Ruheinsel mit Benzingeruch
Straßencafés sind wunderbare Einrichtungen. Sie atmen das Flair von Süden und Sommer, von Nichtstun und Auszeit. Inzwischen möchte der Mensch diesseits der Alpen dieses Gefühl auch bei niedrigsten Temperaturen nicht missen und begibt sich tapfer lächelnd auch bei 5 Grad und darunter, gehüllt in Fleecedecken, ins Freie und schlürft Cappuccino oder Latte macchiato. Aber das darf jeder, wie er will.
Erstaunlich ist nur, dass der Begriff Straßencafé mittlerweile geradezu inflationär genutzt wird. Da stellt man sich ein Lokal in einer ruhigen Seitenstraße vor, vielleicht sogar einen Baum oder anderes Grün, das den Aufenthalt zu Kaffee oder Eis richtig entspannt werden lässt. Da gibt es ein bisschen was zu schauen, vielleicht Leute mit Hund, Kinder mit Skateboard, Nachbarn, die sich unterhalten … Ach wo, das ist ja herbeigesehnte Nostalgie. Wo sitzen denn unsere Zeitgenossen in geradezu selbstquälerischer Freude? An einer Hauptstraße mit grandioser Aussicht auf vorbeirollende oder parkende Autos, das Getränk angereichert mit Benzin- und Dieselduft. Das Powerfrühstück erhält so seine besondere Note, und das Ganze erfährt durch lautstarke Unterhaltung vom Nachbartisch auch geistige Nahrung.
Der Mensch ist schon ein zwiespältiges Wesen: Da sucht er ein bisschen Ruhe, eine ansprechende Umgebung und etwas, das ihm schmeckt, und nun?
Vielleicht macht das gerade den Kick aus: Ich schlürfe meinen Espresso, in der Nase das Benzin, vor mir die Aussicht auf einen Kleintransporter und ein Auto, und es macht mir gar nichts aus, denn ich sitze ja, wie es der Name sagt, im Straßencafé.