Als das Finden von Büchern Abenteuer war
Die Halbwertszeit von Büchern im Buchhandel ist gar nicht so lang, wie man immer denkt. Dass die Klassiker einfach immer in neuen Ausgaben verfügbar sind, täuscht darüber hinweg, dass die allermeisten Titel irgendwann wieder verschwinden. Wer Bücher, die vor zwei Jahren auf den Markt gekommen sind, sucht, wird in den meisten Fällen irgendwann ein gebrauchtes Exemplar in den Händen halten.
Eine bücherbesessene Lektorin hat einmal die Geschichte erzählt, wie sie und ihr Mann die Victoria Station in London zum Stillstand gebracht haben, weil sie noch schnell in der Oxford Street antiquarisch nach Büchern stöbern wollten und das Gepäck praktischerweise einfach im Bahnhof zurückließen – in der Hochphase des Irlands-Konflikts, als in London Mülltonnen abmontiert wurden aus Angst vor Sprengstoffanschlägen. Als sie wiederkamen, war der Bahnhof abgesperrt. Als sich der Mann bei den Bobbys für das Bewachen des Gepäcks aus tiefstem Herzen bedankte, waren diese so sprachlos, dass das Paar ohne jede Strafe weitergehen durfte.
Ja, früher war man bereit, für ein gutes Buch weite, manchmal auch ungewohnte Wege zurückzulegen. Was wiederum hieß, dass sich mit besonderen Büchern, mit lange gesuchten Büchern immer auch Geschichten verbanden. Und den Antiquariaten ging es nicht schlecht. Dann kam das Internet und alles wurde praktisch über Nacht in diesem Markt anders. Auf den großen Antiquariatsseiten im Netz findet man im Handumdrehen alles. Was dort nicht geführt wird, existiert nicht mehr. Die lange Suche auch in fremden Städten ist nicht mehr nötig. Geschichten, die sich um das Finden des Buchs ranken, gibt es aber auch nicht mehr.
In dem Maße, in dem sich der Handel vom tatsächlichen Geschäft auf die virtuelle Plattform verlegt hat, in dem Maß sind die Antiquariate im Stadtbild weniger geworden. Aber selbstverständlich gibt es noch welche. Nur dass da kein Missverständnis aufkommt. Vergangenes Wochenende hieß es in dieser Kolumne: „Ins Antiquariat? Gibt’s die noch?“Woraufhin sich ein Augsburger Antiquariatsinhaber, der seit 41 Jahren sein Geschäft in der Stadt betreibt, beim Lesen des Intermezzos die Existenz-Frage stellte. 50 000 Bücher im Bestand, wobei mittlerweile leider mehr nach Berlin als in die Heimatstadt verkauft würden, hieß es in der Mail.
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„Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.