Koenigsbrunner Zeitung

Perfekt leben

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Biohacking“ist ein Trend, Körper, Verstand und Persönlich­keit zu optimieren. Etwas für Spinner? Nein, nur das Extrem eines neuen Verständni­sses von Ich und Sein, das sich immer mehr durchsetzt. In Gesundheit, Beruf, Liebe…

Es liegt nahe, sich über eine wie Ariane Sommer zu wundern – oder sich vielleicht sogar lustig zu machen? Die sorgte einst als deutsches Model und Berliner Partygirl für Furore, badete gar in einer Wanne voller Mousse au Chocolat und verbuchte Auftritte in Film und Fernsehen, bevor sie, splitterna­ckt für die Tierschutz­organisati­on Peta posierend, einen Bewusstsei­nswandel andeutete: Lebt vegetarisc­h! Und dieser Wandel hat jetzt – im normalen Leben einige Jahre später, aber offensicht­lich um keinen einzigen Tag gealtert – zu einer Offenbarun­g geführt. In einem Essay in der Welt nämlich gab sich Ariane Sommer als Anhängerin des „Biohacking“zu erkennen, eines „ehemals obskuren Randphänom­ens“, wie sie schreibt, aus dem „eine derzeit besonders in den USA rasant wachsende Bewegung“geworden sei, „die Evolution als Selbstopti­mierung“verstehe.

Man muss das etwas ausführlic­her zitieren, um Grundzüge und Ausmaße dieser Ich- und Weltanscha­uung zu verstehen: „Biohackern geht es darum, die bestmöglic­he Version ihrer selbst zu sein. Biohacking-Pioniere wie Silicon-Valley-Investor Dave Aspery und Bestseller­autor Tim Ferriss propagiere­n die These, dass wir uns nicht mit dem Körper und dem Gehirn abfinden müssen, mit denen wir geboren wurden, und dass wir unser mentales, physisches und psychische­s Potenzial jederzeit maximieren können: unseren IQ erhöhen, produktive­r arbeiten, schneller, weiter laufen, unsere Kreativitä­t und Libido steigern, mehr Fett verbrennen, besser und weniger schlafen und insgesamt länger leben.“

Das ist dann ja mal gleich einiges. Aber es bedeutet im täglichen Leben der Ariane Sommer, in diesem Jahr 40 geworden, auch ganz schön viel. Nach rund sechs Stunden Schlaf wird sie zwischen 4 und 4.30 Uhr von einer App in einer dazu optimalen, leichten Schlafphas­e geweckt. Ihren Kaffee, aufgemotzt mit „einem halben Dutzend ayurvedisc­her Superfoods“, trinkt sie dann in der Infrarotsa­una, samt Meditation und Atemübunge­n, denn das alles beeinfluss­e das autonome Nervensyst­em, führe zur Ausschüttu­ng stimmungsh­ebender Neurotrans­mitter, erhöhe den Schadstoff­ausstoß… „Die Belastung meines Körpers durch Schwermeta­lle etwa ist in den vergangene­n drei Monaten um 50 Prozent gesunken“, so Sommer.

Der Rest in Stichworte­n: nur kalte Dusche, regelmäßig auch Eisbäder, täglich Yoga, Kampfsport oder Ausdauertr­aining, Arbeiten am Stehpult („besser für den Lymphfluss“), oft dabei die Kopfhaut unter Strom gesetzt zur Stimulatio­n, dazwischen Smoothies und über den Tag verteilt 30 Gentest-konforme, auf ihre Biochemie abgestimmt­e Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Ariane Sommer beschreibt sich als „moderate Biohackeri­n“, ihre Lebensqual­ität habe sich jedenfalls enorm gesteigert: „Ich kann heute Dinge tun, für die mir früher die Konzentrat­ion und Kraft gefehlt hätten.“Nun plane sie mit ihrem Mann, ebenfalls ein Biohacker, bereits eine Besteigung des Kilimandsc­haro.

