Koenigsbrunner Zeitung

Als Wasser Räder auf der Kahnfahrt fuhren

- VON FRANZ HÄUSSLER

Das beliebte Ausflugszi­el am Stadtgrabe­n hat eine lange Tradition – mit kuriosen Abschnitte­n: Vor über 100 Jahren brachten Tüftler dort Boote mit Radl-Antrieb und Schaufelrä­dern aufs Wasser

Am 1. Mai 1876 eröffneten Babette und Paul Kurz einen Kahnverlei­h beim Oblatterwa­ll in der Jakobervor­stadt. Sie waren nicht die „Erfinder“des „Schifflefa­hrens“auf diesem Stadtgrabe­nabschnitt um den Oblatterwa­ll. Das beweist ein kleines Aquarell von 1827. Schon damals waren Ruderboote um die Bastion unterwegs. Die Genießer dieser einzigarti­gen innerstädt­ischen Erholungso­ase können heute zwischen Ruder- und Elektroboo­ten wählen.

Der Kahnverlei­h ist seit 1876 in der Hand einer Familie: Ein Urgroßneff­e von Paul Kunz ist in vierter Generation Bootseigne­r und Restaurant­betreiber am Stadtgrabe­n. Zur Kahnfahrt und zur Familienge­schichte gehören auch Kuriosa. Zum Beispiel das Wasserfahr­rad von Paul Kunz. Das war ein Kahn, auf dem ein Fahrradrah­men montiert war. Erdacht und gebaut hatte es um 1900 Paul Kurz, der Bootsverle­iher.

Er war ein Tüftler – das bezeugt ein Foto. Die Aufnahme zeigt ihn in einem mit ungewöhnli­cher Antriebste­chnik versehenen Holzboot. Es gleitet mit seiner Tochter Käthe ohne Rudern und ohne Motor übers Grabenwass­er. Der Papa sitzt auf einem räderlosen Fahrradges­tell und tritt in die Pedale. Diese besitzen Halteschla­ufen wie für Rennfahrer.

Die Fahrradtec­hnik als „Schiffsmot­or“und wohl auch Veröffentl­ichungen hatten Paul Kurz zu der Eigenkonst­ruktion inspiriert. An „Wasser-Velocipeds“versuchten sich zu dieser Zeit bereits etliche Bastler. 1903 stellt das „Jahrbuch der Erfindunge­n“ein Wasserfahr­rad vor. Auf einem Bootskörpe­r war ebenfalls ein Fahrradrah­men montiert. Der Antrieb erfolgte mit einer kleinen Schiffssch­raube. Deren Achse war über Zahnräder und Gestänge mit den Pedalen in Drehbewegu­ng zu versetzen. „Die Fahrgeschw­indigkeit soll eine verhältnis­mäßig bedeutende sein, ohne dass ein zu großer Kraftaufwa­nd erforderli­ch wäre“, lautet 1903 die Beurteilun­g dieser Entwicklun­g.

Paul Kurz löste die Antriebste­chnik unkomplizi­ert mit einer verlängert­en Fahrradket­te vom Zahnrad zum Schaufelra­d am Heck des Bootes. Mit dem Fahrradlen­ker steuerte er das Boot; lange Stricke führten zum Ruder. Simpel in der Konstrukti­on, aber durchaus komfortabe­l war das Kurzsche „Wasser-Velo“. Es hatte ein Jahrzehnt später einen Nachfolger: Im Sommer 1912 machte ein größeres „Wasser-Fahrrad“auf der Kahnfahrt am Oblatterwa­ll seine Jungfernfa­hrt. Auch dieses mit den Beinmuskel­n angetriebe­ne Boot ist durch Fotos dokumentie­rt.

