Freiwillig in der Psychiatrie
Eine Studentin arbeitet neben ihrem Studium in einem Münchner Klinikum. Das ist oft anstrengend, aber es gibt auch andere Momente
Die Arbeit in einer Psychiatrie hat Tabea Reiter (Name geändert) bereits als Schülerin fasziniert. „Ich wollte zum einen schon immer was mit Menschen machen. Zum anderen war ich früh mit psychisch Kranken umgeben. Mein erster Freund war Borderliner.“Deshalb hat sie einen ungewöhnlichen Studentenjob angenommen.
Ihr erstes Praktikum machte die Studentin der Erziehungswissenschaften an der Uni Augsburg in München – in der Drogenstation des Isar-Amper-Klinikums MünchenOst. Da war sie 18 Jahre alt. „Anfangs habe ich auch nicht gedacht, dass ich das packe, denn ich bin ein emotionaler Mensch.“Dann aber begann Tabea Reiter regelmäßig dort zu arbeiten.
Inzwischen ist sie in der Aufnahmestation der Klinik tätig, sieben Mal im Monat, jeweils von 16 bis 21 Uhr. Sie betreut die Patienten, die sich selbst einliefern oder eingewiesen werden. „Ich nehme die Daten auf und kümmere mich in der Überprüfungszeit bis zum ersten Gespräch mit den Ärzten“, erklärt sie. Dabei erlebt sie durchaus Extremsituationen.
Da war zum Beispiel dieses Mädchen: Borderlinerin. Kurz verlässt Tabea Reiter sie, kümmert sich um die anderen Patienten, es wollen ja oft zehn auf einmal versorgt werden. Schon erzählt die junge Frau, sie habe sich jetzt „den Druck genommen“. Tabea Reiter zieht ihr die Jacke aus und die blutigen Arme kommen zu Vorschein. „Bei solchen Szenen denkst du natürlich ab und zu noch zu Hause drüber nach.“
Dazu kommen an manchen Tagen Beleidigungen von psychisch angeschlagenen Patienten und das Risiko, angespuckt zu werden. Gerade bei jungen Frauen wie Tabea Reiter spiele zudem Sexismus eine Rolle. Von Personen, die unter Alkoholeinfluss in die Klinik eingeliefert werden, müsse man sich schon manchmal Kommentare anhören, die unter die Gürtellinie gehen, erzählt die 21-Jährige schulterzuckend. Deshalb erzählt sie ihre Geschichte auch nicht unter ihrem richtigen Namen. Ein Schutz, wie sie sagt.
Warum sich die Studentin der Erziehungswissenschaften an der Uni Augsburg das antut? „Ich wollte nicht im Drogeriemarkt oder so jobben, sondern etwas machen, was mir sowohl im Studium als auch später im Beruf weiterhilft. Ich weiß jetzt, dass ich auf jeden Fall im klinischen Bereich tätig sein möchte.“
Ihren Nebenjob in der psychiatrischen Einrichtung empfindet Tabea Reiter als Bereicherung, auch und gerade in ihrem Alltag. Sie sei seitdem in der Lage, anderen offener zu begegnen, habe keine Berührungsangst gegenüber Unbekannten, sei schlicht lockerer geworden. „Ich unterhalte mich inzwischen ganz ungezwungen auch mit Fremden, das hätte ich mich früher nicht getraut.“Gleichzeitig kann sie so einen Job nicht jedem empfehlen. Man muss mit Menschen umgehen können und wollen. Darf nicht dazu neigen, den Patienten gegenüber überheblich zu sein. Stattdessen könne man mit den Insassen auch mal gemeinsam lachen. Das sei besser, als sie mitleidig anzusehen, das helfe niemandem weiter.
„Außerdem darfst du nicht gleich Angst bekommen, wenn ein Patient behauptet, dass da jemand an der Zimmerdecke hängt.“Und selbst an einer Depression leiden sollte man in diesem Job nicht. Die Leute, denen die Studentin sich während ihrer Schicht zuwendet, kommen in Ausnahmesituationen. Sie sind oft ganz unten angekommen. Da gebe es auch nichts zu beschönigen, sagt die 21-Jährige. Es sind Drogenabhängige, Alkoholiker, verwirrte Ältere, Menschen, die nicht mehr leben wollen. Erfolgserlebnisse in so einer Klinik seien nicht alltäglich, sagt die Studentin. „Aber es gibt sie eben doch. Und es ist schön zu sehen, dass die Patienten froh sind, dort zu sein und dass man ihnen hilft“, sagt Tabea Reiter und lächelt.