Koenigsbrunner Zeitung

Politik & Werbung

Mit einem Profi durch den Wald der Wahlplakat­e: Was ist gut, was schlecht? Und ist Demokratie eine Frage des Marketings?

- Von Wolfgang Schütz

Womöglich ist es Ihnen ja noch gar nicht aufgefalle­n: Es gibt tatsächlic­h etwas Neues, etwas Spannendes an diesem Wahlkampf. Aber es verbirgt sich auch wirklich perfekt. Nämlich genau in dem, das wie alle paar Jahre jetzt wieder überall auftaucht, das darum auch nur kurz auffällt und dann in aller Offensicht­lichkeit wieder unsichtbar wird. Es zeigt sich bei all den Promenaden durch die Alleen der politische­n Botschafte­n, die wir in diesen Tagen und Wochen unweigerli­ch absolviere­n – wenn wir im Wald der Wahlplakat­e stehen.

Neu nämlich ist, dass dieser Wahlkampf auch ein Wettbewerb von Spitzen-Werbeagent­uren ist. Und spannend ist darum nicht nur, was dabei herausgeko­mmen ist – das werden wir gleich mit einem Profi vom Fach unter die Lupe nehmen. Sondern auch: Was dabei überhaupt herauskomm­en soll – und was dabei herauskomm­en kann. Es geht um die Politik in Zeiten der Wahl zwischen Werbung und Wahrheit. Und das führt uns zu zwei Problemen in der Schnittflä­che zwischen Demokratie und Marktwirts­chaft.

Echte Probleme. Also nicht diese Details, die nun so mancher Partei Ärger mit ihrer Werbung machen. Der AfD etwa, weil sie – „Unser Programm für Deutschlan­d“– zum Slogan „Hol dir dein Land zurück“das Matterhorn abbildete (dafür gibt es, wie wir nachher sehen, vielleicht sogar eine Erklärung). Oder der Ärger des SPD-Abgeordnet­en Matthias Ilgen in Nordfriesl­and mit seinem Plakat. Es zeigt ihn, wie er im roten Jackett mit einer Wikinger-Axt auf einen Baum einschlägt, auf dessen Rinde ein Porträt von Donald Trump zu sehen ist – der Text dazu verkündet: „America First? Ilgen Förster!“Einmal entdeckt, macht so was im Internet viel Ärger, da sind Kommentare und Verhöhnung­en ohnehin längst präsenter als die Werbung der Parteien selbst. Auf Ilgen etwa antwortete der WahlBlogge­r Martin Fuchs: „Wahlplakat­e from Hell: Make Nordfriesl­and great again!“Und einen Shitstorm erntete auch die Partei, die bislang eigentlich als Einzige im Netz selbst richtig aktiv ist und deren Vorsitzend­er auch deutscher Meister der Facebook-Politik ist. Christian Lindner und seine FDP treten online mit einem Wahlspruch an, der reichlich Angriffsfl­äche bietet: „Digital first, Bedenken second.“Auweia. Aber, nun ja: Problemche­n …

Ein Problem, das ist, wenn JeanRemy von Matt sagt: „Angela Merkel ist das ideale Produkt.“Das wiederum meint Deneke von Weltzien. Und damit wir das jetzt gleich sortiert bekommen: Jean-Remy von Matt ist Chef einer der großen deutschen Werbeagent­uren, Jung von Matt in Hamburg, und leitet die Kampagne der CDU in diesem Wahlkampf; Deneke von Weltzien, der seine Karriere an der Fachhochsc­hule für Kommunikat­ionsdesign in Augsburg begonnen hat, war lange Jahre im selben Haus, zuletzt als Geschäftsf­ührer, wechselte dann als Chef der Kreativabt­eilung zur Agentur Philipp und Keuntje – er ist der Fachmann, der für uns die aktuellen Kampagnen beurteilt. Hier aber geht es ums Grundsätzl­iche.

Jean-Remy von Matt, Schöpfer der Saturn-Kampagne „Geiz ist geil“, hat schon mit Angela Merkel geworben, als er sie für Sixt statt ihres üblichen Haarhelms mit einem bildmontie­rten Steckdosen-Styling zeigte, Text: „Lust auf eine neue Frisur? – Mieten Sie sich ein Cabrio.“Jetzt arbeitet und wirbt er für sie und schiebt sie von der Modelauf die Produktsei­te. Deneke von Weltzien hält das für „Hybris des Werbers“, der die politische Welt nach seinen Kategorien liest – und damit für gefährlich.

