Bitte die grasende Herde stören!
Einer, der sich einmischt: Hannes Jaenicke ist weit mehr als nur ein Schauspieler. Er beklagt den Mangel an Querdenkern in Deutschland
Sie äußern sich regelmäßig zu politischen Themen, engagieren sich für Umweltschutz und gegen Rassismus. Woher kommt diese Lust auf Kritik und Diskussion? Hannes Jaenicke: In den 1970er Jahren ging ich in Regensburg auf eine extrem konservative Schule. Von uns Schülern wurde in übertriebenem Maße Disziplin und Gehorsam eingefordert. Man durfte keinen Mucks machen, es war wirklich schrecklich. Da bei uns zu Hause aber schon immer sehr offen und tolerant diskutiert wurde, haben mich diese Normierung und der Zwang zum Konformismus gestört. Meine Eltern haben uns vermittelt, dass man zu seinen Überzeugungen stehen und Missstände kritisieren sollte. Also hielten wir drei Geschwister mit unserer Meinung nicht hinterm Berg – mit der Folge, dass ich mehrmals die Schule gewechselt habe.
Warum sind Sie mit dieser Offenheit unter Kollegen die Ausnahme? Jaenicke: Manche Kollegen sind politisch nicht interessiert oder sie haben Angst, sich politisch zu äußern. Vielleicht fürchten sie, weniger Aufträge zu bekommen, denn bei einigen TV-Sendern spielt es ja durchaus eine Rolle, welches Parteibuch man hat. Da vermutet so mancher, es sei besser, sich bedeckt zu halten. Ich fand es allerdings schon immer befremdlich, aus Angst die Klappe zu halten. Schließlich fördert Anecken ein dickes Fell.
Hat Ihr Engagement denn negative Auswirkungen auf Ihre Auftragslage? Jaenicke: Bisher nicht, nein. Ich kann über mangelnde Beschäftigung nicht klagen. Meine Branche reagiert offenbar nicht darauf. Beim Publikum sieht es anders aus: von begeistertem Zuspruch bis zu Shitstürmern ist alles dabei, Yin und Yang, wie überall im Leben.
In Ihrem neuen Buch monieren Sie, dass es in Deutschland zu wenig Querdenker gibt. Wie kommen Sie darauf? Jaenicke: Wir Deutschen haben im Vergleich zum Beispiel zu angelsächsischen Ländern einen Hang zum Herdentrieb und zur Ängstlichkeit, oft auch zu Neid und Missgunst. Das ist ein Klima, in dem es Nonkonformisten natürlich schwer haben und eine gewisse Mittelmäßigkeit prima gedeihen kann. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, was andere denken oder sagen könnten. Den wenigsten Deutschen fallen Landsleute ein, wenn sie nach Vorbildern und Helden gefragt wer- den – eine weitere Folge des missverstandenen Herdentriebs. Es ist doch frustrierend: Sobald jemand sich traut, aus der Masse auszuscheren und eine neue, gute Idee zu artikulieren, wird er erst mal zurückgepfiffen. Bitte nicht stören, die Herde will in Ruhe weitergrasen!
Aber es scheint Ausnahmen zu geben. Jaenicke: Absolut! Wir haben jede Menge Vorbilder, sowohl völlig unbekannte wie prominente. In meinem Buch erzähle ich von ihnen: Taxifahrer, Flüchtlingshelfer, Umweltschützer, Erfinder. Das Problem ist allerdings: Über sie wird entweder gar nicht oder zu wenig berichtet oder man mäkelt an ihnen herum, wenn sie prominent sind. Auf der anderen Seite werden vermeintliche Top-Manager wie Wendelin Wiedeking, Ferdinand Piëch, Martin Winterkorn, Josef Ackermann oder „Lichtgestalten“wie Guttenberg oder Beckenbauer jahrelang von den Medien gefeiert – bis sich irgendwann herausstellt, dass sie eher unangenehme Menschen mit durchaus krimineller Energie sind.
„Eigentum verpflichtet“heißt es im Grundgesetz. Basiert Ihr Engagement auch auf dieser moralischen Einordnung? Jaenicke: Vermutlich. Wenn man wie ich Glück hat, einen Beruf auszuüben, der unglaublichen Spaß macht und mit dem ich auch noch Geld verdienen kann, dann hat man die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sein Glück weiter zu streuen. Auf welche Weise dies geschieht, ist unwichtig, ob mit Spenden, Petitionen, aktivem Einsatz, egal. Hauptsache, man tut was.
In Ihrer zweiten Heimat USA ist die Bereitschaft von Reichen und Prominenten zu Spenden größer als hier. Wie erklären Sie sich das? Jaenicke: Das hat mehrere Gründe. Zum einen gehört es in Amerika einfach zum guten Ton, etwas Gutes zu tun und darüber zu sprechen, auch unter Schauspielern. Denken Sie an George Clooney, Brad Pitt, Leonardo DiCaprio, Jeff Bridges oder Robert Redford. Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass der Staat grundsätzlich
Macht Angst? Jaenicke: Was die grassierende Umweltzerstörung betrifft, schon. Aber dagegen kann man ja Filme drehen, Bücher schreiben oder sich engagieren. Ich bin ansonsten ein relativ angstfreier Mensch. In Wien habe ich in einer U-Bahn-Station mal ein Punk-Graffiti gesehen: „Angst ist das Tor zur Freiheit.“Ich hab eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was gemeint war. Heute kann ich diese Aussage aus voller Überzeugung unterschreiben, sie ist ein wesentlicher Bestandteil meines aktuellen Buches. Man hat mir oft prophezeit, dass meine Karriere vorbei sei, wenn ich in die USA zurückgehen oder plötzlich monatelang Dokus am Ende der Welt drehen würde. Aber Ängstlichkeit ist ein schlechter Berater. Ich habe meist genau das Gegenteil dessen getan, was man mir geraten hat. Damit bin ich immer gut gefahren. Interview: Günter Keil
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