Die beste Aussicht auf die Wiesn
Claus Konrad tauscht während seines Urlaubs den Arbeitsplatz auf dem Lechfeld mit dem Toboggan. Prinzessin Anne war schon bei ihm, und ganz besondere Erfahrungen machte er mit einem schottischen Quartett
Claus Konrad tauscht während seines Urlaubs den Arbeitsplatz auf dem Lechfeld mit einem Büro auf der Wiesn. »Lokales
Lechfeld/München Claus Konrad hat Urlaub. Nicht Mallorca oder der Bayerische Wald sind sein Ferienziel. Konrad schaut geradewegs auf die Besucher des Oktoberfestes. Mit schnellen Schritten eilen die jungen Leute in ihren Trachten entlang der Matthias-Pschorr-Straße Richtung Bavaria an ihm vorbei. Doch Konrad hat nur wenig Zeit, um das bunte Treiben zu beobachten. Denn: Konrad hat Urlaub genommen, um zu arbeiten.
Normalerweise ist Konrad bei einem großen Unternehmen auf dem Lechfeld beschäftigt. Doch für sechs Wochen im Jahr unterbricht er die Tätigkeit, um seinen Toboggan auf der Wiesn aufzustellen. „Schon als Kind war ich immer dabei“, sagt er. Denn der Toboggan ist bereits seit 1920 in Familienbesitz. Und der 49-Jährige pflegt diese Tradition weiter. Zurückzuführen ist der Name des Fahrgeschäfts auf einen leichten Schneeschlitten der kanadischen Indianer und Eskimos. Und die Funktionsweise ist simpel. Fahrgäste werden mit einem schnell laufenden Förderband zur Turmmitte transportiert. Von dort steigt man über Treppen zur Spitze, genießt die Aussicht und rutscht dann auf der Holzrutsche mit einer Kokosmatte als Unterlage nach unten. Es ist der einzige noch aktive Toboggan in Deutschland.
„Bis zum Wiesnstart brauchen wir neben den jährlichen Wartungsund Restaurierungsarbeiten drei Wochen zum Transport und Aufbau“, sagt Konrad. Doch der Aufwand lohnt sich. „Wir erleben hier die tollsten Sachen.“Sogar Prinzessin Anne aus England habe ihn schon besucht. Prominente Frauen seien bei der Fahrt jedoch etwas zurückhaltender. „Sie sind in der Regel aufwendiger gekleidet und wollen sich nicht so gerne blamieren.“Männer wären da schon lockerer. „Ralf Schumacher und Kai Pflaume machten da schon eine richtig gute Figur“, erzählt er. Vor allem der Fernsehmoderator habe „den richtigen Dreh“rausgehabt.
Im Unterschied zu anderen Fahrgeschäften sei beim Tobbogan der Fahrgast aktiv gefordert und sorgt gleichermaßen für eine Belustigung der Zuschauer. Schließlich sei durch die hohe Geschwindigkeit des Bandes viel Geschick erforderlich, um auf eigenen Beinen stehend den Turm zu erreichen.
Konrads Sohn Jonas gehört zu den sogenannten Läufern im Team. Er begleitet die Unsicheren oder steht oben am Ende des Förderbandes und nimmt die Fahrgäste entgegen. „Das Verhalten hat sich schon etwas verändert“, erzählt er. Während früher die Gäste die Aussicht auf die Wiesn genossen, sei heute immer mehr der Wunsch nach einem Foto zu erfüllen. Auch die Anzahl der Selfies habe deutlich zugenommen. „Das kann sogar schon mal einen Stau verursachen.“
Große Vorfreude entwickelte sich vor Jahren bei den Mitarbeitern, als eine Gruppe von vier Schotten im Kilt gekleidet den Toboggan benutzten. „Wir haben schon spekuliert, was die unter dem Rock tragen“, erinnert sich der Inhaber. Und tatsächlich: Bei einem Sturz auf dem Förderband und der anschließenden Rutschfahrt sei das Rätsel
„Was für den einen ein Kletterurlaub oder eine Abenteuerreise mit dem Wohnmobil ist, das ist für mich die Wiesn.“
Claus Konrad
gelöst worden. „Es war kein schönes Bild. Das will keiner wissen“, sagt Konrad und lacht.
Trotz der Arbeit genießt Konrad die Zeit auf der Wiesn. Natürlich sei der Auf- und Abbau mit ein wenig Stress verbunden. Zudem gebe es bei einem so alten Fahrgeschäft immer etwas zu reparieren. Aber wenn das größte Volksfest der Welt eröffnet ist und alles läuft, stellt sich bei ihm eine Mischung aus Freude und Erholung ein. „Was für den einen ein Kletterurlaub oder eine Abenteuerreise mit dem Wohnmobil ist, das ist für mich die Wiesn“, sagt der Schausteller.
„Ein besonderer Moment war, als ,Oma Eller‘ kam“, erinnert sich Konrad. Die 103-Jährige habe es sich nicht nehmen lassen, den Toboggan auszuprobieren. Natürlich sei ein Läufer assistierend mit auf dem Laufband dabei gewesen. Die Treppen zur Spitze habe die ältere Dame jedoch alleine gemeistert stiegen – und ist dann heruntergerutscht. „Unten angekommen sagte Oma Eller: Jetzt braucht sie erst mal einen Schnaps.“