Die Retter sind am Limit
Die Zahl der Einsätze mit Rettungswagen steigt in Augsburg seit Jahren an. Offenbar auch, weil viele Menschen öfter als früher die 112 wählen, obwohl sie in keiner Notlage sind. Doch es gibt auch andere Gründe
Menschen aus Augsburg und dem Umland nehmen deutlich häufiger Rettungswagen in Anspruch als noch vor ein paar Jahren. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Notfalleinsätze im Bereich der Integrierten Leitstelle Augsburg, kurz ILS, von rund 64800 im Jahr 2010 auf rund 86400 im Jahr 2016 erhöht, eine Steigerung von mehr als 30 Prozent. Von der Leitstelle aus werden seit Oktober 2008 alle Feuerwehr- und Rettungseinsätze im Großraum Augsburg und den Landkreisen Dillingen und Donau-Ries koordiniert.
Wie Ursula Christ erklärt, sind die Zahlen aus Augsburg nicht einmal besonders ungewöhnlich. „Wir liegen da im Bayernschnitt“, sagt Christ, die Geschäftsführerin des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung ZRF Augsburg ist. Die meisten Einsätze im Bereich der Leistelle sind dabei in Augsburg selbst zu verzeichnen. Auch hier gibt in den vergangenen Jahren eine deutliche Steigerung. Während die Rettungsdienste im Jahr 2010 beispielsweise noch etwa 32900 mal ausrückten, taten sie es 2016 schon mehr als 37000 Mal.
Wer bei den Rettern nachfragt, was die Gründe für die Entwicklung sind, hört einige Antworten immer wieder. Erheblich öfter als früher würden Menschen auch dann den Notruf wählen, wenn keine akute Notlage vorliege, sondern es sich um harmlosere Erkrankungen oder Beschwerden handele, sagt der Geschäftsführer des Roten-KreuzKreisverbandes Augsburg-Stadt, Michael Gebler. Es fehle manchmal an „gesundem Menschenverstand“; an Verständnis darüber, wann man den Notruf wählen müsse und wann nicht. Manche Menschen glaubten offenbar auch, sie würden im Krankenhaus automatisch schneller be- handelt, wenn sei mit dem Rettungswagen gefahren würden.
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch der Leiter für Einsatzdienste bei den Johannitern in Augsburg, Ole Kaske. Wenn ein Kind nachts um halb drei Fieber habe, alarmierten dessen Eltern heute oft den Rettungsdienst; das sei früher anders gewesen. Da habe die Oma vielleicht einen Wickel empfohlen. Man spüre „eine gewisse Hilflosigkeit“in Gesundheitsfragen, sagt Kaske. Dies liege auch daran, dass viele Menschen im Internet nach den Symptomen suchten und schnell auf Seiten landeten, auf denen bedrohliche Szenarien geschildert würden.
Ganz neu ist das Phänomen nicht. So heißt es seit Jahren, die Notaufnahmen in Deutschland seien mit Bagatellfällen überlastet. Wer sich umhört, erfährt, dass in dem Zusammenhang wohl auch unter anderem eine Rolle spielt, dass manche Patienten bei Fachärzten teils sehr lange auf einen Termin warten müssen und die Rufnummer „116117“des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, die für dringende, aber nicht lebensbedrohliche Fälle außerhalb der normalen Praxiszeiten gedacht ist, deutlich weniger bekannt ist als die Notrufnummer „112“.
Die Disponenten in der Integrierten Leitstelle in Augsburg entscheiden anhand der geschilderten Lage, ob sie einen Rettungswagen schicken, ob zusätzlich ein Notarzt notwendig ist oder nicht. Alle Beteiligten betonen, es sei richtig, im Zweifelsfall lieber einen Notfalleinsatz zu starten, als darauf zu verzichten. Zumal es auch andere, naheliegende Gründe gibt, warum sich die Zahl der Einsätze mit Rettungswagen in Augsburg und Umgebung erhöht. Das Bevölkerungswachstum in der Stadt sei sicherlich ein Punkt, heißt es sowohl von Ole Kaske von den Johannitern als auch von Michael Gebler vom Roten Kreuz. Soll heißen: Wo mehr Menschen leben, gibt es naturgemäß mehr Einsätze. Auch die gestiegene Lebenserwartung spiele eine nicht unerhebliche Rolle.
Für die Mitarbeiter der Rettungsdienste ist der stetige Anstieg der Einsätze eine Belastung. „Meine Leute arbeiten am Anschlag“, sagt Ole Kaske von den Johannitern. Die Arbeitsdichte sei so hoch, dass sie auf Kosten der Gesundheit seiner Mitarbeiter gehe. Vor fünf Jahren noch sei die Lage nicht so dramatisch gewesen, sagt Kaske.
Immerhin: Ein wenig Besserung könnte in Sicht sein. Alle fünf Jahre ermittelt das „Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement“in München intensiv, wie es um die Ressourcen der Rettungsdienste in Bayern steht. Danach erhalten diese möglicherweise mehr Mittel. Die nächste Begutachtung, sagt Ursula Christ vom ZRF Augsburg, stehe im Frühjahr 2018 an. »Kommentar