Die RAF verstehen?
Wie es zum Deutschen Herbst kam
Im 40. Jahr nach dem Deutschen Herbst ging nun es viel darüber, was geschehen ist: 1977, bereits zuvor die Morde an Generalbundesanwalt Buback, im April, und ab Dresdner-Bank-Chef Ponto, im Juli, die Eskalation dann ab September, Verschleppung und Tötung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, die Entführung der „Landshut“, die der Todesnacht von Stammheim, in der die inhaftierten Terroristen Baader, Ensslin und Raspe starben.
Wenig davon ist aufgeklärt, wie von so vielen Untaten der RAF. Weil das Schweigekartell der Täter und Mitwisser noch intakt ist, wie sich zuletzt beim Prozess 2010 gegen Verena Becker wegen Verstrickung in den Buback-Mord zeigte. Aber doch nicht nur deswegen. Denn wer nicht nur wissen will, was passiert ist, sondern auch verstehen will, wie es zu all dem kommen konnte, stößt noch auf viele weitere blinde Flecken jener dunklen Zeit der jüngeren deutschen Geschichte.
Diese zu zeigen, zu umreißen und so weit wie möglich auszuleuchten, ist das Verdienst des ohnehin besten Erforschers der RAF-Geschichte, des Hamburger Politikwissenschaftlers Wolfgang Kraushaar. Sein ungeheueres Fachwissen, gepaart mit der großen Klarheit, einerseits amtliches Versagen aufzuzeigen, aber andererseits Mörder auch Mörder zu nennen, nichts zu verklären also (wie es einst im Umfeld des umstrittenen Stammheim-Besuchs selbst der Star-Philosoph Jean-Paul Sartre tat und auch letzthin immer mal wieder vorkam, etwa durch eine politische Ikonisierung Baaders oder eine künstlerische Erhöhung Ensslins und Ulrike Meinhofs durch die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek) – das macht auch wieder die Qualität seines neuen Buches aus: „Die dunklen Flecken der RAF“.
Darin lesen sich zum quasi erweiterten Schweigekartell dann auch frappierende Sätze wie dieser: „Geheimdienste haben ja zunächst einmal eine Gemeinsamkeit mit terroristischen Organisationen: Sie versuchen im oder aus dem Verborgenen heraus zu operieren. Und diese Einstellung gilt zumeist auch für die Zeit danach.“Aber tatsächlich war es mit Peter Urban ja ein Undercover-Agent des damaligen Landesamtes für Verfassungsschutz in West-Berlin, der diejenigen, die sich in der linken Protestbewegung der 68er interessiert zeigten, mit Waffen und Sprengstoff versorgte. Und als dieser Peter Urban als Zeuge dann vor Gericht aussagen sollte, da war verschwunden.
Einer der Hauptakteure bei der Bildung gewaltbereiter Zirkel, beim Übergang von symbolischen Farbbomben über eine Kaufhausbrandstiftung zum Mord, spielte Horst Mahler. Wie Kraushaar dessen „Karriere“vom DDR-Parteigänger zum Apo-Anwalt zum Duellanten um die RAF-Führerschaft mit Andreas Baader beim Ausbildungscamp in Jordanien bis zum holocaustleugnenden Rechtsextremisten nachzeichnet, als der er seit kurzem wieder in deutscher Haft sitzt, ist erhellend. Nicht weniger sind es Passagen wie jene, in denen der Autor zeigt, wie gerade die sozialistische Gleichheit fordernden Terroristen zu jede Menschenwürde verachtenden Pragmatikern wurden, weil ihnen das Leben eines Polizisten im Vergleich zu dem eines Politikers als wertlos erschien.
Bleibt Wolfgang Kraushaar in all dem angenehm analytisch, sachlich – bei einem wird er gleich zu Beginn dieses wieder guten Buches geradezu leidenschaftlich: Im Ärger darüber nämlich, dass es immer wieder Gleichsetzungen zwischen dem heutigen islamistischen mit dem damaligen Links-Terrorismus gibt. Dabei bestehe gerade im Begreifen der wesentlichen Unterschiede die Möglichkeit der Erkenntnis. Und die habe Deutschland auch 40 Jahre nach jenem dunklen Herbst noch nötig.