Eine klassische Definition von Reklame sei: „zu einem Produkt eine gute Story erzählen, damit es sich besser verkauft“. Auch bei einer Wahl gehe es zwar um Geschichte­n, die Menschen ansprechen sollten – aber in der Werbung seien die Produkte dahinter oft austauschb­ar. Weltzien: „Insofern sollte Frau Merkel doch geradezu das Gegenteil eines Produkts sein.“Weil es hier ja darum gehe, für die wirklichen Inhalte zu werben. Und in einer aktuellen Kampagne sieht der Fachmann genau diese Gefahr verwirklic­ht – aber es ist nicht die von Merkel …

Zunächst aber noch zum zweiten Problem. Weltzien selbst hat nie Wahlwerbun­g „machen müssen“, wie er sagt, ist also froh darum. Denn eigentlich kämen hier zwei nur sehr schwer vereinbare Formen der öffentlich­en Kommunikat­ion zueinander. Mit drei konkreten Haken, die Werber letztlich meist schlecht dastehen ließen. 1. Es geht in Kampagnen nicht um die politisch Kundigen, die ohnehin wissen, was sie wählen, sondern nur um die paar übrigen Prozent der Unentschlo­ssenen – die Kundigen sind es aber, die das Urteil über die Qualität der Kampagne prägen. 2. Die Kraft der Kampagne ist gering, weil sie nie das Ziel von Werbung erreichen kann: ein, so Weltzien, „gesamthaft­es Bild“zu gestalten. Dafür aber findet in einem Wahlkampf zu viel anderes auch öffentlich statt, mit zu vielen Beteiligte­n, die alle für sich sprechen, unkontroll­ierbar. 3. Eine gute Kampagne konzentrie­rt sich auf die wesentlich­en Aussagen – aber bei so vielen Mitspieler­n kann nichts kantenscha­rf bleiben, verwässert unweigerli­ch alles.

Und dennoch gibt es für den 58-Jährigen zwei Kampagnen der Vergangenh­eit, die zeigen, was hier trotz allem gelingen kann: 1994, Helmut Kohl, wie ein Turm aufragend aus einem Meer von Menschen, ein Plakat ohne Slogan und ohne Parteilogo; und Gerhard Schröder 1998 dann mit charakters­tarken Schwarz-Weiß-Fotos.

Jetzt also, Herr Experte: Ist 2017 auch etwas von dieser Güte dabei? Wo doch nicht nur Jung von Matt die CDU macht, sondern auch die Agentur Heimat aus Berlin (bekannt etwa für Hornbach-Werbung) die FDP, KNSK (etwa Lucky Strike) die SPD? Die Grünen haben mit „Ziemlich Beste Antwort“eigens eine Plattform der Köpfe von Agenturen gegründet, mit denen sie in Baden-Württember­g und SachsenAnh­alt erfolgreic­h waren… Und die AfD, der ja gerne geraten wird, sich an den Erfolgen der SVP ein Beispiel zu nehmen, bei der Agentur Goal, in der Schweiz (siehe Matterhorn?), aber auch beim Guerilla-Literaten Thor Kunkel, der mit seinem Roman „Endstufe“für Wirbel sorgte. Jahrgang 2017, der Fachmann sagt: „Nein, kein Meilenstei­n dabei.“

Am auffälligs­ten ist die FDP mit ungewöhnli­chen Schwarz-WeißFotos von Christian Lindner und einem zum Lesen zu klein gedruckten Text. Im Branchenma­gazin Werben&Verkaufen etwa lobte Kommunikat­ionsprofes­sor Frank Brettschne­ider den Bruch mit den Traditione­n. Ein Insiderref­lex für Deneke von Weltzien – denn eigentlich werde damit Lindner das, was bei Merkel zu befürchten war: „Er erscheint als Produkt.“Erkennbar sei nur, dass es der FDP darum gehe, „einfach die Coolsten zu sein“. Letztlich aber wirkten die Plakate wie Aufschneid­erei mit Formatfehl­er.

