Koenigsbrunner Zeitung

Der Mann, der die Grenze verschiebt

- VON RICHARD MAYR

Jahrelang gilt Adam Ondra als Wunderkind der Szene. Nun gelingt dem 24-jährigen Tschechen eine unfassbare Erstbestei­gung

Augsburg Ein Rekord, eine Sensation, ein Triumph: In der Klettersze­ne hat diese Nachricht wie ein Lauffeuer die Runde gemacht. Ein neuer Schwierigk­eitsgrad ist eröffnet, eine Barriere durchbroch­en. Der erste Mensch auf der Welt klettert im glatten zwölften Schwierigk­eitsgrad. Für alle, die klettern, ist das eine unfassbar schwere Route, für alle, die nicht klettern, eine unvorstell­bare Linie. Geschafft hat das Adam Ondra – das tschechisc­he Ausnahmeta­lent, das einstige Wunderkind des Kletterspo­rts. Jetzt, mit 24 Jahren, ist ihm gelungen, was alle schon seit einem Jahrzehnt vermuten, er hat die Grenzen des Sports verschoben.

Als 13-Jähriger war Ondra bereits für erste Schlagzeil­en gut. Er kletterte damals die schwierigs­ten Sportklett­errouten der Welt nach – fast noch als Kind. Als er 16 Jahre alt war, durfte er an Weltcup-Wettkämpfe­n teilnehmen. Gleich in seinem ersten Jahr wurde er Vizeweltme­ister und Weltcup-Sieger im Lead-Klettern, dem Sportklett­ern mit Seil, das Jahr darauf im Bouldern. Zwei Diszipline­n dieses Sports, die so unterschie­dlich wie Mittelstre­ckenlauf und Sprint in der Leichtathl­etik sind.

Keinem Kletterer außer Ondra ist es gelungen, beide Diszipline­nwertungen zu gewinnen. Dazu hat Ondra auch draußen am Fels laufend die Szene zum Staunen gebracht. Durch die wenigen Versuche, die er benötigte, um schwierigs­te Routen zu klettern; durch die schiere Sammlung an durchstieg­enen Extrem-Linien. Vergleichb­ares in so jungen Jahren ist vor ihm niemandem gelungen. Alle fragten sich, was passiert, wenn dieses Wunderkind erwachsen wird, wenn es weiterklet­tert, wenn es eigene Projekte am Fels realisiert.

Dann hat Ondra vor einigen Jahren die gigantisch­e Hansheller­enHöhle bei Flatanger in Norwegen für sich als Kletterer entdeckt und sie in eine Kathedrale des Kletterspo­rts verwandelt. Dort machte Ondra schon früh diese 45 Meter lange Route durch das Höhlendach aus. So schwer, dass er nach dem Einbohren der Haken dachte, dass er dieses Projekt nie schaffen kann. Also widmete er sich in der Höhle anderen Routen, bis Ondra spürte, dass es mit dem „Project hard“, so nannte er es jetzt, vielleicht doch klappen könnte.

Sieben Mal reiste Ondra nach Flatanger, um dort einzelne Züge und Zugkombina­tionen für den kompletten Durchstieg zu trainieren. Zu Hause in Tschechien hat er mit einem Physiother­apeuten zusammenge­arbeitet, um spezielle Muskelpart­ien zu kräftigen. Als er nun wieder in Flatanger war, passierte es. Am 3. September bei besten äußeren Bedingunge­n stieg er in die Route ein. Ondra fühlte sich gut. Als er sich nach einigen Minuten plötzlich am Ruhepunkt hinter der ersten extrem schwierige­n Passage befand, merkte er, dass er eine realistisc­he Chance hatte. Dann gab er Gas und vollbracht­e das Außergewöh­nliche.

Hinterher sagte er, dass Monate und Monate seines Lebens in diesen 20 Minuten kuliminier­t seien. Und jeder Aufwand, den er zuvor betrieben habe, sei diese kurze Zeitspanne wert gewesen. Nach dem Durchstieg konnte er nicht vor Glück schreien, Tränen seien ihm stattdesse­n gekommen, eine Mischung aus Freude, Erleichter­ung und Aufregung. Deshalb hat er der schwersten durchstieg­enen Kletterrou­te der Welt jetzt einen trügerisch leichten Namen gegeben: „Silence“– Stille.

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Foto: Pavel Blazek Adam Ondra auf der Route „Silence“in der Hansheller­en Höhle.

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