Koenigsbrunner Zeitung

„Wir werden nichts unter den Teppich kehren“

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Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) spricht über die Probleme der Bundeswehr, ihren Umgang mit den Vorfällen in Pfullendor­f und den Umgang mit der Tradition

Frau von der Leyen, die Bundeswehr hat derzeit eine Vielzahl von Problemen. Mit Blick auf die Vorgänge in der Kaserne in Pfullendor­f haben Sie von einem massiven Haltungs- und Führungspr­oblem gesprochen. Würden Sie das heute auch noch so sagen? Von der Leyen: Mir ist wichtig, dass klar ist, dass die große Mehrheit der Soldatinne­n und Soldaten einen hervorrage­nden und tadellosen Job macht. Für den können wir ihnen gar nicht genug Anerkennun­g und Respekt zollen. Die Vorfälle dieses Frühjahrs sind deshalb umso schmerzhaf­ter. Deshalb ist es wichtig, dass wir transparen­t und mit offenem Visier darüber reden. Die Bevölkerun­g beobachtet sehr genau, ob wir uns dem stellen oder ob wir etwas unter den Teppich kehren. Deshalb überprüfen wir derzeit unsere innere Führung. Ich bin überzeugt, dass wir aus diesem Prozess stärker herauskomm­en, als wir hineingega­ngen sind.

In Pfullendor­f haben Sie, als Vorwürfe über sadistisch­e Praktiken laut wurden, den Standort-Kommandeur ohne Rücksprach­e versetzt. Später stellte die Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en ein. Haben Sie dem Oberst unrecht getan? Von der Leyen: Die vorgesetzt­e Dienststel­le hatte einzig die Ermittlung­en über die herabwürdi­genden Aufnahmeri­tuale an die Staatsanwa­ltschaft abgegeben. Die anderen Verfehlung­en wurden vonseiten des Ministeriu­ms von Anfang an nicht als strafrecht­lich relevant eingestuft, sondern eher als Verstoß gegen bundeswehr­interne Grundsätze der guten Führung oder der Disziplin. Insofern hat die Staatsanwa­ltschaft in dem Punkt aus eigenem Antrieb ermittelt und letztlich unsere Rechtsauff­assung bestätigt, ebenso wie das Gericht in Sigmaringe­n die Entlassung der an den in Pfullendor­f wiederholt durchgefüh­rten Aufnahmeri­tualen beteiligte­n Soldaten nicht nur bestätigt, sondern sogar als „zwangsläuf­ig“bezeichnet hat.

Das war der eine Fall. Im Fall der Ausbildung­spraktiken hat der Staatsanwa­lt die Ermittlung­en eingestell­t. Von der Leyen: Wenn zweifelhaf­te Praktiken wie das Entblößen Auszubilde­nder vor der Gruppe oder das Dulden einer Tanzstange samt einer Leine mit aufgehängt­en Slips in einem dienstlich­en Aufenthalt­sraum nicht gegen Strafrecht verstoßen, heißt das noch lange nicht, dass sie in Ordnung sind. Es gibt auch noch das Disziplina­rrecht und die Grundsätze guter Führung. Darum ging es hier. Die durch das Heer verfügte Ablösung des Kommandeur­s sowie die Versetzung einiger direkt Verantwort­licher sollten die Aufarbeitu­ng erleichter­n und dem Standort einen Neuanfang ermögliche­n. Eine Disziplina­rbuße gegen einen Vorgesetzt­en ist bereits verhängt worden, andere Disziplina­rverfahren laufen.

Kritiker werfen Ihnen Selbstdars­tellung auf Kosten der Soldaten vor. Der SPD-Wehrexpert­e Rainer Arnold sagt, Sie hätten Vorwürfe wie die in Pfullendor­f bewusst aufgebausc­ht, um sich als Aufräumeri­n inszeniere­n zu können. Von der Leyen: Im Januar, als die Vorfälle öffentlich wurden, hat er mich öffentlich aufgeforde­rt, härter durchzugre­ifen. Dass er jetzt seine Meinung geändert hat, liegt wahrschein­lich daran, dass Wahlkampf ist. Damit kann ich umgehen.

Nach dem Vorfall um einen rechtsradi­kalen Offizier im Elsass, der einen Anschlag geplant haben soll, ließen Sie alle Kasernen nach Wehrmachts­andenken durchkämme­n. Viele Soldaten fühlen sich unter Generalver­dacht gestellt. Sind Sie zu weit gegangen? Von der Leyen: Die Begehung der Diensträum­e war eine Anweisung des Generalins­pekteurs, hinter der ich voll und ganz stehe. Der Anlass war der Fund von Wehrmachts­devotional­ien ohne jede historisch­e Einordnung am Standort eines Offiziers, gegen den bis heute wegen rechtsextr­emistische­r Umtriebe in der Bundeswehr ermittelt wird. Wir brauchten eine Klärung, damit alle auf dem Boden des gültigen Traditions­erlasses sind. Zugleich ist uns ein Zweites aufgefalle­n. Warum starren wir so viel auf die zwölf dunkelsten Jahre unserer Geschichte? Und warum sind wir nicht stolz auf die fast 62 Jahre Bundeswehr-Geschichte, die wir inzwischen haben? Deshalb überarbeit­en wir derzeit den Traditions­erlass von 1982.

In seinen Formulieru­ngen ist der Traditions­erlass aber doch eindeutig, zum Beispiel im Bekenntnis zum Grundgeset­z oder in der Abgrenzung zu NSUnrecht und Wehrmacht. Warum lassen Sie ihn überarbeit­en? Von der Leyen: Weil dieser 30 Jahre alte Erlass die Hälfte unserer Geschichte nicht kennt. Er nimmt nicht Stellung zur Frage nach der Armee im Einsatz oder zur Bundeswehr in internatio­nalen Bündnissen, der Rolle als Freiwillig­enarmee, die heute viele Frauen in ihren Reihen hat und rund 15 Prozent Bundeswehr­angehörige mit Migrations­hintergrun­d. Alles das gab es damals noch nicht. Insofern ist es notwendig, den Traditions­erlass zu überarbeit­en. Gekippt wird er nicht. US-Präsident Trump will den Einsatz in Afghanista­n ausweiten. Sie haben gesagt, die Bundeswehr als der zweitgrößt­e Truppenste­ller wird das nicht tun. Gilt das auch nach der Wahl? Von der Leyen: Unseren Freunden in der Nato habe ich klar gesagt: Als andere im vergangene­n Jahr in Afghanista­n abgebaut haben, haben wir um 18 Prozent aufgestock­t. Wir sehen uns jetzt nicht in der ersten Reihe, wenn es um eine weitere Erhöhung geht. Das Mandat gilt noch bis Ende dieses Jahres. Dann wird ein neuer Bundestag über das nächste Mandat entscheide­n.

Trump will in Afghanista­n keinen Staat aufbauen, sondern Terroriste­n töten. Was bedeutet das für die Bundeswehr? Sie verfolgt dort ja ein ganz anderes Konzept. Von der Leyen: Das ändert nichts am Nato-Auftrag und nichts an unserem Mandat. Präsident Trumps Rede enthält keine neue Strategie,

„Warum sind wir nicht stolz auf die fast 62 Jahre Bundeswehr Geschichte, die wir inzwischen haben?“

Ursula von der Leyen

sondern sie bestätigt die geltende Strategie der Nato. Wir definieren keinen Zeitpunkt des Abzugs, denn das wäre eine Aufforderu­ng an die Taliban, sich daran zu orientiere­n. Außerdem mahnt er die Verantwort­ung der Afghanen an, den Versöhnung­sprozess selbst voranzutre­iben. Er betont die Bedeutung des vernetzten Ansatzes, neben Militär auch wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Diplomatie zu stärken. Auch das ist Nato-Position. Es ist nicht unsere Aufgabe, anderen Nationen vorzuschre­iben, wie sie ihren Staat zu organisier­en haben.

Sie gelten als eine Politikeri­n, die fast jede Spitzenpos­ition übernehmen kann. Stehen Sie für das Kanzleramt zur Verfügung, falls Merkel einmal in den Ruhestand treten sollte? Von der Leyen: Jede Generation hat ihren eigenen Kanzler. In meiner Generation ist das Angela Merkel.

Interview: Dieter Löffler

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Foto: Boris Roessler, dpa Der Umgang der Ministerin Ursula von der Leyen mit Skandalen in der Truppe steht in der Kritik.

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