Richtig enttäuscht ist der Werber von seinen Ex-Kollegen. Zu loben sei bei Jung von Matt nur der Grafikdesi­gner, der wie bei Merkel alle Bilder der CDU-Kampagne mit den deutschen Farben, modern stilisiert, gestaltet hat. Die Fotos aber wirkten auch bei Themen-Motiven etwa zu Arbeit und Familie wie die übliche People-Fotografie, „werblich weich gewaschen“. Genauso bei der SPD, die den Profi an Deutsche-BahnAnnonc­en erinnern. Nachdem Jung von Matt eigentlich eine starke Text-Agentur sei, enttäuscht­en bei der CDU vor allem die „Leerphrase­n“, bei Merkel: „Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben.“Aber auch Schulz fehle das Kernige – sein Text sei „total generisch“, die Schlüsselw­orte „Ideen“und „Zukunft“wirkten kraftmeier­isch, hätten aber keine Kraft. Als Slogan: „null merkfähig“. Da gelte, so Weltzien, der Satz seiner Oma: „In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der sichere Tod.“

Bleiben noch zwei Parteien, die auf Foto-Text-Kombinatio­nen setzen: CSU und AfD – eine davon übrigens so was wie der Sieger in unserem Experten-Ranking. Es ist nicht die AfD. Warum? Das KampagnenM­otto „Trau dich, Deutschlan­d!“mag frech und selbstbewu­sst wirken – mit den Zuspitzung­en in den Bildthemen steigere sich das aber zu eihier ner Dreistigke­it, die wohl nur noch ohnehin schon überzeugte Anhänger anspreche. Und Weltzien sagt: „Die Deutschen mögen keine Dreistigke­it.“Überzeugen­der also findet der Werber die CSU: „Ordentlich­es Handwerk, hier ist am wenigsten schiefgega­ngen.“Das dominante Blau, die Ruhe, die knappe Botschaft, die immer auf das Schlüsselw­ort „Klar“setzt, vermittle ein Selbstvers­tändnis und ein Selbstbewu­sstsein, das den anderen abgeht.

Vor allem den beiden Parteien, die praktisch ausschließ­lich auf Schrift und Farbgestal­tung setzen: Die Grünen und Die Linke. Beide wetteifert­en gestalteri­sch in der Kategorie „Augenkrebs“. Letztlich „Sieger“beim Profi: die Grünen. Die in der Farbform versteckte Symbolik von Weltkugel oder abgenagtem Apfel verstehe optisch kein Mensch. Die Texte könnten das herausreiß­en, sie kämen in der Gestaltung sehr aggressiv daher – blieben inhaltlich dann aber schwach bis zur Peinlichke­it. „Schade eigentlich.“

Und die Linke mit ihren Farbsignal­en zu großen Themen wie Respekt, Mensch, Zuhause? „Ehrenwert“findet der Profi das Konzept, darauf je mit einem Verspreche­n zu antworten. Bloß leider seien das Folgende (zu „Nähe“etwa „Mehr Personal in Pflege und Gesundheit“oder zu „Verdient“dann „Sicherer Job, planbares Leben“) ein „Easy Buy“: Etwas, das alle abnickten – aber letztlich glaubt keiner, diese Partei würde das hinkriegen. „Eine Operettend­iskussion.“Und selbst wer das glaube, der würde rational überzeugt, aber „emotional transporti­eren diese Plakate die reinste Freudlosig­keit“. Noch ein Ausfall.

Schlechte Bilanz also. Aber wer darum jetzt motzt, dass Millionen Euros an Steuergeld­ern in solche Kampagnen fließen, dem entgegnet Deneke von Weltzien: Eine solche Kritik sei zu billig. Denn: „Verglichen mit dem, was wir etwa in die Bankenrett­ung gesteckt haben, ist das doch Handgeld.“Und die Präsentati­on der Parteien, die politische Informatio­n der Bürger und damit der Aufruf zur Wahl – das sei nun mal wirklich „systemrele­vant“.

Sollte Angela Merkel „das ideale Produkt“sein?

Es gibt einen überrasche­nden Sieger in der Profi Wertung

 ??  ??
 ?? Fotos: Parteien, Ulrich Wagner ??
Fotos: Parteien, Ulrich Wagner
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany