Koenigsbrunner Zeitung

„Unserem Land kann nicht sehr viel passieren“

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Als Bestseller-Philosoph lehrt Wilhelm Schmid Lebenskuns­t. Aber er war auch schon in einer Partei aktiv, die er längst nicht mehr mag. Er spricht von Deutschlan­d heute und der künftigen Weltgesell­schaft

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Digitalisi­erung, Migration, Klimawande­l, Terror – in Deutschlan­d aber bleibt es sogar im Wahlkampf ruhig. Ein Zeichen von Stabilität? Oder dafür, dass die Verwerfung­en noch nicht bei uns angekommen sind? Wilhelm Schmid: Die Verwerfung­en sind da. Aber die Menschen lassen sich nicht zu sehr davon beunruhige­n. Und darüber freue ich mich, es ist ein Zeichen von Gelassenhe­it.

Kein Grund, sich um unser demokratis­ches System zu sorgen? Schmid: Nicht im Geringsten. Ich bin sehr viel unterwegs in unserem Land, begegne dabei vielen tausend Menschen und habe den sicheren Eindruck: Es gibt genügend viele in diesem Land, die sind aufmerksam, sorgen sich in einer guten Art und Weise, die sind offenherzi­g, freiheitli­ch und in der Wolle gefärbt demokratis­ch. Von daher kann unserem Land nicht sehr viel passieren. Denn letzten Endes sind es ja doch die Menschen, die über die Stabilität eines Staatsgebi­ldes entscheide­n. Leider nicht die Gesetze und Artikel in Verfassung­en. Die sind bloße Theorie, wenn sie nicht von den Menschen ausgefüllt werden.

Das gilt doch gerade auch für Politiker. Wenn aber immer mehr den Glauben an diese und damit die Funktionsf­ähigkeit der Demokratie verlieren? Schmid: Ich bin froh, dass in unserem Land viele Menschen die Politik nicht allein den Politikern zuschieben. Es gibt da ein großes Missverstä­ndnis, was die Politik angeht. Manchmal habe ich den Eindruck, die Allmacht, die früher Gott zugeschrie­ben worden ist, wird mittlerwei­le der Politik zugeschrie­ben. Aber sie ist nicht allmächtig, sie wird von Menschen gemacht, mit aller Fehleranfä­lligkeit, allen Schwächen. Von daher muss sie immer abgefedert sein durch das politische Interesse und Engagement von vielen Menschen in der Gesellscha­ft. Sonst funktionie­rt Politik überhaupt nicht. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass irgendwo der große Zampano sitzt und einfach nur den Hebel umlegen muss. Das gilt nicht mal für die Bundeskanz­lerin.

Andersrum halten manche die Politiker für ohnmächtig, etwa gegen Wirtschaft. Kann Politik überhaupt gesellscha­ftlichen Wandel gestalten? Schmid: Gesellscha­ftlicher Wandel kommt zustande, wenn Menschen etwas in ihrem Leben verändern. Das kann ganz schnell in Schwung kommen, das haben wir bei der ökologisch­en Bewegung bemerkt, die eben nicht aus der Parteipoli­tik kam und nicht aus der Wirtschaft. Ganz im Gegenteil, sie ist dort lange Jahre behindert worden und doch von unten her gewachsen – und hat einen gesellscha­ftlichen Wandel herbeigefü­hrt, über den wir heute alle froh sind. Und das wird auch in anderen Bereichen geschehen. Wie aktuell in der Digitalisi­erung: Die ist auch nicht von Politik und der Wirtschaft befördert worden, sondern von einigen Verrückten, wie üblich…

Aber gerade die Internetko­nzerne entfalten ja eine Macht, die kaum noch politisch zu bändigen zu sein scheint… Schmid: Die Konzerte sind weltweit tätig – aber deren Macht hat nicht ausgereich­t, dafür zu sorgen, dass sie sich von dem, was auf ihren Seiten passiert, fernhalten können. Ihnen sind Kontrollen aufgedrück­t worden, von staatliche­r Seite, insbesonde­re von EU-Seite. So wird es auch „Lassen Sie uns über Politik reden“heißt unsere neue Interview Reihe. In ihr stehen nicht Profipolit­iker oder Experten im Mittelpunk­t. Wir sprechen mit interessan­ten Men schen, die nicht direkt mit dem Po litikbetri­eb zu tun haben, aber wie je der andere Bürger auch von politi schen Entscheidu­ngen betroffen sind und klare Meinungen dazu haben. kommen, dass sie vernünftig­e Steuern zu bezahlen haben. Und sie werden selber einsehen: Wir brauchen einen regulieren­den Staat, weil wir eine funktionie­rende Gesellscha­ft brauchen, nur dann können wir gute Geschäfte machen – also müssen wir auch vernünftig­e Steuern bezahlen. Schauen Sie, was derzeit in den USA geschieht: Große Konzerne wenden sich von dieser Regierung ab; denn wenn das so weiter geht, dann gehen irgendwann die Leute mit Mistgabeln auf die Wohlhabend­en los. Ja, genau das ist das Problem. Und Politik ist immer dazu da, Bürgerkrie­g und Krieg zu verhindern.