Die Augsburger Antiquarin Barbara Woeste verwahrt die von ihrem Vater geschriebe­ne Familiench­ronik mit eingeklebt­en Bildern. Der Konstrukte­ur des Wasser-Velos, der Lechhauser Otto Jaser, war ein Verwandter. Er starb 1958. Seine Witwe Katharina Jaser erzählte 1962 über die frühe „Erfindung“ihres Mannes, mit dem sie 56 Jahre verheirate­t war. Sie fuhr anno 1912 zwar mit den Kindern im WasserVelo mit, war aber als junge Ehefrau über den „Spleen“ihres Mannes absolut nicht begeistert: Das WasserVelo verursacht­e allzu hohe Ausgaben.

Mann habe einmal geträumt, mit einem Fahrrad auf dem Lech zu fahren, ohne unterzugeh­en. Der Traum ließ ihn nicht mehr los. Er kaufte am Ammersee für 800 Mark ein Ruderboot und brachte es nach Lechhausen. Mit Hilfe befreundet­er Handwerker versah er es mit dem geträumten Antrieb: einem Fahrrad. Die Räder ließ er weg, den Rahmen verschraub­te er im hinteren Teil des Bootes an Querstrebe­n. Der Bootskörpe­r war unten teilweise aufgeschni­tten, sodass ein HolzIhr schaufelra­d ins Wasser reichte. Auf dem Fahrradsat­tel sitzend trat Otto Jaser in die Pedale. Der Antrieb erfolgte über zwei Fahrradket­ten, die Steuerung mittels zweier dünner Stahlseile, die offen vom Lenker zum Steuerrude­r verliefen. Nachdem im Sommer 1912 die Presse über „das aufsehener­regende Schauspiel am Oblatterwa­ll“berichtet hatte, wollten viele Augsburger bei Otto Jaser mitfahren. Bis zu zwölf Fahrgäste hatten in dem relativ großen Boot Platz, ein Foto überliefer­t eine Fahrt mit acht Passagiere­n auf den Holzbänken.

Der Bootseigne­r setzte bald sein Wasser-Velo in einen Lechkanal

Nach dem Ersten Weltkrieg war das Boot weg

um. Die Fahrten gingen allerdings nur in Fließricht­ung. Gegen die Strömung schaffte es der Antrieb nicht, obwohl die Holzschauf­eln gegen ein Blechschau­felrad ausgetausc­ht worden waren. Nach einem Gastspiel seines Wasser-Velos auf dem Ammersee hatte Otto Jaser die Motorisier­ung im Sinn. Doch er wurde 1914 zum Militärdie­nst eingezogen und musste als Soldat vier Jahre in den Krieg.

Das Boot vertraute er einem Aufseher am Hochablass zur Verwahrung an. Als Otto Jaser im Winter 1918 nach Augsburg heimkehrte und sein Boot in Empfang nehmen wollte, war es nicht mehr da. Das Holzboot war zwischenze­itlich zerkleiner­t und verheizt worden. Das Kurzsche und das Jasersche WasserVelo sind nicht nur Kuriosa in der Geschichte der Kahnfahrt am Oblatterwa­ll, sie sind auch Episoden in der Fahrradges­chichte.

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Foto: Erna Balogh Kahnfahrt Betreiber Paul Kurz tritt um 1900 auf seinem selbst gebauten Wasser Velo in die Pedale. Die Passagieri­n ist seine Tochter Käthe.
 ?? Foto: Barbara Woeste ?? Bis zu zwölf Fahrgäste konnte Otto Jasers in seinem „Wasser Fahrrad“befördern. Er wagte sich damit auch auf Lechkanäle und auf den Ammersee.
Foto: Barbara Woeste Bis zu zwölf Fahrgäste konnte Otto Jasers in seinem „Wasser Fahrrad“befördern. Er wagte sich damit auch auf Lechkanäle und auf den Ammersee.
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Foto: Städtische Kunstsamml­ungen Im Jahr 1827 saß der Sonntagsma­ler Heinrich Klonke mit seinem Aquarellbl­ock an der Kahnfahrt. Zwei Boote waren auf dem Stadtgrabe­n um den Oblatterwa­ll unter wegs.

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