Und dann, zum Abschluss, stellt sie sich noch selbst der Frage: Was der Sehnsucht nach Selbstopti­mierung im Kern zugrunde liegt? „Narzismus, Todesangst, Größenwahn, das Verlangen nach einem gesteigert­en Bewusstsei­n, Selbstbest­immung … – wahrschein­lich ein Cocktail aus all dem.“

Soweit zu Ariane Sommer und dem Trend des Biohacking­s. Nun aber zurück zum normalen Leben. Denn das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun. Oder? Kennen Sie etwa jemanden, der mit Nahrungser­gänzungsmi­tteln mehr aus seinem Körper, mit Meditation mehr aus seinem Geist, durch Genussmitt­elverzicht mehr für sein Bewusstsei­n, durch Disziplin und Sport mehr für seine Gesundheit, durch Schlafeffi­zienz mehr für seinen Tag herauszuho­len versucht? Höchstwahr­scheinlich schon. Denn auf dem Markt mit Hilfsmitte­ln, Kursen und Ratgebern zur Selbstopti­mierung geht es allein in Deutschlan­d längst um viele Milliarden. Das Verlangen, mit möglichst viel Kontrolle über das eigene Sein und Empfinden möglichst das Beste für sich herauszuho­len, ist ein Zug des Zeitgeiste­s, der sich aus dem entwickelt hat, was einmal Selbstverw­irklichung hieß, aber inzwischen Selbstermä­chtigung genannt werden könnte. Der Zufall eines Unglücks mag uns jederzeit dazwischen­kommen können, aber der Rest liegt nicht in Gottes, sondern in unserer Hand. Zumindest wollen sich immer mehr Menschen nicht vorwerfen müssen, nicht alles in ihrer Macht Stehende dazu geleistet zu haben, um ein möglichst perfektes Leben zu verdienen. Und was al- les in unserer Macht steht, das führen uns die immer genauer verfügbare­n Daten, das führt uns immer mehr mögliches Wissen vor Augen.

Menschen denken über ihre „Work-Life-Balance“nach, kennen die Nährstoffe ihres Essens, wünschen sich für ihre Kinder, dass sie nicht nur einen, sondern ihren Platz im Leben finden, ersehnen Erfüllung statt Auskommen, auch in Beziehunge­n – weil sie von den Verheißung­en der Machbarkei­t ständig umgeben sind. Auch ein moralisch gutes Gewissen wird von vielen Anbietern in Preisen bemessen. Dazu passend sind die größten Stars unserer Zeit längst keine des Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll mehr. Sondern fitte, engagierte Vorbilder, die Yoga machen, liebevoll über ihre Kinder sprechen und die politische­n Missstände dieser Welt anprangern. Es ist das Zeitalter der Richtig-Macher. Gesellscha­ftlich befördert von individuel­len Gesundheit­swarnungen und einer mahnenden Verbindung zur Verantwort­ung vor der Allgemeinh­eit (die Krankenkas­sen!). Empfindet es selbst, wer weiter rauchen und einfach Fleisch essen und den Rausch will, nicht längst schon als ein Trotzdem?

Das Gelingen beim Fortschrit­t der Besten wird jedenfalls allzeit in den sozialen Netzwerken (mit-)geteilt. Und Soziologen diagnostiz­ieren bereits, dass sich auch die Arbeitswel­t immer weiter in eine Castingsho­w verwandelt, in der die Bewerber mit ihrem Optimierun­gsgrad bemessen werden. Vielleicht ist das nur die konsequent­e Fortsetzun­g des Kapitalism­us. Zu Beginn sorgte der dafür, dass möglichst viele die gleichen Waren wollten, und ging dafür in Massenprod­uktion. Dann verwandelt­e er sich den Zug zur Selbstverw­irklichung an und versprach durch die Produkte eine reichhalti­ge Palette der Individual­isierung, zum Ausdruck des ganz eigenen Seins. Und nun ist eben der Mensch selbst das Produkt: Seine Daten sind die Ware, seine Formung macht den Umsatz.

Aber ist das alles nun schlimm? Kann das nicht wirklich auch helfen, das Richtige zu befördern und so manches über den Menschen besser zu verstehen? Darüber entscheide­t wohl, ob wir zweierlei für das Leben wesentlich­e Züge nicht vergessen: unsere Freiheit – und das letztlich unvermeidl­iche Scheitern.

Liegt es statt in Gottes nun in unserer Hand?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany