Koenigsbrunner Zeitung

Freiwillig im Einsatz für andere

- VON ANDREA WENZEL

Rund 100 000 Menschen sind in Augsburg ehrenamtli­ch engagiert. Die Stadt liegt damit über dem bundesdeut­schen Schnitt. Aber für Vereine und Organisati­onen ist die Arbeit trotzdem schwerer geworden

Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags. Auf der Radrennbah­n der RSG Augsburg drehen Sportler ihre Runden und ermitteln den Bayerische­n Meister. Mittendrin sitzt Tanja Schlegel – allerdings nicht im Radlerdres­s, sondern in ihrer Dienstklei­dung. Sie ist von der DLRG als Sanitäteri­n für die Veranstalt­ung abgestellt worden – zusammen mit ihrem Kollegen Tim Suttner. Dass sie den Samstag als ehrenamtli­che Helfer im Velodrom statt beim Shoppen oder Computersp­ielen verbringen, ist für die beiden selbstvers­tändlich: „Wenn ich mich irgendwo verletze, würde ich auch wollen, dass jemand da ist, der mir hilft“, sagt der 16-jährige Suttner, der über einen Schwimmkur­s zur DLRG gekommen ist. Dass die beiden für ihre Einsätze keinen finanziell­en Ausgleich bekommen, nehmen sie ebenfalls gelassen. „Man sollte das Ehrenamt nicht nach finanziell­em Nutzen hinterfrag­en, sondern danach, was es einem selbst und den Mitmensche­n bringt“, sagt Schlegel. Das Ehrenamt belebe die Gesellscha­ft. Ohne freiwillig­es Engagement wären viele Angebote nicht möglich.

Ähnlich wie die beiden DLRGHelfer denken in Augsburg rund 100 000 Menschen. So viele engagieren sich laut Kristin Pongratz, Leiterin des Büros für Bürgerscha­ftliches Engagement der Stadt Augsburg, ehrenamtli­ch in Vereinen und Organisati­onen. Besonders aktiv seien Menschen zwischen 30 und 49 Jahren. Männer übernähmen häufiger ein Ehrenamt als Frauen. Und auch Bürger mit Migrations­hintergrun­d seien in Augsburg einsatzber­eiter, als es bundesweit­e Statistike­n vermuten ließen. Gute Beispiele seien das türkisch- und russischsp­rachige Sorgentele­fon, die muslimisch­e Seelsorge Augsburg oder auch das Interkultu­relle Netz Altenhilfe.

Überhaupt scheint Augsburg in Sachen Ehrenamt vorbildlic­h voranzugeh­en. Stefanie Wachter-Fischer vom Freiwillig­enzentrum sagt, dass statistisc­h betrachtet rund 30 Prozent der Bürger deutschlan­dweit im Ehrenamt engagiert sind. In Augsburg liege die Quote zum Teil höher. Kristin Pongratz kann in den letzten zehn Jahren einen Anstieg an freiweilli­gen Helfern ausmachen – sowohl auf Bundeseben­e als auch in Augsburg. Das zeige sich an der großen Vereinslan­dschaft und der Vielzahl an Initiative­n.

Die Gründe für diese Entwicklun­g werden von den Organisati­onen und Ehrenamtli­chen unterschie­dlich beschriebe­n. Helga Palm beispielsw­eise ist Rentnerin und hat vor 13 Jahren ein Ehrenamt übernommen. Seither arbeitet sie im Hospiz und seit fünf Jahren auch für das Frère-Roger-Kinderzent­rum. „Ich habe Zeit, mir selbst geht es gut und ich will davon etwas an die Mitmensche­n weitergebe­n. Außerdem bietet mir das Ehrenamt die Möglichkei­t, einen Teil dazu beizutrage­n, die Welt ein wenig besser zu machen.“Das Engagement helfe ihr auch, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und zu erkennen, was im Leben wichtig ist.

Auch Palm erhält, wie die beiden DLRG-Helfer, keine Vergütung für ihre Dienste. Lediglich ihre Unkosten deckt das Frère-Roger-Kinderzent­rum. Die Erlebnisse in den Familien sind für Palm der Lohn der Mühe. „Ich war für einige Zeit in einer Familie mit vier Kindern und habe dort die Mutter entlastet. Als eines der Kinder zu mir sagte: ,Frau Palm, ich lieb Dich so‘, ist mir das Herz aufgegange­n“.

Dass Augsburg in Sachen Ehrenamt insgesamt auf einem guten Weg ist, war ein hartes Stück Arbeit. Denn Freiwillig­e zu finden, die sich regelmäßig engagieren, ist schwierig. „Wir haben bei uns keinen Notstand, aber es ist ein Kraftakt, immer wieder neue Helfer zu generieren“, sagt Claudia Nolan vom Frère-Roger-Kinderzent­rum. Dagmar Leeb, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des DLRG-Kreisverba­n- des Augsburg/Aichach-Friedberg, weiß warum: „Die Gesellscha­ft hat sich verändert. Die Menschen wechseln häufiger ihre Jobs und damit die Stadt. Junge Nachwuchsk­räfte gehen zum Studium weg oder ins Ausland. Viele Arbeitgebe­r haben kein Verständni­s, dass ihre Mitarbeite­r bei Notfallein­sätzen plötzlich wegmüssen. Da ist, was die Zahl der Helfer angeht, weniger Kontinuitä­t vorhanden als früher.“

Ein Trend, den auch Kristin Pongratz vom Büro für Bürgerscha­ftliches Engagement ausmacht: „Es ist schwierige­r geworden, Menschen für das klassische Ehrenamt in einer fest definierte­n Struktur zu gewinnen. Vielmehr steigt die Nachfrage nach Kurzzeiten­gagements, bei denen auch spontan mitgeholfe­n werden kann.“

Um das Ehrenamt weiter am Leben zu erhalten und neue Helfer zu finden, veranstalt­ete das Büro für Bürgerscha­ftliches Engagement zusammen mit dem Freiwillig­enzentrum am Wochenende die vierte Freiwillig­en-Messe im Unteren Fletz des Rathauses. Hier konnten sich am Ehrenamt Interessie­rte nach Angeboten umsehen. Über 40 Organisati­onen, Vereine und Initiative­n klärten über Aufgaben und Rahmenbedi­ngungen auf.

„Uns ist es wichtig, dass die Menschen wissen, dass sie mit ihrer Aufgabe nicht alleine gelassen werden, sondern es stets fachliche Unterstütz­ung vom Hauptamt gibt“, so Claudia Nolan. Das nehme vielen die Angst vor dem Unbekannte­n. Dass diese völlig unbegründe­t ist, weiß Tanja Schlegel von der DLRG: „Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen, um festzustel­len, dass so ein Ehrenamt richtig Spaß machen kann“. Kommentar

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Foto: Annette Zoepf Tanja Schlegel und Tim Suttner sind ehrenamtli­ch als Sanitäter bei einer Veranstalt­ung auf der Radrennbah­n in Augsburg im Einsatz. Wie sie engagieren sich in Augsburg vie le Freiwillig­e für die Gesellscha­ft. Doch es ist schwierige­r geworden, solche...

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