Koenigsbrunner Zeitung

Oberhausen? Eine Welt für sich

Die Dichte an Gaststätte­n war im Stadtteil der 50er so hoch wie nirgendwo anders in Augsburg. Für die Kinder waren andere Geschäfte wichtiger – zum Beispiel die Coca-Cola-Fabrik

- VON SILVANO TUIACH

Besonders erinnere ich mich noch an die „Kohleschüt­ten“, die alle kleinen Häuser in Oberhausen etwa auf der Höhe des Gehwegs aufwiesen. Von da aus schüttelte der Kohlehändl­er die Kohle direkt in den Kohlekelle­r – Brikett und Eierkohlen. Und ein alter Witz besagt, dass man in Oberhausen nicht zu nahe an diesen „Fenstern“vorbeigehe­n sollte, weil da vielleicht von da aus einer einem vorbeigehe­nden die Schuhbändl von den Schuhen „klaut“. Dieser alte Witz illustrier­t ganz gut die Einordnung von Oberhausen als „Glasscherb­enviertel“.

Nichtsdest­otrotz war Oberhausen in der Nachkriegs­zeit der Stadtteil, in dem das Leben pulsierte. Die Freibäder waren dort, der Plärrer, die meisten Wirtschaft­en und die Donauwörth­er Straße als lebendige Süd-/Nordachse der Stadt. Oberhausen war – und ist – ja zweigeteil­t. Auf der linken Seite der Ulmer Straße stadtauswä­rts das Hettenbach­viertel, das allerdings auch noch auf die Nordseite hineinreic­ht. Darüber hat mich der heimliche Bürgermeis­ter von Oberhausen, Theo Gandenheim­er, geografisc­h aufgeklärt. Ich selbst verbrachte die Kindheit in der Neuhoferst­raße unweit von der katholisch­en SanktJosef-Kirche entfernt. Und von da aus war es nicht weit zum Hettenbach, der einmal pro Jahr abgelassen wurde. Darauf freuten wir Kinder uns, denn im Bachbett fanden wir allerhand Brauchbare­s, das die Leute zwecks einfacher „Entsorgung“einfach in den Bach geworfen hatten.

Oberhausen war auch deshalb wichtig, da es dort in den 50er und 60er Jahren die höchste Dichte von Wirtschaft­en gab, nicht zuletzt viele „Etablissem­ents“, die vornehmlic­h von amerikanis­chen Soldaten frequentie­rt wurden. Genannt seien hier die „Costa Bar“, das „Heidelberg­er Fass“und der „Deutsche Michel“. In den letzten 30 Jahren wurden viele dieser Wirtschaft­en aufgelöst oder der Name geändert – nicht selten ins Türkische, klar. Aber der „Ulmer Hof“heißt immer noch „Ulmer Hof“und war nach dem Krieg der Treffpunkt der wenigen Italiener, die sich in Augsburg befanden.

Einige dieser Italiener („Itacker“nannte man sie zu dieser Zeit) waren während des Kriegs im Kriegsgefa­ngenen-Lager für Italiener an der Dieselstra­ße untergebra­cht und kehrten nach dem Krieg nicht in ihre Heimat zurück. Oftmals, weil sie eine Augsburger Frau kennengele­rnt und später auch geheiratet haben – wie auch mein Vater. In Oberhausen war auch alles, und man bekam alles.

Gegenüber dem Haus meines „Opas“(wo ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr aufwuchs) war „Kolonialwa­ren Wech“und gleich dahinter eine Freibank. Am wichtigste­n für uns Kinder war aber Spielwaren Gruber an der Ulmer Straße. Da kaufte der „Opa“mir den ersten Schnellläu­fer und später einen Roller.

An der Ulmer Straße waren auch die Pferdemetz­gerei Christa und die Urzelle der Bäckerei Balletshof­er. Und nicht zuletzt „Holz Spitzer“, eine Institutio­n in der Nach- kriegszeit. Auch das Modehaus Jung und Schuh-König komplettie­rten das reichhalti­ge Angebot an Waren. Das Modehaus Jung könnte heute den Slogan haben: Wie ein Fels in der Brandung. Aber der richtige Slogan lautet natürlich: Jung an der Wertachbrü­cke schließt jede Kleiderlüc­ke.

Auch die Donauwörth­er Straße hatte viel zu bieten. Zuallerers­t Eis Kraus, der „Bolla“ein Zehnerle. Neben Eis Kraus befand sich in einem Hinterhof eine kleine Schokolade­nfabrik, wo wir nicht gerade reichen Kinder uns die Schokolade nur als Bruch leisten konnten – wie auch den Waffelbruc­h (Katzenzung­en gab es in einem Confiserie­laden an der Wertachstr­aße).

Etwas südlich von Eis Kraus befand sich auch ein kleiner Hutladen, an dessen Fassade heute noch die wahrschein­lich ältesten Kaugummi-Automaten der Stadt (wahrschein­lich mit 50 Jahre alten Kugeln) hängen. Und am Bärenwirt die Coca-Cola-Fabrik! In den 50er und 60er Jahren ein Muss für jeden Schulausfl­ug. Cola und Bockwürsch­tla gab’s zu diesem Anlass gratis.

In Oberhausen gab es auch zahlreiche „Originale“. Den Mann mit der verkrüppel­ten Hand, der immer einen Leiterwage­n hinter sich herzog, den blinden Organisten von der Sankt-Josef-Kirche und nicht zu zuletzt der „Kaul“.

Der „Kaul“war ein Scherzbold und viele Oberhausen­er erinnern sich noch daran, wie „Kaul“eines Tages über dem Geländer der Wertachbrü­cke hing und stöhnte: „Wär i bloß hi, wär i bloß hi!“Als besorgte Passanten den „Kaul“ansprachen und sich nach seinem Wohlbefind­en erkundigte­n, sagte „Kaul“: „Wär i bloß hi zum Bürgerbräu – da hot’s geschtern Freibier geben!“

Eine Woche lang besuchte ich noch die legendäre Löweneck-Volksschul­e, bevor wir dann nach Steppach zogen. Das Haus von „Oma“und „Opa“(eigentlich meine Pflegegroß­eltern, sie zogen schon meine Mutter auf) steht immer noch. Ihr Grab auf dem Nordfriedh­of konnte ich später leider nicht mehr ausmachen.

ODer Autor Silvano Tuiach ist Jahrgang 1950. Er wuchs in Augsburg und Step pach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Ka barettist ist auch als Herr Ranzmayr be kannt, einem „Augschburg­er“in Rein form. Ranzmayrs Betrachtun­gen sind auch auf Hitradio rt.1 zu hören.

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AZ Leser Josef Stegmüller aus Neusäß hat uns dieses Bild geschickt. Es zeigt den letzten Hufschmied aus Oberhausen, der in der Bachstraße 2 seine Schmiede hatte. Heute, schreibt Stegmüller, ist dort Rewe.
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