Lotti ist nicht totzukriegen
Auch nach vier Jahren sorgt die Schnappschildkröte im Dorf Irsee für Aufmerksamkeit. Eine Spurensuche
Irsee Dieses Sommerloch bringt einfach keine Bestie hervor. Keinen schnappenden Kaiman Sammy (wie 1994). Keinen lauernden Killerwels Kuno (2001). Und keinen wildernden Problembären Bruno (2006). Kürzlich büxte im Ostallgäuer Irsee ein Bergschaf aus. „Das läuft noch immer irgendwo rum“, sagt Bürgermeister Andreas Lieb. Aber gefährlich? Eher nicht. Als Lieb jüngst wegen des Fundes eines Pfeilgiftfrosches gerufen wurde, dürften einige Journalisten bereits die Bleistifte gespritzt haben. Das Biest entpuppte sich als Kröte. Weder im Dorf noch sonst wo ist derzeit ein würdiger Nachfolger für die Schnappschildkröte Lotti in Sicht.
Es begab sich im Sommer 2013, als das gepanzerte Monster dem beschaulichen Irsee zu weltweiter Bekanntheit verhalf. Ein Achtjähriger verletzte sich beim Baden im Oggenrieder Weiher schwer am Fuß. Der Bub aus Nordrhein-Westfalen war körperlich bald wieder genesen. Als Ursache der Wunde hielten Wissenschaftler jedoch den Biss einer Schildkröte mit kräftigen Kiefern für möglich. Vielleicht ein ausgesetztes Tier. Ein beispielloses Medienspektakel flankierte die ebenso fieberhafte wie vergebliche Suche. Die Gemeinde ließ den See trockenlegen, setzte eine Fangprämie aus. Sogar BBC-Reporter recherchierten in Sachen „Lotti, the vicious turtle“.
Das vermeintliche Monster ist bis heute ein Phantom. Seit vier Sommern stehen die zur Vorsicht mahnenden Warnschilder am 1,4 Hektar großen Oggenrieder Weiher. Jeder soll die Augen offen halten. Eine Empfehlung der Experten aus der Münchner Auffangstation für Reptilien, die doch ein bisschen Schau- konserviert. Anita Lipinski (53) kommt aus dem Wasser. „Niemand muss hier Angst haben“, sagt sie lachend. Ihre Tochter Nicole (27) sitzt am Ufer und ist skeptisch: „Da muss wohl noch ein wenig Zeit vergehen, bis ich reingehe.“Ein anderer Badegast lacht nur, auf die Schilder angesprochen. Aufmerksamkeit in jede Richtung ist Lotti auch im Jahr fünf nach ihrem Auftauchen aus dem Sommerloch gewiss. Dass der Beißer auch ein touristisches Zugpferd geworden ist, bestreitet aber niemand. „Alles in allem positiv für Irsee“, sagt der T-Shirts und Schlüsselanhänger als Andenken, ein Lotti-Spiel der Allgäuer Zeitung, ein Lied („Lotti Lotti, kloine Matz“), eine Facebook-Gruppe – Lieb spricht von einem echten Sympathieträger.
Die Laugenschildkröten werden in der örtlichen Bäckerei Koneberg noch immer gebacken. Zwei hat Lieb kürzlich der Landrätin geschenkt, die zu Besuch war. „Große Begeisterung“, sagt er. So ist es auch bei Manuel Malsy-Mink. Der Pächter des Kiosks am Weiher spricht von einem „riesigen Popudern laritätsgrad“, den Lotti der Gemeinde geschenkt habe. Sogar in Köln und Hamburg werde er auf das Tier angesprochen. Sein Vorgänger im Kiosk war nicht so glücklich mit den Schlagzeilen. Malsy-Mink aber kennt niemanden, der wegen Lotti weggeblieben ist. „Wir haben gigantische Tigernacktschnecken im Garten“, sagt er, mit den Händen fast einen viertel Meter abmessend. „Die sind wirklich grässlich.“Laut MalsyMink läuft die Saison am Weiher auch heuer gut. „Die Menschen lieben Lotti, und sie lieben ihren WeiBürgermeister. her“, sagt er: Familiäre Atmosphäre, angenehm kühles und frisches Wasser, denn der See wird vom Krebsbach durchflossen.
Die Schilder, sie warnen diesen Sommer wohl zum letzten Mal die Badegäste. Doch es gibt Pläne für eine Art – nun ja – Denkmal. Im Gemeinderat spricht man darüber, Lotti in Form einer Schrottplastik am Weiher verewigen zu lassen. Der Bürgermeister hat keinen Zweifel, dass die Schnappschildkröte in den Köpfen der Irseer weiterlebt: „Lotti ist ein Mythos, ein angenehmer.“