Einst war es eine Leichenkammer
Am Ende der südlichen Gleisunterführung am Hauptbahnhof gibt es eine schwere Stahltür in der Wand. Dort wurden früher einmal Verstorbene kurzzeitig untergebracht. Was sich heute dahinter verbirgt
Sie ist unscheinbar. Eine beigefarbene Stahltür mit schwarzem Griff, die sich von der Wand im Südtunnel am Hauptbahnhof fast nicht abhebt. Viele Reisende laufen täglich durch die Gleisunterführung, ohne der Tür Beachtung zu schenken. Was es mit ihr auf sich hat und was sich dahinter verbirgt, wird wohl niemand wissen.
Seitdem die Mittelpassage am Hauptbahnhof wegen den Umbauarbeiten dichtgemacht wurde, wird die Unterführung im Süden am meisten genutzt. Täglich eilen hier Menschen mit mehr oder weniger Gepäck hindurch, kommen an, fahren ab, wechseln die Gleise. Die Tür, die hinter einem kleinen Mauervorsprung am Aufgang zu Gleis 8 und 9 eingelassen ist, fällt da gar nicht auf. Was sich früher dahinter verbarg, mutet etwas gruselig an. Der Raum hinter der Tür wurde einst als Leichenkammer genutzt, erzählt Thomas Laier von der Bundespolizei auf Anfrage.
Starb früher ein Bahnreisender in einem Zug, etwa von der Fahrt von Ulm nach Augsburg, wurde die Leiche in dieser Kammer zwischengelagert, bis das Bestattungsinstitut kam. Man wollte anderen Zugreisenden den Blick auf einen Leich- ersparen. Selbst miterlebt hat Laier so einen Fall in seiner über 20-jährigen Dienstzeit nicht, sagt er. Doch er kann sich erinnern, dass an dieser Stelle früher eine ganz andere Tür in der Wand am Ende des Südtunnels eingelassen war. „Das war eine schöne gusseiserne Tür mit einem vergitterten Sichtfenster ohne Glas“, sagt der Bundespolizist. Wie lange der abseits gelegene Raum als Leichenkammer letztendlich genutzt wurde, kann er nicht sagen. Auch Bahnhofsmanager Bernhard Christ weiß es nicht. Seine Recherche aber ergab, dass die Leichenkammer vor allem im Zweiten Weltkrieg genutzt wurde. „Soldaschwerem ten, die tot ankamen, wurden in Leichentüchern verpackt und dort zwischengelagert.“Zeitzeugen gebe es hier aber keine mehr. Und was passiert, wenn heutzutage ein Reisender im Zug verstirbt? Da seien schnell Staatsanwaltschaft, Polizei und Bestattungsunternehmen vor Ort, sagt Christ. Bundespolizist Laier erzählt von einem Fall vergangenam nes Jahr, wo ein Verstorbener kurzzeitig in der Mittelpassage gelegen habe. Der Leichnam sei abgedeckt gewesen. Ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn habe auf den Toten aufgepasst, bis die Verantwortlichen eintrafen. Die einstige Leichenkammer hingegen wird schon längst von der Deutschen Bahn als eine Art Gerümpelund Putzkammer genutzt.