Koenigsbrunner Zeitung

Können frische Semmeln stinken?

- VON SONJA KRELL

Am Tegernsee stört sich ein Ehepaar am Geruch, der aus der benachbart­en Backstube dringt. Sie schalten einen Anwalt ein. Und von da an herrscht in Rottach-Egern dicke Luft

Rottach Egern Evi Tremmel hat keine Zeit, ans Telefon zu gehen. Und sie will auch nicht mehr reden. Nicht über ihre Backwaren, nicht über den Geruch, den sie verströmen sollen und erst recht nicht über die lieben Nachbarn. „Es ist einfach gerade alles zu viel“, versucht eine Mitarbeite­rin der Bäckerei zu erklären. Kein Wunder, wenn man bedenkt was sich in den letzten Tagen in Rottach-Egern abgespielt hat. Inzwischen spricht das halbe Land über Tremmels Bäckerei – obwohl die meisten noch nie dort waren.

So wie der junge Mann aus Altötting, der im sozialen Netzwerk Facebook betont, dass er den Duft frischer Brötchen und Brezeln liebe. „Ich solidarisi­ere mich mit Ihnen, gegen den nörgelnden Zugereiste­n“, versichert er Tremmel. Oder die Frau aus Duisburg, die die 51-Jährige nicht kennt, aber sich trotzdem hinter sie stellt. Weil sie schon als Kind immer frische Brötchen aus einer Backstube geholt habe und diesen Duft seither nicht vergessen. Auch die, die Evi Tremmel kennen, haben das Gefühl, Stellung beziehen zu müssen. Wie die Freunde, die ein Schild von der Bäckerei aufgestell­t hat. „Vielen Dank Evi für den täglichen Bäckerei-Duft“steht darauf.

Ja, nicht nur deswegen ist diese Geschichte ungewöhnli­ch. Es geht um die Bäckerei Tremmel, einen 90 Jahre alten Familienbe­trieb, der seit 65 Jahren am selben Standort produziert, um die neuen Nachbarn der Tremmels und darum, was denen gewaltig stinkt: der Geruch aus der Backstube, wo kurz nach Mitternach­t Teige angesetzt, Brezen gedreht und Semmeln gebacken werden. Das Ehepaar, das die Nachbarwoh­nung erst vor kurzem gekauft hat, schaltete einen Anwalt ein. „Durch die Geruchsemi­ssionen, die aus Ihrer Backstube täglich in den frühen Morgenstun­den über Ventilator­en ungefilter­t ins Freie geblasen werden, wird unser Mandant ganz empfindlic­h gestört, heißt es in dem Schreiben an Tremmel, aus dem der Münchner Merkur zitiert. Das Ehepaar leide derart unter dem „starken schlechten Geruch“, dass es das Schlafzimm­er unter dem Dachvorspr­ung nicht nutzen könne.

Evi Tremmel ist fassungslo­s. Weil sie es nicht glauben kann, dass ihr Gebäck stinken soll. Und weil sie noch nie Klagen wegen Geruchsbel­ästigung gehabt habe. Der Anwalt hat ihr eine Frist gesetzt. Demnach hätte sie bis vergangene­n Dienstag Abluftvent­ilatoren einbauen müssen. Andernfall­s lande der Fall beim Landratsam­t in Miesbach, hieß es.

Seither ist ein Sturm der Entrüstung über den Tegernsee hinweggefe­gt. Weil man frische, gute Handwerkss­emmeln doch nicht als Geruchsbel­ästigung beleidigen dürfe. Und weil es doch nicht sein könne, dass die „Zuagroastn“– und geldige noch dazu – sich über Dinge aufregen, die seit Jahren so sind. Der Landrat hat dem Ehepaar via Facebook sogar indirekt zum Wegzug geraten. Und nun? Der Nachbar, ein Unternehme­nsberater, der neben Rottach-Egern auch einen Wohnsitz auf Sylt hat, will nichts sagen. Sein Anwalt Heino von Hammerstei­n, zweiter Bürgermeis­ter von Tegernsee, hat einen Gang zurückgesc­haltet. Im Münchner Merkur erklärte er, man könne sich doch „im Sinne des Ortsfriede­ns in Ruhe einigen“. Er werde nicht auf Fristen beharren.

Und Evi Tremmel? Die Bäckerin will nicht auf das Anwaltssch­reiben reagieren, hat sie vor Tagen gesagt. Stattdesse­n tut sie, was sie immer tut. Steht frühmorgen­s in der Backstube und tagsüber in der Küche. Und bedankt sich noch bei den Leuten in Rottach und weit darüber hinaus für die Unterstütz­ung. „Vergelt’s Gott alle!“»Aufgefalle­n

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