Freiwillig im Einsatz für andere
Rund 100 000 Menschen sind in Augsburg ehrenamtlich engagiert. Die Stadt liegt damit über dem bundesdeutschen Schnitt. Aber für Vereine und Organisationen ist die Arbeit trotzdem schwerer geworden
Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags. Auf der Radrennbahn der RSG Augsburg drehen Sportler ihre Runden und ermitteln den Bayerischen Meister. Mittendrin sitzt Tanja Schlegel – allerdings nicht im Radlerdress, sondern in ihrer Dienstkleidung. Sie ist von der DLRG als Sanitäterin für die Veranstaltung abgestellt worden – zusammen mit ihrem Kollegen Tim Suttner. Dass sie den Samstag als ehrenamtliche Helfer im Velodrom statt beim Shoppen oder Computerspielen verbringen, ist für die beiden selbstverständlich: „Wenn ich mich irgendwo verletze, würde ich auch wollen, dass jemand da ist, der mir hilft“, sagt der 16-jährige Suttner, der über einen Schwimmkurs zur DLRG gekommen ist. Dass die beiden für ihre Einsätze keinen finanziellen Ausgleich bekommen, nehmen sie ebenfalls gelassen. „Man sollte das Ehrenamt nicht nach finanziellem Nutzen hinterfragen, sondern danach, was es einem selbst und den Mitmenschen bringt“, sagt Schlegel. Das Ehrenamt belebe die Gesellschaft. Ohne freiwilliges Engagement wären viele Angebote nicht möglich.
Ähnlich wie die beiden DLRGHelfer denken in Augsburg rund 100 000 Menschen. So viele engagieren sich laut Kristin Pongratz, Leiterin des Büros für Bürgerschaftliches Engagement der Stadt Augsburg, ehrenamtlich in Vereinen und Organisationen. Besonders aktiv seien Menschen zwischen 30 und 49 Jahren. Männer übernähmen häufiger ein Ehrenamt als Frauen. Und auch Bürger mit Migrationshintergrund seien in Augsburg einsatzbereiter, als es bundesweite Statistiken vermuten ließen. Gute Beispiele seien das türkisch- und russischsprachige Sorgentelefon, die muslimische Seelsorge Augsburg oder auch das Interkulturelle Netz Altenhilfe.
Überhaupt scheint Augsburg in Sachen Ehrenamt vorbildlich voranzugehen. Stefanie Wachter-Fischer vom Freiwilligenzentrum sagt, dass statistisch betrachtet rund 30 Prozent der Bürger deutschlandweit im Ehrenamt engagiert sind. In Augsburg liege die Quote zum Teil höher. Kristin Pongratz kann in den letzten zehn Jahren einen Anstieg an freiweilligen Helfern ausmachen – sowohl auf Bundesebene als auch in Augsburg. Das zeige sich an der großen Vereinslandschaft und der Vielzahl an Initiativen.
Die Gründe für diese Entwicklung werden von den Organisationen und Ehrenamtlichen unterschiedlich beschrieben. Helga Palm beispielsweise ist Rentnerin und hat vor 13 Jahren ein Ehrenamt übernommen. Seither arbeitet sie im Hospiz und seit fünf Jahren auch für das Frère-Roger-Kinderzentrum. „Ich habe Zeit, mir selbst geht es gut und ich will davon etwas an die Mitmenschen weitergeben. Außerdem bietet mir das Ehrenamt die Möglichkeit, einen Teil dazu beizutragen, die Welt ein wenig besser zu machen.“Das Engagement helfe ihr auch, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und zu erkennen, was im Leben wichtig ist.
Auch Palm erhält, wie die beiden DLRG-Helfer, keine Vergütung für ihre Dienste. Lediglich ihre Unkosten deckt das Frère-Roger-Kinderzentrum. Die Erlebnisse in den Familien sind für Palm der Lohn der Mühe. „Ich war für einige Zeit in einer Familie mit vier Kindern und habe dort die Mutter entlastet. Als eines der Kinder zu mir sagte: ,Frau Palm, ich lieb Dich so‘, ist mir das Herz aufgegangen“.
Dass Augsburg in Sachen Ehrenamt insgesamt auf einem guten Weg ist, war ein hartes Stück Arbeit. Denn Freiwillige zu finden, die sich regelmäßig engagieren, ist schwierig. „Wir haben bei uns keinen Notstand, aber es ist ein Kraftakt, immer wieder neue Helfer zu generieren“, sagt Claudia Nolan vom Frère-Roger-Kinderzentrum. Dagmar Leeb, stellvertretende Geschäftsführerin des DLRG-Kreisverban- des Augsburg/Aichach-Friedberg, weiß warum: „Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Menschen wechseln häufiger ihre Jobs und damit die Stadt. Junge Nachwuchskräfte gehen zum Studium weg oder ins Ausland. Viele Arbeitgeber haben kein Verständnis, dass ihre Mitarbeiter bei Notfalleinsätzen plötzlich wegmüssen. Da ist, was die Zahl der Helfer angeht, weniger Kontinuität vorhanden als früher.“
Ein Trend, den auch Kristin Pongratz vom Büro für Bürgerschaftliches Engagement ausmacht: „Es ist schwieriger geworden, Menschen für das klassische Ehrenamt in einer fest definierten Struktur zu gewinnen. Vielmehr steigt die Nachfrage nach Kurzzeitengagements, bei denen auch spontan mitgeholfen werden kann.“
Um das Ehrenamt weiter am Leben zu erhalten und neue Helfer zu finden, veranstaltete das Büro für Bürgerschaftliches Engagement zusammen mit dem Freiwilligenzentrum am Wochenende die vierte Freiwilligen-Messe im Unteren Fletz des Rathauses. Hier konnten sich am Ehrenamt Interessierte nach Angeboten umsehen. Über 40 Organisationen, Vereine und Initiativen klärten über Aufgaben und Rahmenbedingungen auf.
„Uns ist es wichtig, dass die Menschen wissen, dass sie mit ihrer Aufgabe nicht alleine gelassen werden, sondern es stets fachliche Unterstützung vom Hauptamt gibt“, so Claudia Nolan. Das nehme vielen die Angst vor dem Unbekannten. Dass diese völlig unbegründet ist, weiß Tanja Schlegel von der DLRG: „Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen, um festzustellen, dass so ein Ehrenamt richtig Spaß machen kann“. Kommentar