Warum mehr Pflegekräfte studieren sollten
Bruno G. Wirnitzer ist Experte für Gesundheitsberufe am Klinikum Augsburg. Was die Ausbildung in diesem Berufsstand betrifft, hat er einen großen Wunsch
Die Forderung nach mehr Pflegepersonal in Deutschland, aber auch nach einer höheren Wertschätzung für die Arbeit von Pflegekräften wird lauter. Denn offene Stellen insbesondere bei Kranken- und Gesundheitspflegekräften oder Altenpflegefachkräften sind zunehmend schwerer zu besetzen. Gleichzeitig werden die Aufgaben im Zuge der Digitalisierung und des medizinischen Fortschritts immer anspruchsvoller. Bruno G. Wirnitzer vom Klinikum Augsburg erklärt, warum mehr Pflegekräfte die Möglichkeit bekommen sollten, ein Studium zu absolvieren.
Herr Wirnitzer, warum sollten mehr Pflegekräfte studieren? Wirnitzer: Es gibt viele Gründe, die für ein Studium sprechen. So ist es wissenschaftlich erwiesen, dass sich eine höhere Qualifizierung des Personals direkt auf die Qualität der Patientenversorgung auswirkt. Pflegende, die zusätzlich zu ihrer konventionellen, praxisorientierten Ausbildung, die in Deutschland zweifellos eine hohe Qualität hat, noch ein berufsbezogenes Studium absolvieren, können ihre Tätigkeiten besser einordnen und kritisch hinterfragen. Sie lernen im Studium, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu integrieren und können mit Ärzten fachlich anders kommunizieren.
Wie stehen Sie zur Integration von ausländischen Pflegekräften und wie bewerten Sie die internationale Entwicklung? Wirnitzer: Ganz klar: Wir sollten uns nicht von der europäischen Entwicklung abkoppeln. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die ihre Pflegeausbildungen noch nicht weitgehend akademisiert haben. Wenn wir ausländische Kräfte integrieren wollen – und das müssen wir –, dann sollten wir das Ausbildungsniveau auch formal angleichen. Außerdem dürfen wir im Bereich der pflegewissenschaftlichen Forschung, die immer häufiger länderübergreifend stattfindet, den Anschluss nicht verlieren. Von daher sollte es möglich sein, in diesem Fachbereich in Deutschland zu promovieren und zu habilitieren. Dafür gibt es auch einen sehr pragmatischen Grund: Der Anteil an Abiturienten steigt kontinuierlich, und die wollen meist studieren und nicht nur eine Ausbildung absolvieren.
Was muss ein Studienanwärter im Bereich Pflege mitbringen? Wirnitzer: Der Pflegeberuf fordert sehr unterschiedliche intellektuelle Kompetenzen und praktische Fertigkeiten. Neben der grundlegenden Fähigkeit, empathisch zu denken und zu handeln, sollten Auszubildende wie Studierende gleichermaßen über ein gutes Technikverständnis, ein breites Interesse an physiologischen und biologischen Zusammenhängen oder auch pädagogisches Geschick verfügen. Dazu
kommt eine gewisse körperliche und psychische Stabilität. Für das akademische Studium sollte ein erweitertes Interesse an Wissen und soziologischen Zusammenhängen vorhanden sein.
Für welche Tätigkeiten werden Hochschulabsolventen im Pflegebereich eingesetzt? Wirnitzer: Die möglichen Einsatzgebiete sind vielfältig. Leider nutzen viele Gesundheitseinrichtungen und Kliniken diese Möglichkeiten noch nicht ausreichend. Wir setzen unsere „Pflege-Bachelors“nach einer adäquaten Erfahrungszeit beispielsweise in pflegerischen Expertenbereichen wie dem Schmerz- oder Qualitätsmanagement wie auch bei der Patientenanleitung ein.
Wie macht sich ein Studium im Verdienst bemerkbar? Wirnitzer: Bei der Vergütung von
qualifizierten Fachkräften in der direkten Patientenversorgung – hier sollten grundständig akademisch ausgebildete Pflegekräfte vor allem tätig werden – besteht leider noch Handlungsbedarf. Im Gegensatz dazu gab es für pflegerische Leitungspositionen und Pflegepädagogen, die in der Regel über ein spezielles Studium nach ihrer Ausbildung verfügen, durchaus positive Veränderungen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in der Pflege? Wirnitzer: Der Bedarf an pflegerischer Versorgung steigt durch die bekannten gesellschaftlichen und demografischen Entwicklungen. Ebenso verändern sich die Anforderungen innerhalb des Berufs: zum einen durch den Fortschritt in der Medizin, beispielsweise im Intensivbereich, zum anderen durch die Digitalisierung.
Was wird gebraucht? Wirnitzer: Um den neuen Aufgaben gewachsen zu sein, brauchen wir also nicht nur sehr viel mehr Personal, sondern auch mehr Pflegende mit akademischem Hintergrund. Denn Pflegefachkräfte werden verantwortliche Aufgaben übernehmen müssen, die heute noch der Arzt erledigt, etwa in der Versorgung von chronisch Kranken. Es werden auch neue Berufsbilder aus der Pflege heraus entstehen. Über eine bessere Durchlässigkeit, neue Aufstiegschancen und andere Berufsfelder könnte der Anteil an männlichen Mitarbeitern, der seit Jahren bei 15 bis 20 Prozent stagniert, steigen.
Wie sieht die Zukunft am Klinikum Augsburg aus? Wirnitzer: Die Gesellschaft und die Arbeitswelt verändern sich schnell. Damit wird der Wettbewerb um die Berufsanfänger intensiver. Im Gegensatz
zu anderen großen Kliniken und Sozialeinrichtungen können wir unseren Bedarf noch gut decken, da wir selbst umfassend ausbilden. Aber auch wir merken, dass es schwieriger wird, gute Mitarbeitende zu bekommen. Ein großes Ziel ist es deshalb, Ausbildungen und Studiengänge der verschiedenen Berufsfelder besser zu vernetzen. Mediziner, Physiotherapeuten, Hebammen oder Pflegekräfte müssen in der täglichen Praxis eng zusammenarbeiten und sich vertrauen – schon in der Ausbildung kann man hier noch mehr kooperieren.
Interview: AZ/ Eva Maria Knab