Videobeweis beweist nichts
Von jenem Tag an, an dem der Videobeweis sprachlich das Licht der Welt erblickte, zieht sich ein Graben durch das deutsche Fußball-Land, gegen den die Münchner Spaltung in Rot und Blau nur eine regionale Furche ist. Der Videobeweis hat Fußball-Experten, Ahnungslose und Schiedsrichter gegeneinander aufgebracht. Die Traditionalisten haben sich um den Niedergang der montäglichen Kantinengespräche gesorgt, die nicht unwesentlich von Fehlurteilen der Unparteiischen gefüttert waren. Die Fortschrittlichen haben das Ende von Fehlurteilen und Ungerechtigkeiten auf Rasenfeldern gepredigt, was den bedauernswerten Schiedsrichtern ihre Würde zurückgibt. Die Unparteiischen selbst wiederum fühlten sich vom elektronischen Auge überwacht und entmündigt.
Jetzt, nach zwei videobewegten Spieltagen, ist klar: Der Videobeweis schützt nicht vor Fehlentscheidungen. Das elektronische Auge, sofern es denn technisch funktioniert, sieht nicht alles, weshalb in den montäglichen Kantinengesprächen zwischen Kartoffelsuppe und Feldsalat weiter die „blinde Bratwurst“stattfindet.
Möglicherweise ist es gegenüber dem Videobeweis nicht fair, Rudi Völler als Zeugen aufzurufen. Völler urteilt traditionell hart – vor allem dann, wenn Schiedsrichter zum Nachteil von Bayer Leverkusen entscheiden. Das war nach seiner Ansicht beim 2:2 gegen Hoffenheim der Fall. Völler hatte im Stadion ein Foulspiel des Hoffenheimer Torschützen Mark Uth am Leverkusener Benjamin Henrichs entdeckt. Der Videoschiedsrichter dagegen hatte nach Begutachtung der 17 Videokameras kein Foul erkennen können. Die Empfehlung des Leverkusener Adlerauges: „Wenn die Jungs vor dem Fernseher einschlafen, brauchen wir auch keinen Videobeweis. Dann können wir die ganze Nummer abstellen.“
Ähnlich weit gingen die Meinungen in Augsburg auseinander. Gladbachs Yannick Vestergaard berührte den Ball im Strafraum mit dem Arm. Aber absichtlich, was Kriterium für den Elfmeterpfiff gewesen wäre? Nicht einmal die unnatürliche Bewegung als Indiz für die Tat ist zweifelsfrei belegt. Im Zweifel aber hat der Video-Assistent zu schweigen. Was helfen seine Zweifel dem zweifelnden Schiedsrichter und was helfen Völlers Empfehlungen dem Fußball? Nichts. Sie beschädigen ein System, das mit der Hoffnung auf fehlerfreie Regelauslegung überfrachtet ist. Auch wenn irgendwann 100 Kameras ein Spielfeld überwachen, werden Schiedsrichter entscheiden müssen. Sie hinterher als Schlafmützen abzukanzeln ist dumm und ein Tritt vor das Schienbein aller, die sich händeringend um Schiedsrichternachwuchs bemühen.