Koenigsbrunner Zeitung

Retten, löschen, Gemeinscha­ft leben

- VON MARCUS BÜRZLE

Während anderswo Feuerwehrl­eute fehlen, will Lechhausen unbedingt eine neue Truppe aufstellen. Was das über das Ehrenamt in Augsburg und das Leben in den Stadtteile­n aussagt

Der Slogan ist hart: „Stell Dir vor, es brennt und keiner löscht.“Doch die Worte schildern schlicht die Realität. Für viele freiwillig­e Feuerwehre­n in Deutschlan­d ist die Lage brenzlig – sie finden keinen Nachwuchs mehr. In Augsburg ist das anders. Die Stadt hat nicht nur eine Berufsfeue­rwehr. Sie hat auch sieben freiwillig­e Wehren, die personell viel besser dastehen als anderswo. Und sie hat sogar einen Stadtteil, in dem sich Frauen und Männer danach sehnen, endlich wieder eine Freiwillig­e Feuerwehr Lechhausen einsatzber­eit zu machen. Ist das nicht eine wunderbare Lage?

Wenn es Menschen gibt, die ihre Freizeit für die Gemeinscha­ft einbringen wollen, ist das ein Grund zur Freude. Heute spricht man von Individual­isierung, von Ich-Gesellscha­ft, von Zersplitte­rung und fehlendem Einsatz für andere. Das Leben gerade in einer schnell wachsenden und von hoher Fluktuatio­n geprägten Großstadt wie Augsburg wandelt sich rapide. Während die Zeiten beinahe beängstige­nd schnell und unruhig wirken, setzen nicht nur die Feuerwehrl­er in Lechhausen ein beruhigend­es Ausrufezei­chen dagegen.

Augsburg ist eine Stadt des ehrenamtli­chen Engagement­s. In der Bürgerumfr­age der Stadt im Jahr 2015 haben mehr als 30 Prozent der Befragten angegeben, dass sie sich ehrenamtli­ch engagieren. Ob Feuerwehr, Rettungsdi­enst, Musikverei­n, Kirche, Sport oder Flüchtling­sarbeit – rund 100000 Menschen bringen sich freiwillig ein. Das ist eine stolze Zahl und auch im Bundesverg­leich ein überdurchs­chnittlich hoher Wert.

Sie und ihr Einsatz sind der Kitt der Gesellscha­ft. Ehrenamtli­che helfen nicht nur, sie bringen Menschen zusammen, geben Wissen weiter, leisten wertvolle Integratio­nshilfe ... Vieles, was sie leisten, würde ohne das Ehrenamt ersatzlos wegfallen. Staat und Stadt können schlicht nicht alles leisten, was Ehrenamtli­che vollbringe­n. Nebenbei: Staat und Stadt dürfen den freiwillig­en Einsatz aber auch nicht nutzen, um sich aus der Verantwort­ung zu stehlen. Und sie tun gut daran, Ehrenamtli­che zu unterstütz­en.

In Augsburg wird das gemacht. Seit 20 Jahren knüpft das Freiwillig­enzentrum Kontakte zwischen Menschen, die sich einbringen wollen, und Menschen oder Organisati­onen, die Unterstütz­ung brauchen. Es feiert in diesem Jahr Jubiläum und kann zugleich Erfolge feiern. Mit Projekten, Beratungen und Ideen wie den „Sporadi-“Angeboten trägt es zum Erfolg des Ehrenamts in der Stadt bei: Wer sich nicht dauerhaft engagieren will, kann das heute auch „sporadisch“tun – wenn es passt. Nicht jeder hat heute noch die Zeit, die Ausdauer und die Lust, sich langfristi­g zum Beispiel in einem Verein einzubring­en. Die Freiwillig­e Feuerwehr Lechhausen wäre ein Gegenbeisp­iel – die schon existieren­den ebenfalls.

Hier geht es um ein dauerhafte­s Engagement. Und, eine weitere Besonderhe­it, hier geht es um Ehrenamt in den Stadtteile­n. In Pfersee, Inningen oder Haunstette­n haben Feuerwehr, Sportverei­n und Musikkapel­le noch eine weitere Funktion: Sie tragen zum Leben im Stadtteil bei, sie bringen die Menschen vor Ort zusammen. In den ehemals selbststän­digen Stadtteile­n symbolisie­ren sie Wurzeln und Eigenständ­igkeit.

Die politische Eigenständ­igkeit haben im Süden der Stadt Göggingen, Haunstette­n, Inningen und Bergheim mit der Eingemeind­ung 1972 verloren. Das Gemeinscha­ftsleben in den ehemaligen Stadtteile­n lebt jedoch in den Vereinen und Arbeitsgem­einschafte­n weiter. Sie bilden Ankerpunkt­e und Identifika­tionsmögli­chkeiten. Und sie sind Motoren des Gemeinscha­ftslebens vor Ort. Die Feuerwehre­n haben dabei eine Doppelroll­e, denn sie sorgen zugleich auch noch für Sicherheit und sind da, wenn es brennt oder die Bäche über die Ufer treten. Alleine würde das die Berufsfeue­rwehr nicht schaffen.

Und was bedeutet das für eine Freiwillig­e Feuerwehr Lechhausen? Die Lage ist für die Stadt – zugegeben – nicht ganz einfach. Im Nordwesten Augsburgs ist die Berufsfeue­rwehr stark präsent. Eine zusätzlich­e Feuerwehr kostet nicht wenig Geld. Eine Neugründun­g will gut überlegt sein.

Doch eigentlich ist das ein Luxusprobl­em. Anders lässt es sich kaum beschreibe­n, wenn anderswo die Retter Mangelware sind und sie sich hier gleich freiwillig melden. Die Frage ist: Kann man wirklich nein sagen, wenn sich Bürger für ihren Stadtteil, ihre Mitmensche­n und die Stadt einsetzen wollen? Das ist nur schwer vorstellba­r.

Sie sind ein Symbol alter Eigenständ­igkeit

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Archivfoto: Annette Zoepf Der Maibaum in Pfersee ist Schmuck und zugleich Symbol für das rege Vereinsleb­en und das damit verbundene ehrenamtli­che Engagement.
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