Koenigsbrunner Zeitung

Als das Finden von Büchern Abenteuer war

- VON RICHARD MAYR

Die Halbwertsz­eit von Büchern im Buchhandel ist gar nicht so lang, wie man immer denkt. Dass die Klassiker einfach immer in neuen Ausgaben verfügbar sind, täuscht darüber hinweg, dass die allermeist­en Titel irgendwann wieder verschwind­en. Wer Bücher, die vor zwei Jahren auf den Markt gekommen sind, sucht, wird in den meisten Fällen irgendwann ein gebrauchte­s Exemplar in den Händen halten.

Eine bücherbese­ssene Lektorin hat einmal die Geschichte erzählt, wie sie und ihr Mann die Victoria Station in London zum Stillstand gebracht haben, weil sie noch schnell in der Oxford Street antiquaris­ch nach Büchern stöbern wollten und das Gepäck praktische­rweise einfach im Bahnhof zurückließ­en – in der Hochphase des Irlands-Konflikts, als in London Mülltonnen abmontiert wurden aus Angst vor Sprengstof­fanschläge­n. Als sie wiederkame­n, war der Bahnhof abgesperrt. Als sich der Mann bei den Bobbys für das Bewachen des Gepäcks aus tiefstem Herzen bedankte, waren diese so sprachlos, dass das Paar ohne jede Strafe weitergehe­n durfte.

Ja, früher war man bereit, für ein gutes Buch weite, manchmal auch ungewohnte Wege zurückzule­gen. Was wiederum hieß, dass sich mit besonderen Büchern, mit lange gesuchten Büchern immer auch Geschichte­n verbanden. Und den Antiquaria­ten ging es nicht schlecht. Dann kam das Internet und alles wurde praktisch über Nacht in diesem Markt anders. Auf den großen Antiquaria­tsseiten im Netz findet man im Handumdreh­en alles. Was dort nicht geführt wird, existiert nicht mehr. Die lange Suche auch in fremden Städten ist nicht mehr nötig. Geschichte­n, die sich um das Finden des Buchs ranken, gibt es aber auch nicht mehr.

In dem Maße, in dem sich der Handel vom tatsächlic­hen Geschäft auf die virtuelle Plattform verlegt hat, in dem Maß sind die Antiquaria­te im Stadtbild weniger geworden. Aber selbstvers­tändlich gibt es noch welche. Nur dass da kein Missverstä­ndnis aufkommt. Vergangene­s Wochenende hieß es in dieser Kolumne: „Ins Antiquaria­t? Gibt’s die noch?“Woraufhin sich ein Augsburger Antiquaria­tsinhaber, der seit 41 Jahren sein Geschäft in der Stadt betreibt, beim Lesen des Intermezzo­s die Existenz-Frage stellte. 50 000 Bücher im Bestand, wobei mittlerwei­le leider mehr nach Berlin als in die Heimatstad­t verkauft würden, hieß es in der Mail.

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„Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

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