Jetzt nackt: Robbie Williams
Diese „Enthüllung“liefert Fans viel Stoff – allen anderen Grund zum Nachdenken
All die Details über den Popstar füttern nun seit Wochen die Boulevard-Magazine und bunten Seiten der Zeitungen. Robbie Williams gesteht, dass er seine Stirnfalten mit Botox glätten hat lassen. Robbie Williams erzählt, dass er in Fressattacken nachts zum Kühlschrank schlafwandelt. Robbie Williams bekennt, dass Ayda Fields, inzwischen seine Frau und Mutter seiner beiden Kinder, ihn am Tiefpunkt seines Lebens kennengelernt hat, drogenabhängig, ausgebrannt und depressiv – und dass er sie trotzdem ganze dreimal in die Wüste geschickt hat, bevor doch noch ein Paar aus den beiden wurde. Robbie Williams beichtet und enthüllt … Aber wozu?
All diese Geständnisse jedenfalls stammen aus einem Buch, das nun – unter Hochdruck von gleich sieben Übersetzern bearbeitet – praktisch zeitgleich zum englischen Original auch bei uns erschienen ist. Denn natürlich sorgt es angesichts Millionen deutscher Robbie-Fans auch hierzulande für Schlagzeilen, bürgt also für Aufmerksamkeit, verspricht also Umsatz. Insofern ist „Reveal: Robbie Williams“auf jeden Fall schon mal ein Geschenk an den Musik-Journalisten Chris Heath, der seit vielen Jahren mit dem Künstler befreundet ist und nun offenbar die Freigabe erhalten hat, über mehr als 600 Seiten hinweg Protokolle aus persönlichen und offenen Gesprächen (mitunter samt Ayda) zwischen den Jahren 2006 und 2016 zu veröffentlichen. Aber warum macht Robbie Williams das?
Damals war er nach dem Ende einer Welttournee (seit 15 Jahren im Pop-Business und inzwischen 32 Jahre alt) körperlich und seelisch ausgebrannt. Und entschlossen, seine Karriere zu beenden: „2006 habe ich mich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, allerdings ohne es jemandem zu sagen. Ich habe drei Jahre lang nicht gearbeitet, sondern auf der Couch gesessen und Kartoffelchips und Schokolade gefuttert, ich wurde fett, ließ mir einen Bart stehen und sah aus wie ein Serienmörder.“110 Kilogramm schwer und gerade auf dem Weg in den Suizid, als ihn Freunde zum sofortigen Entzug zwangseingewiesen haben. Nun, 2016, arbeitet er am (inzwischen erschienenen) Album „The Heavy Entertainment Show“, spielt mit den Kindern und amüsiert sich mit Ayda darüber, dass wirklich jedes Mal, wenn die beiden in der Villa in Hollywood den Fernseher einschalten, eine Frau zu sehen ist, mit der Robbie schon geschlafen hat.
Klingt nach Besserung und Stabilisierung. Ist beides tatsächlich aber nur relativ. Denn dieser Robbie Williams bleibt – das wird durch dieses Buch doppelt klar, dadurch, dass es überhaupt existiert, und durch das, was es erzählt – ein letztlich heilloser Zwangscharakter. So wie er in seinen Liedern von jeher sein innerstes Zweifeln, seine Ängste und sein Scheitern thematisiert, am besten zur triumphalen Hymne übersteigert, so existiert er offenbar auch für sich selbst nicht ohne Echo in der Öffentlichkeit. Kein Wunder, dass die sogenannten „sozialen Netzwerke“für einen wie ihn Suchtmittel sind. Der Drang nach Selbstoffenbarung lässt ihn sich darin schon mal nackt zeigt und auch seine Frau direkt nach der Geburt im Kreißsaal präsentierten. Robbie ist der Prototyp eines für diese Kanäle wie gemachten Stars. Er füllt die alte Weisheit mit (für den Popund Internet-Nachwuchs hoffentlich warnendem) neuem Leben füllt: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, wird darin umkommen.
Eine Tragödie? Im seinem Fall könnte es darauf hinauslaufen. Denn sein Dilemma erscheint in der hier präsentierten Nacktheit unauflöslich. Öffentlichkeit und die Ovationen erscheinen ihm lebensnotwendig und bedeuten zugleich seine größte Angst: „Ich hoffe einfach, dass ich auf die Bühne gehe und Robbie Williams auftaucht. Denn manchmal stehe ich dort oben, und er kommt nicht, und dann muss ich alles allein machen. Robbie Williams ist eine Art Tarnumhang, den ich mir umlege. Manchmal taucht er nicht auf und ich bin auf mich allein gestellt, und das ist entsetzlich.“Der inzwischen 43-jährige Robert Peter Williams ist seiner Pubertätsfigur Robbie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wolfgang Schütz