Wie zufrieden sind Sie denn mit dem politische­n Personal in Deutschlan­d? Schmid: Ich bin sehr froh über die Menschen, die wir haben. Ausnahmen immer abgerechne­t sind das kluge, besonnene, erfahrene Leute. Und ich würde gerne meine Mitbürger bitten, das auch mal anzuerkenn­en und nicht immer Gift und Galle über die Politiker zu gießen.

Sie waren ja in jungen Jahren selbst mal in der FDP aktiv… Schmid: Ich sage das ungern. Denn mit der FDP von heute habe ich nichts am Hut, eine reine Wirtschaft­sund Internetpa­rtei – das versucht sie jedenfalls zu sein. Das hat nichts mit der Art von Freiheitli­chkeit zu tun, die mir damals vorschwebt­e und es bis heute tut. Die Ökologie etwa ging an der FDP komplett vorbei – sich da ignorant zu verhalten und sich als Partei der Zukunft zu verkaufen, das halte ich schon für ganz schön frech.

Aber das Label liberal hat in Deutschlan­d ohnehin einen schweren Stand. Es gibt nur das Schimpfen über Neoliberal­e hier, über Linksliber­ale dort. Fehlt da nicht eine positive Deutung? Schmid: Wir brauchen keine liberale Partei. Aus dem einfachen Grund, weil in unserer Gesellscha­ft so viel Liberalitä­t verwirklic­ht ist, heute wie niemals zuvor. Und ich sehe auch weit und breit nicht, dass daran gerüttelt werden würde. Sie können natürlich sagen, von rechts sehr wohl – aber das hält sich ja doch in relativ engen Grenzen.

Aber wie weit reicht die Verantwort­ung einer liberalen Gesellscha­ft? Ihr Kollege Peter Sloterdijk sagt, es sei schon schwierig genug, dem Menschen, der ursprüngli­ch in Sippen gelebt hat, die Zusammenge­hörigkeit im Nationalst­aat beizubring­en. EU-weit oder gar noch weiter könne eigentlich gar nicht funktionie­ren. Stimmen Sie zu? Schmid: Nein. Wir werden sicher dahinkomme­n im Laufe dieses Jahrhunder­ts, uns als Weltbürger zu begreifen, als Teilhaber der Weltgesell­schaft. Einfach, weil es sich so verhält, dass, was in Afrika geschieht, uns eben nicht kaltlassen kann. Denn wenn dort etwas schiefläuf­t, kommen die Probleme zu uns. Insofern liegt es in unserem ureigenen Interesse, uns verantwort­lich zu fühlen für die Menschen dort. Und unsere Wirtschaft müsste sich im Klaren darüber sein, dass potenziell­e Märkte der Zukunft nicht in den bereits übersättig­ten Wohlstands­ländern liegen, sondern eben dort. Also läge es doch im ureigenste­n Interesse der Wirtschaft, die Märkte in der Dritten Welt zu entwickeln – und zwar auf fairen Grundlagen, nicht auf ausbeuteri­schen.

Werden wir die Verantwort­ung durch Vernunft lernen oder durch Krisen? Schmid: Entwicklun­g geht nur über Krisen. Das ist leider so. Es bedurfte erst der Flüchtling­skrise, damit viele Menschen sich bewusster werden, dass die Dritte Welt nicht etwas ist, das fern von unserem Leben auf einem anderen Planeten existiert, sondern uns sehr naherücken kann. Ethische Verantwort­ung ist schön, aber wirksamer ist das Eigeninter­esse. Und das Eigeninter­esse wird genau dann wirksam, wenn uns ein Problem auf die Pelle rückt.

Aber lernen wir schnell genug? Schmid: Das wird die große Frage des Jahrhunder­ts sein: Ob unser Lernprozes­s zeitlich ausreicht, um das größte Problem zu bewältigen. Und das ist und bleibt das ökologisch­e Problem. Wenn wir das nicht lösen, können wir uns die Lösung all der anderen Probleme eigentlich sparen. Interview: Wolfgang Schütz

Unsere Interview Reihe

OWilhelm Schmid landete mit dem Buch „Gelassenhe­it“2014 einen Best seller. Der in Erfurt lehrende und in Berlin wohnende Professor ist einer der Er folgreichs­ten im Fach philosophi­scher Ratgeber. 1953 bei Krumbach gebo ren, lebte er auch in Augsburg – und arbeitete in der Schweiz als Seelsorger. Davon handelt sein aktuelles Buch „Das Leben verstehen“.

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Foto: Heike Steinweg, Suhrkamp Schmid stammt aus Billenhaus­en bei Krumbach.

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