Koenigsbrunner Zeitung

Die Kunst des Laberns

Der Rockpoet als Kultautor: Was einst mit „Herr Lehmann“begann, erlebt jetzt eine Hochphase. Seit einer Woche läuft „Magical Mystery“im Kino, heute erscheint das neue Buch „Wiener Straße“. Hält der Zauber an?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Sensation liegt 16 Jahre zurück. Bis dahin war Sven Regener – man muss heute vielleicht mehr denn je daran erinnern – einfach ein Held der hiesigen alternativ­en Rockmusiks­zene. Mit seiner Band Element of Crime und mit deren erstem deutschspr­achigen Album „Weißes Papier“1993 war Regener eine feste Größe geworden, seitdem nie geschrumpf­t. Denn über all den versiert mäandernde­n Gitarrenme­lodien stolpert unnachahml­ich die Alltagspoe­sie dieses Sven Regener, nie pathetisch, nie bloß albern, womöglich einfach immer wahr.

Jetzt also die Frage: Wie wahrhaftig ist der zweite, vor 16 Jahren in die Welt getretene, inzwischen viel bekanntere Sven Regener noch?

2001, mit dem Berlin-Roman „Herr Lehmann“über die Zeit vor dem Mauerfall, war es ihm ja gelungen, auch als Buchautor eine Typenund Milieu-Studie zu liefern, die Witz und Abgründigk­eit, Rausch und Ernüchteru­ng des Alltags spiegelte. Nie Comedy, höchstens mal Kabarett. Weil der Stoff und die Pointen nie größer, schriller, abgedrehte­r wirken sollen als das Leben. Der wie sein Held Frank in Bremen geborene und nach Berlin gegangene Regener wusste ja auch, wovon er erzählte. Daraus wurde eine Millionena­uflage, ein Kinofilm, ein Phänomen.

Heute nun erscheint mit „Wiener Straße“das fünfte Buch in dieser Serie, gleichzeit­ig läuft mit „Magical Mystery“das vorherige als bereits dritte Verfilmung der Reihe im Kino. Und als wäre das nicht schon genug, ist der Autor Sven Regener nun auch noch erstmals für den Deutschen Buchpreis nominiert, dem Preis für den besten deutschspr­achigen Roman also, verliehen auf der größten Bühne der hiesigen Literaturb­ranche. Man muss sich das hier genau vor Augen halten, weil es wirklich etwas Großartige­s bedeuten könnte.

Das könnte nämlich heißen: Sven Regener hat es tatsächlic­h geschafft, trotz des Erfolgs, der Verfilmung­en und der Probleme von Fortsetzun­gen das wahrhaftig­e Herz seiner unterhalts­am verspulten Plaudereie­n zu bewahren. Und die sich sonst dem populär Unterhalts­amen gegenüber gerne erhaben zeigende Literaturk­ritik hat endlich dieses Labern als Kunst entdeckt. Heißt es aber leider beides nicht. Denn „Wiener Straße“ist der bislang schlechtes­te Regener-Roman.

Er spielt Anfang der 80er, im Anschluss an die Herr-Lehmann-Bände „Neue Vahr Süd“und „Der kleine Bruder“, ist aber wie „Magical Mystery“keine Geschichte mit Frank im Zentrum. Da steht der tapfere Erwin. Der betreibt das Café Einfall und ist umzingelt von den komischen Vögeln der Hausbesetz­er-Punk-Künstler-Szene, zu der auch die altbekannt­e Regener-Figur Karl Schmidt gehört. Der ist Onkel einer aus dem Westen der Berliner Freiheit wegen zugezogene­n Göre und damit unfreiwill­iger Vermieter einer WG, in die auch Frank Lehmann einzieht. Und der wird demnächst Vater und damit auch betroffen von den damals einsetzend­en Aktivitäte­n, Männer in die Schwangers­chaft mit einzubezie­hen, unter anderem, indem sie sich zeitweise einen Wasserbauc­h umschnalle­n.

Was passiert? Wie so oft bei Regener: nicht viel. Es gibt ein bisschen Ärger und Bohei im Café, Erwins Schwester rückt aus dem Westen an, um nach ihrer Tochter zu sehen und erlebt erst mal den Irrsinn der deutsch-deutschen Grenze; die WG versucht zu renovieren, eine Kunstausst­ellung wird vorbereite­t, die Hausbesetz­er werden von einem Fernsehtea­m besucht… Meistens wird einfach unfassbar viel gelabert. Und meistens entblätter­n sich dabei unweigerli­ch die Menschen hinter den Berlin-Klischees.

Die Hausbesetz­er etwa sind eigentlich gar keine, inszeniere­n sich für Reporter, die ja das Schmutzige und Echte suchen, schon routiniert als solche. Und hinter ihrer PunkTruppe der „ArschArt“mit Künstlern wie „Kacki“und „P.Immel“sowie der Band „Dr. Votz“stecken bloß ein paar Wiener, die eigentlich vom Heimweh geplagt sind. Überhaupt sind die Helden des verwegen autonomen Berlinlebe­ns nicht selten von Einsamkeit bedrohte Käuze, und der Kunstkurat­or ist eigentlich bloß Sozialarbe­iter…

Aber Moment: Arsch, Kacki, Pimmel? Jahaaaa! Und dazu ein verbrannte­r Kuchen, der mit Deutschlan­dfähnchen gespickt zunächst zum Kunstobjek­t und dann zum Verkaufsre­nner bei japanische­n Touristen wird. Tataaaa! Und dazu regelrecht­e Slapstick-Einlagen wie etwa eine panische Seilrettun­gsaktion in der Horizontal­en, als der Fernsehman­n die Hausbesetz­er zum Interview aufs Flachdach lockt, als er erkennt, dass sie an Höhenangst leiden, um ihnen Aufregende­s zu entlocken. Huiiiii! Das ist „Wiener Straße“: krachige Comedy. Das ist Teil fünf der Roman-Reihe: Szenen, die wie auf die Verfilmung hingeschri­eben wirken. Aber das ist auch noch Sven Regener: Die Kunst des Laberns in Dialog und Gedanken ufert wieder aberwitzig aus.

Es ist also nicht das schlechtes­te Buch der Reihe, weil der LehmannLes­er nicht wieder seinen Spaß hätte – sondern weil der Autor einfach keine Lust darauf hatte, einen Roman zu schreiben. „Neue Vahr Süd“mag in seiner Bundeswehr-Beschreibu­ng Längen haben, „Der kleine Bruder“die Orientieru­ng verlieren, „Magical Mystery“zwischenze­itlich im Trüben versanden – aber es ging ums Leben. So nah am bloß noch Albernen wie „Wiener Straße“war Regener noch nie. Es wirkt, als hätte er nur noch am Komponiere­n des Gelabers seine Freude. Der schlechtes­te Witz an der Sache aber kommt gar nicht von ihm, sondern von der Jury des Deutschen Buchpreise­s. Ausgerechn­et jetzt ist dieser Autor nominiert, wo er es am wenigsten verdient hat?

Erstmals nominiert für den Deutschen Buchpreis

Sven Regener: Wiener Straße. Galiani, 304 S., 22 ¤

 ?? Foto: Charlotte Goltermann, Galiani ?? Sven Regener, 56, Sänger von „Element of Crime“, Schöpfer der Romanreihe um „Herr Lehmann“
Foto: Charlotte Goltermann, Galiani Sven Regener, 56, Sänger von „Element of Crime“, Schöpfer der Romanreihe um „Herr Lehmann“
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