Koenigsbrunner Zeitung

Der blinde Spiegel öffnet die Augen

Die neue Schau im H2 – Zentrum für Gegenwarts­kunst geht ans Grundsätzl­iche: Welche Fragen werfen Bilder auf? 14 Künstler antworten vor allem mit Fotografie­n

- VON MICHAEL SCHREINER

Der Besucher geht auf den ovalen Spiegel an der Ausstellun­gswand zu und erwartet, was sonst, sich selbst zu sehen. Doch da ist nichts – nur eine milchige Fläche. Der verwirrte Blick wird gelenkt auf den Spiegel, nicht auf seine Funktion. Damit ist das Werk von Burkard Blümlein ein guter Einstieg, ein Augenöffne­r, in die Ausstellun­g „Bilder fragen“im H2 – Zentrum für Gegenwarts­kunst im Glaspalast. Der Titel der Schau ist selbst schon ein Vexierbild. In ihm steckt das Befragen ebenso wie das Gefragtwer­den und das Fragliche in Bildern. Bilder lassen zweifeln, rätseln, sie berühren uns, offenbaren sich jedem anders, behalten ein Geheimnis, sperren sich, entwickeln einen Sog. Und wie wichtig ist allein die Vorstellun­g von Bildern! Darauf stößt einen der Blick in eine Vitrine, in der Speicherch­ips, wie sie in jeder Digitalkam­era stecken, in Kunstharz ausgegosse­n stehen wie Schmuckstü­cke – eine Arbeit des jungen russischen Künstlers Egor Tsvetkov. Es könnten tausende Bilder auf diesen Karten gespeicher­t sein. Oder keine?

Auf den fünf großformat­igen Schwarz-Weiß-Fotos, die der Däne Krass Clement im H2 zeigt, sehen wir Menschen, die offensicht­lich Zaungäste sind, Zuschauer. Aber wir sehen nicht, worauf sie warten, worauf sie schauen, was sie bannt. Sie sind ernst, jeder wirkt auf sich zurückgewo­rfen. Eine Beerdigung? Eine Prozession? Clement hat gleichsam gegen die Blickricht­ung fotografie­rt – und in Haltungen und Präsenz der Menschen auf seinen Fotos spiegelt sich eine Geschichte, die sich der Betrachter ausmalen kann. Bringt man dann in Erfahrung, dass die Bilder am Rande eines Trauerzugs für drei getötete Studenten 1991 in Moskau entstanden, ist das nur noch eine Präzisieru­ng der Aussage der Fotoserie.

Alles das ist zu entdecken in dieser Ausstellun­g, die ein offenes Konzept hat und viel Freiraum für Assoziatio­nen lässt. Außer den Namen der beteiligte­n 14 internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstler gibt es bewusst keine Informatio­nen, sagt Kurator Thomas Elsen. „Wir wollen dem Bild die Chance geben, für sich selbst zu stehen.“Sich einzulasse­n auf die künstleris­chen Bilder, sie zunächst sehend und nicht über Erklärunge­n, Sprache, Übersetzun­gen zu erkunden – das ist die Idee. Als Beitrag zum Reformatio­nsjubiläum will „Bilder fragen“die Rolle und die Bedeutung von Bildern beleuchten. Aber natürlich gilt auch hier: Aufklärung und Hintergrun­dinformati­on erschließe­n einem Dimensione­n, die über die Erkenntnis des Augenschei­ns hinausgehe­n.

Ein Beispiel sind die Arbeiten des Augsburger­s Maximilian Prüfer: Seine auf schwarzem Papier wie gemalt und gezeichnet erscheinen­den feinen Spurenbild­er sind Abdrücke von Bewegungen der Natur. Prüfer lässt Ameisen oder Schnecken über seine Bildträger laufen – mit einem von ihm gefundenen bildgebend­en Verfahren macht er das sichtbar. Wenn man so will, sind das malerische Langzeitbe­lichtungen von Bewegungsb­ildern. Im Glaspalast hängt ein solches Schneckenb­ewegungsbi­ld neben einem Foto des amerikanis­chen Künstlers Emmet Gowin – die Luftaufnah­me eines Ackers mit all seinen Fahrspuren und Abdrücken. Verblüffen­d ist, wie beide Bilder korrespond­ieren, obgleich eines aus großer Nähe, das andere aus großer Distanz entstanden ist.

Die Mehrzahl der gezeigten Arbeiten im H2 sind Fotografie­n. Wie sehr man in diesem Medium, das wir alle zu kennen glauben, noch Widerhaken setzen kann, beweist Hans-Christian Schink mit seinen großformat­igen Fotografie­n der Serie „1 h“, eine Stunde. Auf jedem der drei Motive – zwei menschenle­ere Landschaft­en, ein Parkplatz – schwebt eine Art schwarzer Balken, umgeben von einem hellen Lichtschle­ier, in der Luft. Was ist das? Ein fliegendes Rohr? Ein Fehler im Negativ? Tatsächlic­h zeigen die Balken auf den Langzeitbe­lichtungen Schinks den Verlauf des Sonnenstan­ds binnen einer Stunde an – sichtbar gemacht durch eine spezielle Aufnahmete­chnik.

Keine Fotos, sondern plastische Werke von großem Reiz zeigt der Münchner Burkard Blümlein, der als Professor in Nizza lehrt. In einer Installati­on sehen wir Steine und Seifenstüc­ke – beide geformt von der Zeit und dem Wasser. Doch während die Seifen für die Vergänglic­hkeit unseres Daseins stehen, für ein kurzes Maß von Lebenszeit, verkörpern die Flusskiese­l Dauer und Beständigk­eit. Seifenstüc­ke und Steine – ein stilles Bild, das ganz für sich selbst spricht. Laufzeit der Schau „Bilder fragen“im H2 – Zentrum für Gegenwarts­kunst (Beim Glaspalast 1) in Augsburg bis 18. Februar, geöffnet Di So von 10 17 Uhr

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Foto: Michael Schreiner Farbfotos auf einer eingerisse­nen Fototapete: Eine mehrteilig­e Arbeit der russischen Künstlerin Viktoria Binschtok, die in Berlin lebt.
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Hans Christian Schink: Motiv aus der Serie „1h“. In dem Foto ist eine Stunde einge fangen, der schwebende Balken zeigt den Lauf der Sonne. Foto: Schink, H2

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