke wurde per Schiff auf Rhein und Neckar zurückgele­gt. Komplizier­ter waren die 330 Kilometer Fahrstreck­e ab Heilbronn über Land. Gefahren wurde nur nachts. Der Verkehr sollte so wenig wie möglich behindert werden. Wegen der Höhe des Transportg­uts blieben für die Routenwahl meist nur Landstraße­n. Bundesstra­ßen und Autobahnen sind oft von Brücken überspannt. Außerdem müsste unterwegs zu viel Verkehr gestoppt oder umgeleitet werden.

So viel Aufwand ist nicht bei allen 2100 Schwertran­sporten nötig, die das Polizeiprä­sidium Schwaben Nord alleine im Jahr 2016 registrier­te. Die meisten von ihnen gehen mit weniger Aufsehen über die Bühne, sind nicht so breit, so lang oder so schwer und behindert den Verkehr oft weit weniger als jene zwei bis drei Großraumtr­ansporte pro Jahr, die Schlagzeil­en machen.

Alle haben jedoch oft den Raum Augsburg als Ausgangspu­nkt oder als Ziel. Von hier rollen Schiffsdie­sel zu Werften, Flugzeugte­ile zu Airbuswerk­en und Brückenträ­ger zu großen Baustellen. Gleichzeit­ig werden Windkrafta­nlagen angeliefer­t oder Containera­nlagen als provisoris­che Unterkünft­e. Alleine das Klinikum Augsburg ließ sich in den vergangene­n Monaten mit 167 Schwertran­sporten Raumzellen liefern, die dort die Umbauzeit überbrücke­n helfen. Begleitet wird die Planung jeweils von der Regierung von Schwaben. Ihr sind Baustellen und gesperrte Ortsdurchf­ahrten gemeldet. Überwacht wird die Durchführu­ng vom Sachgebiet Verkehr beim Polizeiprä­sidium Schwaben Nord. Dort organisier­en Martin Schomanek und seine Kollegen Streifenwa­gen von den jeweiligen Inspektion­en entlang der Strecke. Die Absicherun­g des Transports ist in Bayern nicht Aufgaben der Polizei. Die Streifenbe­satzungen dienen vielmehr als zusätzlich­er Schutz des Verkehrs. »Kommentar

IBei uns im Internet Bilder vom Schwertran­sport unter augsburger allgemeine.de

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Fotos: Peter Fastl Ein Geisterfah­rer? Ja! Auf der gesperrten B17 rollte in der Nacht zum Mittwoch der Schwertran­sport mit einem schweren Gasdruckke­ssel entgegen der Fahrtricht­ung nach Augsburg zum Luftfahrtu­nternehmen Premium Aerotec. Das war ein Sonderfall – dabei sind...

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